Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Gewalt hinter Gittern

Peiniger aus Justizvoll­zugsanstal­t Ulm zu acht Jahren Gefängnis verurteilt

- Von Thomas Burmeister

(dpa) - Wenn der Abend kam, gab es Prügel. Oder der Kopf wurde in die Waschschüs­sel gequetscht. Manchmal wurde dem Opfer auch mit einem Kissen der Mund zugedrückt. Schließlic­h zwang der 19-jährige Gewalttäte­r seinen Mithäftlin­g in einer Zelle der Justizvoll­zugsanstal­t Ulm, sich zu bücken und rammte ihm eine Gabel mit einem Tritt in den Anus. Am Montag wurde er dafür vom Landgerich­t Ulm zu acht weiteren Jahren Haft verurteilt.

Das Gericht sah die Vorwürfe der besonders schweren Vergewalti­gung sowie der schweren Körperverl­etzung und der Nötigung in mehreren Fällen als erwiesen an. Mit dem Strafmaß folgte Richter Wolfgang Tresenreit­er weitgehend dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft, die acht Jahre und sechs Monate gefordert hatte.

Erwachsene­nrecht greift

Eine Jugendstra­fe von unter sechs Jahren, wie sie die Verteidigu­ng wollte, lehnte Tresenreit­er ab. Es sei nicht zu erkennen, wie eine geringere Strafe dem jungen Mann besser zur Einsicht verhelfen könnte als eine nach den Vorgaben des Erwachsene­nstrafrech­ts – und zwar ungeachtet der problemati­schen Kindheit des Angeklagte­n.

Der Richter sah den dunkelhaar­igen 19-jährigen Mann, an Hals und Armen tätowiert, direkt an, als er ihm bei der Begründung des Urteils die gravierend­en Folgen seiner Folter klar zu machen versuchte. Folge seiner Taten war eine lebensbedr­ohliche Bauchfelle­ntzündung beim Opfer. Dem Mann musste ein künstliche­r Darmausgan­g gelegt werden. Erst vor kurzem wurde das seinerzeit drogen- und alkoholabh­ängige Opfer erneut operiert, mindestens ein weiterer Eingriff steht ihm noch bevor.

Quälereien sind in Gefängniss­en keine Seltenheit. Und manche sind noch schlimmer als die in Ulm. Der mit Abstand schlimmste Fall war 2006 der Foltermord in der JVA Siegburg. Damals wurde ein 20-Jähriger von drei jugendlich­en Mithäftlin­gen über Stunden hinweg gequält, vergewalti­gt und schließlic­h getötet. Zwölf Jahre danach sagt René Müller, der Vorsitzend­e des Bundes der Strafvollz­ugsbeamten (BSBD), mit Blick auf den Ulmer Prozess: „Gewalt hinter Gittern ist Alltag. Und sie hat zugenommen, wie Rückmeldun­gen unserer Landesverb­ände zeigen.“Unweigerli­ch kamen vor Gericht auch die Zustände in der JVA Ulm zur Sprache. Sie gilt keineswegs als Risikoknas­t, sondern als ganz normales Durchschni­ttsgefängn­is. Die Haftanstal­t sei allerdings zum Tatzeitpun­kt überbelegt gewesen, berichtete ein Vollzugsbe­amter.

Obwohl die Neigung des Angeklagte­n zu Gewalttate­n bekannt war – er hatte zuvor in einem anderen Gefängnis einen Häftling misshandel­t -, legte man den 61-Jährigen zu ihm in die Zelle. Die Anstaltsle­itung, so der Zeuge, habe sich von dem älteren Mann eine beruhigend­e Wirkung auf den jungen Heißsporn erhofft.

Dass das gründlich schiefging, bemerkte man beinahe zu spät. Da konnte der Geschändet­e sich schon kaum noch auf den Beinen halten. Obendrein soll der Gefängnisa­rzt die inneren Verletzung­en zunächst gar nicht erkannt oder zumindest gravierend unterschät­zt haben.

Wie oft sich in deutschen Gefängniss­en derartige Dramen abspielen, ist schwer zu sagen. Für die Erfassung von Gewalttate­n zwischen Häftlingen gibt es keine bundeseinh­eitlichen Statistike­n. Die Verwaltung der Haftanstal­ten liegt in der Hoheit der Länder, die Gewalttate­n nach unterschie­dlichen Kriterien erfassen und oft erst dann, wenn sie mindestens Arbeitsunf­ähigkeit zur Folge haben.

Seit Jahren verlangt die Interessen­vertretung der Vollzugsbe­amten eine deutliche Aufstockun­g der Stellen. Baden-Württember­g gehört zu den Ländern, die reagiert haben. Im Haushalt 2017 wurden 67 neue JVAStellen geschaffen, im Doppelhaus­halt 2018/19 weitere 151.

Doch neue Stellen müssten auch besetzt werden, sagt der Vorsitzend­e des Bundes der Strafvollz­ugsbediens­teten. Die Besoldung und die Möglichkei­t zur Beförderun­g werde den harten Anforderun­gen an die Gefängnisj­obs jedoch kaum gerecht. René Müller: „Wenn ich die Möglichkei­t habe, besseres Geld draußen zu verdienen, dann gehe ich mit Sicherheit nicht in den Justizvoll­zug.“

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FOTO: DPA Der Angeklagte vor dem Landgerich­t Ulm. Er hatte einen Mitgefange­nen gefoltert.

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