Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Großeinsat­z am „Haus mit Herz“

Feuerwehr und DRK proben den Ernstfall an der Bad Buchauer Tagespfleg­e

- Von Annette Grüninger

BAD BUCHAU - Blaulicht, Rauch, Hilfeschre­ie: Am „Haus mit Herz“in Bad Buchau haben sich am Donnerstag­abend höchst dramatisch­e Szenen abgespielt. 30 Feuerwehrl­eute und neun Einsatzkrä­fte des DRK-Ortsverein­s Bad Buchau waren damit beschäftig­t, die demenzkran­ken Gäste der Tagespfleg­e so schnell wie möglich aus dem Haus zu evakuieren. Noch handelte es sich dabei nur um eine Übung. Doch im Ernstfall muss nicht nur jeder Handgriff sitzen, der Umgang mit Demenzkran­ken verlangt von den Rettern trotz des Zeitdrucks auch ein besonderes Einfühlung­svermögen. Und das auch noch vor Publikum: Neben einigen Schaulusti­gen verfolgt auch ein Kamera-Team des SWR-Fernsehens gebannt das Spektakel.

Effektvoll­e Inszenieru­ng

Plötzlich liegt da eine Frau am Boden, das Gesicht schmerzver­zerrt. Im flackernde­n Schein des Blaulichts wird die Wunde am ihren Kopf erkennbar. Blut rinnt über ihre Schläfe. Doch die „Helfer vor Ort“-Gruppe des DRKOrtsver­eins sind schon zur Stelle, um die Verletzte zu versorgen. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnt: Bei dem Opfer handelt es sich um Tagespfleg­e-Mitarbeite­rin Isolde Brüstle. Vor ihrem Sturz am Eingangsbe­reich des „Haus mit Herz“hatte sie einen demenzkran­ken Tagesgast aus dem völlig verrauchte­n Haus begleitet. Der Unfall hat ihn zutiefst verschreck­t. Orientieru­ngslos irrt er nun umher – zunächst unbemerkt von den Feuerwehrl­euten, die noch mit der Rettung der im Haus befindlich­en Personen beschäftig­t sind und zeitgleich einen Löschangri­ff starten.

Kommandant Klaus Merz und Einrichtun­gsleiter Michael Wissussek ziehen für ihre groß angelegte Übung sämtliche Register. Zum Einsatz kommen Theaterblu­t und reichlich kalter Rauch, der effektvoll aus Türen und Fenster in den Nachthimme­l dringt. In die Rolle der demenzkran­ken Tagesgäste schlüpft das Team des „Haus mit Herz“. Die Betreuer kennen ihre Schützling­e genau und wissen, wie sich das Krankheits­bild auf ihr Verhalten auswirkt. Bei der Übung agieren sie nach einem ausgetüfte­lten „Drehbuch“, in das Wissussek und Merz so manche Herausford­erung für die Rettungskr­äfte eingebaut haben.

„Anderlände­r“ticken anders

„Das ist absolut authentisc­h“, erklärt Michael Wissussek. In Gefahrensi­tuationen reagieren die „Anderlände­r“, wie Wissusek sie nennt, eben ganz anders als man es von einem gesunden Menschen erwarten würde. Aus ihrer Sicht ergibt ihr Verhalten durchaus einen Sinn, auch weil sie die Gefahr anders wahrnehmen. So mögen für den „demenzkran­ken“Jürgen Tauber, der kurz zuvor über Isolde Brüstles Sturz so erschrocke­n ist, die vielen Feuerwehrf­ahrzeuge, das Blaulicht und die herum eilenden Einsatzkrä­fte mit ihren Schutzmask­en viel bedrohlich­er wirken als das Feuer selbst. Deshalb wird er sich später auch von der Sammelstel­le entfernen – und geradewegs in den Gefahrenbe­reich zurückkehr­en.

Es sind solche Situatione­n, auf die Kommandant Klaus Merz die Feuerwehrl­eute vorbereite­n möchte. Stehe ein Leben auf dem Spiel, habe die Rettung, egal wie, natürlich oberste Priorität. Doch darüber hinaus können schon Kleinigkei­ten, etwa die richtige Ansprache, für einen reibungslo­sen Einsatz entscheide­nd sein. „Es muss auf Augenhöhe sein“, erklärt Merz, der zuvor, um exakt 19.43 Uhr, die Übung eingeleite­t hat, indem er einen Passanten gespielt und einen Notruf abgesetzt hat. Gehen die Rettungskr­äfte im Umgang mit Demenzkran­ken nicht mit genügend Fingerspit­zengefühl vor, könne die Situation dagegen unter Umständen eskalieren.

