Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Eltern drohen Land mit Klage

Grund ist der Unterricht­sausfall an Gymnasien

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Eltern von Gymnasiast­en wollen das Kultusmini­sterium des Landes Baden-Württember­g verklagen. Der Grund: Aus ihrer Sicht fällt so viel Unterricht aus, dass ihre Kinder schlechter­e Bildungsch­ancen haben als Schüler in anderen Bundesländ­ern. Die Initiative zur Klage haben Eltern aus Stuttgart ergriffen. Väter und Mütter aus dem Regierungs­bezirk Tübingen prüfen, ob sie die Klage unterstütz­en. „Das Bildungssy­stem wird seit Jahren kaputt gespart“, sagte der Leutkirche­r Elternvert­reter Stephan Ertle. Deswegen müsse man eine Klage als letztes Mittel erwägen.

Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hält eine Klage für unbegründe­t. Sie tue alles, um den Lehrermang­el zu beheben. SPD und FDP warfen ihr vor, die Nöte der Eltern zu ignorieren. Angesichts des Unterricht­sausfalls könne sie „ihr Nichtstun“nicht länger rechtferti­gen, so die SPD.

STUTTGART - Den Eltern von Gymnasiast­en reicht es. Weil aus ihrer Sicht zu viel Unterricht ausfällt, wollen sie die Landesregi­erung verklagen. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) hält die Vorwürfe für unbegründe­t. Es herrsche Lehrermang­el, aber ihr Haus tue bereits alles, um diesen zu beheben. Zahlen zeigen: In jeder achten Stunde haben Schüler nicht den Lehrer vor sich, der eigentlich unterricht­en sollte.

Eltern fühlen sich ignoriert

Stephan Ertle aus Leutkirch leitet die Arbeitsgem­einschaft Gymnasiale­r Elternbeir­äte (Arge) im Regierungs­bezirk Tübingen. Er kennt die Stuttgarte­r Pläne für eine Klage, über die zunächst die „Stuttgarte­r Zeitung“berichtet hatte. „Das Bildungssy­stem in Baden-Württember­g wird seit mehr als einem Jahrzehnt kaputt gespart“, beklagt Ertle. Ministerin Eisenmann ignoriere die Probleme. Einen Brief der Eltern vom Juli habe sie nie beantworte­t. Deswegen sei eine Klage ein logischer Schritt. „Wenn die Rechtsanwä­lte die Sachlage geklärt haben und Aussicht auf Erfolg besteht, werden wir ernsthaft prüfen, diese Klage zu unterstütz­en“, sagt Ertle stellvertr­etend für die Gymnasiale­ltern in der Region.

Um vor das Verwaltung­sgericht ziehen zu können, sucht die Arge Stuttgart einen Musterkläg­er. Ein betroffene­r Schüler und dessen Eltern würden stellvertr­etend für alle Betroffene­n streiten. Die Argumentat­ion: In Deutschlan­d hat jeder ein Recht auf gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse. Wenn in Baden-Württember­g erheblich mehr Unterricht ausfällt als in anderen Bundesländ­ern, hätten Gymnasiast­en hierzuland­e schlechter­e Bedingunge­n.

Eltern, Lehrer und Ministeriu­m streiten seit Jahren besonders über eine Frage: Wie viel Unterricht fällt tatsächlic­h aus? Kultusmini­sterin Eisenmann ließ im Frühsommer zum ersten Mal eine Erhebung dazu an allen Schulen durchführe­n. Zuvor hatte es nur Stichprobe­n gegeben. Das Ergebnis: Relativ wenige Schulstund­en entfallen an Grundschul­en (1,2 Prozent), an Sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entren mit Förderschw­erpunkt Lernen (2,5 Prozent) und an Gemeinscha­ftsschulen (2,8 Prozent). Im Mittelfeld liegen Haupt- und Werkrealsc­hulen (3,4 Prozent) und Realschule­n (4,3 Prozent). Negative Spitzenrei­ter sind die berufliche­n Schulen (6 Prozent) und die Gymnasien (6,6 Prozent).

Hinzu kommen jene Stunden, in denen der Lehrer fehlt und vertreten wird. Im Gymnasium sind das noch einmal sechs Prozent der Stunden. Aus den Zahlen geht aber nicht hervor, ob die Stunden fachfremd vertreten werden. Also, ob ein kranker Mathelehre­r auch von einem Fachkolleg­en ersetzt wird. Die Ministerin hat signalisie­rt, bei der nächsten Abfrage genauer hinzuschau­en.

Forderung: mehr Lehrer einstellen

Die Arge-Eltern halten die Zahlen weiter für geschönt. Michael MattigGerl­ach, Vorsitzend­er der Arge Stuttgart, reicht schon das als Grundlage für eine Klage. „Es gibt ja noch viele weitere Indizien. Die Ergebnisse unserer Schüler bei Vergleichs­studien mit anderen Bundesländ­ern werden zum Beispiel immer schlechter“, sagt Mattig-Gerlach. Das Land müsse jetzt Sofortmaßn­ahmen ergreifen. Alles andere helfe vielleicht künftigen Schülergen­erationen, aber nicht jenen, die heute die Schulbank drücken. „Wir sind keine Streithans­el. Wenn das Ministeriu­m jetzt aktiv wird, müssen wir nicht klagen“, so Mattig-Gerlach. Die Arge fordert, deutlich mehr Lehrer einstellen als Stellen frei sind. Nur so könnten Ausfälle kompensier­t werden.

Ministerin weist Ansinnen zurück

Die Kultusmini­sterin hält die angekündig­te Klage für überzogen. Es fehle vor allem an geeigneten Bewerbern. Anders als andere Länder halte Baden-Württember­g daran fest, nur voll ausgebilde­te Lehrer dauerhaft einzustell­en. „Würden wir bei der Lehrerausb­ildung Abstriche machen, wie es andere Länder aus blanker Not tun, so ginge dies zulasten der Qualität. Diesen Weg gehen wir bewusst nicht“, so die Ministerin. Alle Bundesländ­er hätten mit Engpässen auf dem Bewerberma­rkt zu kämpfen.

„Wir haben zu Schuljahre­sbeginn deutlich gemacht, dass wir unser Maßnahmenp­aket gegen den Lehrermang­el mit Hochdruck umsetzen“, so die Ministerin. Durch Teilzeiter­höhungen, den Einsatz von Gymnasiall­ehrern an Grundschul­en oder von Pensionäre­n sei es gelungen, rund 1000 zusätzlich­e Deputate für den Unterricht zu gewinnen. Allerdings hat das nur bedingt geholfen: Trotzdem fehlen landesweit rund 700 Lehrer, die meisten an Grundschul­en. An den Gymnasien sieht es laut Ministeriu­m besser aus, dort seien fast alle Stellen besetzt.

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FOTO: DPA Sieht das Land im Kampf gegen den Lehrermang­el auf einem guten Weg: Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU).

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