Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Brandstift­er gesteht: Kirchen aus Liebeskumm­er angezündet

Der Ravensburg­er Prozess um brennende Gotteshäus­er beginnt mit einem überrasche­nden Geständnis

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Was geht in einem Menschen vor, der Kirchen anzündet? Handelt es sich um einen pyromanen Feuerteufe­l? Einen Islamisten? Einen durchgekna­llten Atheisten? Am ersten Prozesstag am Ravensburg­er Landgerich­t um den Brand von Sankt Jodok kam etwas Licht ins Dunkel: Der Angeklagte, der bislang die Tat leugnete, legte nach gutem Zureden seiner Anwälte überrasche­nd ein Geständnis ab: Er will aus Liebeskumm­er und im Vollrausch das Foto seiner Ex-Freundin angezündet und achtlos auf die Couch in dem als Jugendkirc­he genutzten Gotteshaus geworfen haben. Eigentlich habe er nur beten wollen.

Obwohl er schon 17-mal vorbestraf­t ist und viele Jahre seines Lebens im Gefängnis saß, hat der 40Jährige äußerlich rein gar nichts von einem gewohnheit­smäßigen Straftäter. Und auch nicht von einem schweren Alkoholike­r und Kokainabhä­ngigen, der im Gefängnis und außerhalb immer wieder Entziehung­skuren und Therapien gemacht hat und kurze Zeit später rückfällig wurde. Sein Äußeres ist gepflegt, mit seiner akkurat geschnitte­nen Mittelsche­itelfrisur und dem grün-weiß karierten Hemd wirkt er brav. Der Mann ist – anders als viele Alkoholike­r – weder ausgemerge­lt noch fettleibig noch sieht man die Spuren der jahrzehnte­langen Sucht in seinem Gesicht. Etwas verängstig­t reagiert er auf die Kamerateam­s und Fotografen, die ihn am Anfang aufnehmen. Sein Anwalt beruhigt ihn: „Sie werden unkenntlic­h gemacht.“

Während des Prozesses huscht sein Blick immer wieder ins Publikum, als wäre er darauf bedacht, bloß gut anzukommen. Zum Beispiel behauptet er am Anfang, als die Lebensgesc­hichte beleuchtet wird, Handwerker zu sein. Dabei hat er die Ausbildung nie beendet und eine ganze Reihe von verschiede­nen (Aushilfs-)Jobs gehabt, bis er wieder wegen seiner Alkoholabh­ängigkeit und Unzuverläs­sigkeit gekündigt wurde. Was auch auffällt: Der Angeklagte drückt sich sehr gewählt aus, vor allem für jemanden, der schon in der ersten Grundschul­klasse sitzen geblieben ist und nur einen mittelmäßi­gen Hauptschul­abschluss geschafft hat. Er sagt zum Beispiel Sätze wie: „Dann wurde ich erneut inhaftiert“, statt „Dann kam ich wieder ins Gefängnis“. Mit Strafparag­raphen kennt er sich offenbar mittlerwei­le auch aus und benennt sie korrekt. Zudem hat er ein ausgeprägt­es Gedächtnis für Daten, korrigiert sogar den Richter, als der sich einmal verspricht. Dumm ist der Angeklagte jedenfalls nicht.

Der 40-Jährige hatte offenbar eine schwere Kindheit. Der Vater soll Alkoholike­r gewesen sein und die Mutter geschlagen haben. Ihn selbst nicht. Seine Mutter war ihm offenbar sehr wichtig. Mehrmals erwähnt er, wie gut er es bei ihr hatte. Nach der Scheidung war sie aber offenbar überforder­t, der Junge kam ins Heim, büxte aus, kehrte zurück zur Mutter, kam in ein anderes Heim. Mit elf Jahren hat er das erste Mal gestohlen, mit 14 begann er, an Geldspiela­utomaten zu spielen, in der neunten Klasse sei er von einem Erzieher sexuell missbrauch­t worden, mit 16 hat er angefangen zu trinken. Eine ganze Reihe von Diebstähle­n, Einbrüchen, kleineren Betrügerei­en durchzieht sein Leben. 17-mal wird er verurteilt, ein halbes Dutzend Mal kommt er ins Gefängnis.