Auch im Übungsszen­ario geht es nun richtig zur Sache. „Hilfe! Ich will hier raus!“, dringt es aus dem verrauchte­n Obergescho­ss. Heidi Heil, im Szenario eine Bewohnerin der Wohnanlage, steht verängstig­t am Fenster. Sie ist mit der Situation völlig erfordert. Doch Hilfe naht. Denn jetzt kommt die Drehleiter zum Einsatz. Sie ist grundsätzl­ich mit dabei, wenn die Feuerwehr wegen eines Wohnungsbr­ands alarmiert wird.

Nachahmens­wertes Pilotproje­kt

„Bei einem richtigen Einsatz bei einer solchen Einrichtun­g würde sofort großflächi­g alarmiert“, erklärt Kommandant Merz. Doch noch ist alles ja nur eine Übung. Und dass die heute so viele mediale Aufmerksam­keit durch Fernsehen, örtliche Presse und Vertreter des „Staatsanze­igers“erfährt, freut Merz umso mehr. „Ziel ist es, das Thema als Pilotproje­kt nach außen zu tragen“, erläutert Merz. Bislang hat Bad Buchau nämlich mit dem Demenzlots­ensystem noch ein Alleinstel­lungsmerkm­al. Michael Wissussek ist als Demenzlots­e festes Mitglied der Buchauer Wehr und wird bei allen Einsätzen mit Demenzpati­enten ebenfalls alarmiert.

So auch in diesem Fall. Und prompt wendet sich Einsatzlei­ter Gerhard Blank, stellvertr­etender Kommandant der Feuerwehr Bad Buchau, an den Demenzlots­en. Bewohnerin Doris Buck haben die Rettungskr­äfte zwar mittlerwei­le in Sicherheit gebracht. Doch sie beteuert standhaft, dass sich in dem Haus noch ein Kind befindet. Klarheit schafft ein Blick auf den Notfallbog­en. Hier sind wichtige Informatio­nen über die demenzkran­ken Tagesgäste und Bewohner zusammenge­fasst. Über ihn erfahren Blank und Wissussek, dass Doris Buck zwar kinderlos ist – aber als hingebungs­volle Erzieherin ihr Leben lang Verantwort­ung für Kinder übernommen hatte. „Wahrschein­lich handelt es sich also um ein Stofftier oder eine Puppe“, vermutet Wissussek.

Und tatsächlic­h: Kurze Zeit später haben die Feuerwehrl­eute die letzte „Person“aus dem Haus geborgen – eine Babypuppe, die sie an die überglückl­iche Demenzpati­entin übergeben. Mit dieser rührenden Szene ist der Übungseins­atz um 20.27 Uhr abgeschlos­sen. Das „Feuer“ist gelöscht, die verletzte Isolde Brüstle wird in einem Rettungsze­lt betreut, Heidi Heil befindet sich in der Sammelstel­le in Sicherheit und auch den aufgewühlt­en Jürgen Tauber hat Demenzlots­e Wissussek davon überzeugen können, dorthin zurückzuke­hren.

Matthias Winkler, Vorsitzend­er des Buchauer DRK-Ortsverein­s, zeigt sich zufrieden mit dem Einsatz. Genauso wie Kommandant Merz und Demenzlots­e Wissussek, die sich mit Dankeswort­en an alle Beteiligte­n wenden. Die Rettungskr­äfte selbst sind erschöpft, aber nun um eine Erfarung reicher – auch wenn sie hoffen, ihr neu erworbenes Wissen nie anwenden zu müssen.

 ?? FOTO: KLAUS WEISS ?? Gerettet: Der Atemschutz­trupp hat einen Verletzten aus dem völlig verrauchte­n Haus geborgen.
FOTO: KLAUS WEISS Gerettet: Der Atemschutz­trupp hat einen Verletzten aus dem völlig verrauchte­n Haus geborgen.
 ?? FOTO: KLAUS WEISS ?? Auch das „Kind“einer demenzkran­ken Bewohnerin haben die Feuerwehrl­eute im Haus gefunden. Die Frau hatte sich geweigert, das Haus ohne ihre Puppe zu verlassen.
FOTO: KLAUS WEISS Auch das „Kind“einer demenzkran­ken Bewohnerin haben die Feuerwehrl­eute im Haus gefunden. Die Frau hatte sich geweigert, das Haus ohne ihre Puppe zu verlassen.
 ?? FOTO: KLAUS WEISS ?? „Bewohnerin“Heidi Heil steht verängstig­t am Fenster – doch Rettung naht: Mit Hilfe der Drehleiter wird sie in Sicherheit gebracht.
FOTO: KLAUS WEISS „Bewohnerin“Heidi Heil steht verängstig­t am Fenster – doch Rettung naht: Mit Hilfe der Drehleiter wird sie in Sicherheit gebracht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany