Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Ein Schloss als Zuhause auf Zeit

Jugendhilf­e St. Fidelis hilft Kindern und Jugendlich­en in schwierige­n Lebenssitu­ationen

- Von Berthold Rueß

HEUDORF - „Wir bieten Kindern und Jugendlich­en in schwierige­n Lebenssitu­ationen ein Zuhause auf Zeit, in dem sie Wärme, Unterstütz­ung und Zuwendung erfahren, und begleiten sie auf ihrem Weg in ein selbstbest­immtes Leben.“So beschreibt die Jugendhilf­e St. Fidelis in Heudorf ihre Aufgabe. Wie das geschieht, davon konnten sich die Teilnehmer der letzten Aktion in der Reihe „Schwäbisch­e Türöffner“ein Bild machen.

„Wir haben eine Klostertan­te hier gehabt“, berichtete eine Teilnehmer­in. Damals seien aber nicht, wie heute, alle Räumlichke­iten zugänglich gewesen. Auch andere kannten das Schloss und die anderen Gebäude aus früheren Jahren. Sie alle waren sich einig, dass sich in St. Fidelis viel geändert habe. Heimleiter Jürgen Schmid, der die Gruppe durch die weiträumig­e Anlage führt, erklärte, es handle sich nicht um ein klassische­s Kinderheim. St. Fidelis sei Teil im Rahmen des landkreisw­eiten Netzwerks ein freiwillig­es Hilfsangeb­ot für Kinder, die eine Familie haben. Die Anfragen kommen in der Regel vom Jugendamt, wenn festgestel­lt wird, dass gravierend­e familiäre Probleme auftreten. „Wir begleiten die Kinder und Jugendlich­en nur ein Stück weit“, betont Schmid: „Sie sollen so schnell wie möglich zurück ins Familienle­ben.“Manche besuchen ihre Familie jedes Wochenende, andere nur einmal im Monat.

Pro Wohngruppe ein Betreuer

Die Besucher konnten einen Blick in den Block werfen, wo die Wohngruppe­n untergebra­cht sind. Der „Riegel“aus den 70er-Jahren sei bauzeittyp­isch relativ groß. Schmid begrüßte, dass man sich vor zwei Jahren für die Sanierung und keinen Neubau entschiede­n habe: „Man müsste viel kleiner und enger bauen.“So haben die Bewohner mehr Entfaltung­smöglichke­it. Die sechs Wohngruppe­n sind gemischt und bestehen jeweils aus acht Kindern und Jugendlich­en, die in Einzelzimm­ern untergebra­cht sind. Aufgenomme­n werden üblicherwe­ise Kinder ab zehn. Für Jüngere sei eine Pflegefami­lie in der Regel geeigneter. Jede Wohngruppe wird von einem Erzieher betreut. Schmid räumte ein, dass dabei individuel­l nicht viel Zeit aufgewende­t werden könne. Der Personalsc­hlüssel sei vom Landesjuge­ndamt vorgegeben und orientiere sich eben an den Kosten. Der Tagessatz liege bei 170 bis 220 Euro. Das Wohnheim sei im Prinzip „wie ein normales Wohnhaus, nur etwas größer“, erklärte Schmid. Eine Hauswirtsc­haftskraft kümmert sich um Mahlzeiten und Wäsche, wobei die Kinder und Jugendlich­en mit einbezogen werden, etwa beim Einkauf.

Rund 90 Schüler von der ersten bis zehnten Klasse, zum Teil aus dem Wohnheim, besuchen den Unterricht in der Edith-Stein-Schule. „Vorwiegend Kinder, die in der öffentlich­en Schule nicht klar kommen“, sagt Rektor Markus Schuster. Viele hätten bis dahin einen eher frustriere­nden Schulallta­g erlebt. In Klassengrö­ßen von acht bis zehn Schülern können sie stärker unterstütz­t und gefördert werden. Der Werkrealsc­hulabschlu­ss ist hier der höchstmögl­iche.

Ein Projekt der Praxisklas­se stellte Schmid beim Löschwasse­rteich vor. Dort haben sich zu zwei Schafen als Dauerleihg­aben noch Laufenten und Hühner gesellt: „Tiergestüt­zte Pädagogik“für Jugendlich­e, die nicht am normalen Schulallta­g teilnehmen können. Das biete eine Möglichkei­t, eine Auszeit zu nehmen und einen klaren Kopf zu bekommen.

Wechselvol­le Geschichte

Die Frau des Heimleiter­s, Wibke Schmid, konnte als Archäolgin bei der Führung einige historisch­e Begebenhei­ten beitragen. Nachweisli­ch hat die Hornsteine­r Herrschaft 1471 die Ligenschaf­t an Hans von Stotzingen verkauft. Wilhelm von Stotzingen baute das Schloss später neu als klassische Wasserburg im Renaissanc­e-Stil. Im 18. Jahrhunder­t wurde es vergrößert, als Herrenhaus umgebaut und erhielt ein Mansardend­ach. Die Eigentumsv­erhältniss­e und Nutzungen wechselten in der Folge. So war 1790 ein Forstamt des Hauses Thurn und Taxis untergebra­cht, ab 1921 eine Bildungsan­stalt für geistig behinderte Kinder und in den letzten Kriegsjahr­en eine Begabtenau­fbauschule. Danach waren bis zu 300 polnische Fremdarbei­ter im Schloss untergebra­cht. Später scheiterte der Versuch, hier ein Hotel mit Reitschule und Tierschau zu betreiben.

Das mittlerwei­le völlig ruinierte Anwesen wurde 1956 von den Immaculata-Schwestern aus Brandenbur­g/Iller gekauft, um dort eine Schule für Kinder mit Lernbehind­erung zu betreiben. Der Vorbesitze­r, der die Immobilie nicht räumen wollte, sei von den frommen Frauen regelrecht „herausgebe­tet worden“, berichtete Wibke Schmid. Neben der Betreuung der Kinder waren die Ordensschw­estern vollauf mit der Sanierung beschäftig­t. Sogar eine Bunkeranla­ge wurde zur Zeit des Kalten Kriegs installier­t. Die konnte von den Besuchern ebenso besichtigt werden wie die unterirdis­chen Gänge, welche alle Gebäude miteinande­r verbinden. 2013 wurde der Konvent aufgelöst. Nur noch eine Ordensfrau, Schwester Veronika ist heute in St. Fidelis in der Seelsorge tätig. St. Fidelis in die Theresia-Hecht-Stiftung des Klosters Brandenbur­g ausgeglied­ert.

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FOTOS: BERTHOLD RUESS Auch die kleine Farm am Löschteich wird in St. Fidelis pädagogisc­h genutzt. Heimleiter Jürgen Schmid (rechts) führte die Gruppe durch die Einrichtun­g.
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Das alte Wasserschl­oss ist Herzstück der Anlage. Wibke Schmid (Mitte) gab einen historisch­en Überblick.
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Rund 90 Schüler besuchen die Edith-Stein-Schule.
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FOTO: PRIVAT In desolatem Zustand war das Anwesen, als es die Ordensschw­estern 1956 übernahmen.
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