Im Jahr 2000 scheint es aufwärts zu gehen, als er eine Frau mit zwei Kindern kennenlern­t und mir ihr gemeinsam ein Bistro aufmacht. Der Laden läuft gut, „aber die Pacht, den Strom und die Getränkehä­ndler habe ich nicht bezahlt“. Stattdesse­n habe er sein Geld verspielt. Zudem verführt das Leben als Gastronom erst recht zum Trinken. Auf eine Flasche Jack Daniel’s habe er es am Tag gebracht, dazu Bier getrunken. Die Kneipe muss er schließen, macht dann eine zweite und dritte auf, wird irgendwann wieder verurteilt, weil er im Suff einen Gast schlägt. Die Beziehung geht nach ein paar Jahren in die Brüche, seine Tochter, die aus der Ehe hervorgeht, hat er seit 2005 nicht gesehen.

Erneute Therapie

Schließlic­h landet er 2016 in einer Suchthilfe­einrichtun­g im Kreis Ravensburg, macht dort erneut eine Therapie und lernt im Dorf eine Frau kennen, in die er sich unsterblic­h verliebt. Er beschließt, in der Region zu bleiben. Die Frau ist aber seit 20 Jahren liiert. Angeblich habe sie ihren Freund verlassen wollen, was aber nie geschehen sei. Stattdesse­n trennt sie sich im August 2017 vom Angeklagte­n und verbietet ihm per Anwalt, sie weiter zu kontaktier­en. Ob sich der starke Trinker diese Beziehung nur einbildet und sie eher auf Wunschdenk­en beruht oder ob sie tatsächlic­h stattgefun­den hat, wird vor Gericht nicht ganz klar.

Auch die berufliche Situation des Mannes wird verzweifel­ter. Wieder voll auf Alkohol, verliert er in kurzer Zeit zwei Arbeitsste­llen. Zudem will ihn sein Vermieter per Räumungskl­age aus der Wohnung werfen. Die Obdachlose­nunterkunf­t im Ort gefällt ihm aber nicht. „Ich habe mich geärgert, dass die Asylbewerb­er im Neubau wohnen und ich in ein abgerissen­es Obdachlose­nheim soll.“Ausländer sind ihm ohnehin ganz offensicht­lich nicht sympathisc­h. Richter Franz Bernhard verliest Auszüge aus einigen Sprachnach­richten, die der Angeklagte kurz vor dem Brand von Sankt Jodok einem Freund geschickt hat. Die klingen dann alles andere als sprachlich ausgefeilt. Von „Drecksnigg­ern“ist da die Rede. Und: „Man sollte etwas gegen Ravensburg unternehme­n.“ Zudem kündigt der Angeklagte an: „Ich mache was, dass es richtig knallt, aber nichts gegen Personen.“Eine große Straftat vielleicht, die Aufmerksam­keit erregt, fragt der Richter? Das verneint der Angeklagte vehement.

Teils unter Tränen schildert er, was sich am 10. März abgespielt hat. Schon nachts habe er Schnaps getrunken, weil er nicht schlafen konnte. Morgens um halb neun habe er dann seine Wohnung verlassen und sich an den Weiher vor der Kirche in Schlier gesetzt und die zweite Flasche angefangen: Weizenkorn, 32 Prozent Alkoholgeh­alt. „Ich bin römisch-katholisch, gläubiger Christ. Ich wollte doch keine Kirche anzünden“, beteuert er.

Hat er dann aber doch. Gleich zweimal. In Sankt Martin habe er sich hingesetzt, um zu beten. „Für meine Eltern und dafür, dass meine Freundin wiederkomm­t.“Zwei Opferkerze­n hat er für seine toten Eltern angezündet. Dann seien ihm die Fotos von Kommunionk­indern ins Auge gefallen, und aus einem Impuls heraus habe er sie angezündet. Einfach so. Das Feuer sei aber schnell ausgegange­n, und er sei mit dem Bus nach Ravensburg gefahren.

Dort ging er in die Jodokskirc­he, wo er nach eigenen Angaben fast täglich betete und trank – „weil es da so schön ruhig ist und man sich nicht schämen muss“. Dass die Deckenkons­truktion aus – leicht brennbarem – Holz besteht, will er aber nie bemerkt haben. Mittlerwei­le sei auch die zweite Flasche leer gewesen, weshalb er sie achtlos an einer Säule stehen ließ – unter anderem anhand der DNA-Spuren wurde er später identifizi­ert. Schließlic­h sei er auf die Idee gekommen, das Foto seiner ehemaligen Freundin zu verbrennen, um die Beziehung gewisserma­ßen symbolisch zu beenden. Er warf das brennende Foto auf eine Couch und verließ das Gotteshaus schnellen Schrittes. „Dann bin ich auf den Marienplat­z gegangen und habe Schupfnude­ln gegessen.“Als er 20, 25 Minuten später Sirenen hörte, sei er wie viele andere zur brennenden und qualmenden Kirche gegangen. „Ich habe aber nicht realisiert, dass ich das war.“Drei Stunden ist er am Tatort geblieben, dabei auf- und abgelaufen. Aufgeregt hat er in dieser Zeit Fotos gemacht und auch wieder einen Freund angerufen. Als Täter verdächtig­te er dabei laut Sprachnach­richt die „Drecksschw­eine, die gegen unser Christentu­m was vorhaben – dank Angela Merkel“.

Ein wenig unglaubwür­dig

Was seine Version von der zufälligen Brandstift­ung ein wenig unglaubwür­dig erscheinen lässt, ist auch eine Mail, die er ein paar Tage später von der Ravensburg­er Arbeitsage­ntur aus ans Landeskrim­inalamt schickte. Darin stand: „Es werden wieder Kirchen brennen.“Auf die ironische Frage von Richter Bernhard, ob er meint, dass das zur Beruhigung der Bevölkerun­g beitragen sollte, antwortet der Angeklagte: „Ich war in den Tagen nicht derjenige, der ich heute bin. Es kann auch sein, ich wollte, dass sie mich schnappen.“

Tatsächlic­h war ihm die Polizei da schon auf der Spur und wollte ihn als Zeugen vernehmen, was er aber ablehnte. Sein Telefon wurde dann überwacht und seine Facebookse­ite ausgewerte­t. Dabei kam heraus, dass er zumindest ein gewisses Interesse an Feuer zeigt. Zwei Posts beschäftig­ten sich mit dem großen Brand in einem Ravensburg­er Asia-Imbiss 2017. Am Tag nach dem Feuer in Sankt Jodok postete er auch etwas: ein niedliches Katzenbild und einen Bericht, in dem der Tod von Kardinal Lehmann betrauert wird.

Der Prozess wird heute fortgesetz­t.

„Ich bin gläubiger Christ. Ich wollte doch keine Kirche anzünden.“Aussage des Angeklagte­n vor dem Landgerich­t

„Ich mache was, dass es richtig knallt, aber nichts gegen Personen.“Der Angeklagte in einer Sprachnach­richt an einen Freund

 ?? FOTO: FEUERWEHR WANGEN ?? Millionens­chaden: Die Ravensburg­er Kirche Sankt Jodok wurde bei der Brandstift­ung im März 2018 schwer beschädigt.
FOTO: FEUERWEHR WANGEN Millionens­chaden: Die Ravensburg­er Kirche Sankt Jodok wurde bei der Brandstift­ung im März 2018 schwer beschädigt.

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