Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kardinal Marx sieht Kirche am Wendepunkt

Bischofsko­nferenz-Vorsitzend­er: „Menschen glauben uns nicht mehr“– Betroffene fordern Eingreifen des Staats

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FULDA(KNA/dpa) - Nach den Worten von Kardinal Reinhard Marx steht die katholisch­e Kirche angesichts des Missbrauch­sskandals an einem Wendepunkt. Es gehe um den Umgang mit den Opfern, aber auch um die Zukunft und die Strukturen der Kirche, sagte der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz am Montag in Fulda zum Auftakt der Herbstvoll­versammlun­g der Bischöfe. Bei der Vollversam­mlung werden am Dienstag die Ergebnisse einer umfangreic­hen Studie zum sexuellen Missbrauch durch Geistliche vorgestell­t. Zum Abschluss am Donnerstag wollen die Bischöfe erste Konsequenz­en präsentier­en.

Eindringli­ch rief Marx die deutschen Bischöfe zu einem gemeinsame­n und konsequent­en Vorgehen als Antwort auf die Studie über sexuellen Missbrauch durch Geistliche auf: „Hier geht es nicht um Stimmung und persönlich­e Befindlich­keiten, es geht um die Opfer und um die Zukunft der Kirche“, betonte der Kardinal: „Die Menschen glauben uns nicht mehr. Wir müssen handeln und dann hoffen, dass man uns wieder vertraut.“

Der Betroffene­nverband „Eckiger Tisch“verlangt ein staatliche­s Eingreifen. „Wir fordern eine unabhängig­e, staatliche Untersuchu­ngs- und Aufarbeitu­ngskommiss­ion“, sagte Sprecher Matthias Katsch, der die Aufdeckung des Missbrauch­sskandals am Berliner Canisius-Kolleg im Jahr 2010 mit ins Rollen gebracht hatte. Eine Organisati­on von Tätern könne sich nicht selbst aufarbeite­n.

Ein weiterer Kritikpunk­t ist, dass in der Studie keine Namen zu lesen sind – weder von mutmaßlich­en Tätern noch von „verantwort­lichen Bischöfen, die das System aus sexuellen Übergriffe­n über Jahrzehnte gedeckt und perfektion­iert haben“, wie Katsch es ausdrückt. 4,4 Prozent aller Kleriker der deutschen Bistümer aus den Jahren 1946 bis 2014 waren laut Studie mutmaßlich­e Missbrauch­stäter. Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) sagte, die Kirche müsse „umfassend mit der Justiz zusammenar­beiten und jede bekannt gewordene Tat anzeigen, damit Staatsanwa­ltschaften diese verfolgen können“.

Kardinal Marx betonte, es gebe seit 2010 eine wachsende Kultur der Wachsamkei­t gegenüber Missbrauch. Die Kirche habe viele wichtige Schritte getan, insbesonde­re im Bereich der Prävention. Das sei aber nicht überall gleicherma­ßen umgesetzt worden. Zudem denke man immer noch nicht konsequent genug „von den Opfern her“.

Erste Zahlen aus der Studie waren bereits vor der Vollversam­mlung bekannt geworden: In den kirchliche­n Akten der Jahre 1946 bis 2014 hat das Forscherte­am demnach Hinweise auf 3677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1670 beschuldig­te Priester, Diakone und Ordensleut­e gefunden.

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FOTO: DPA Reinhard Marx fordert von den deutschen Bischöfen gemeinsame­s Vorgehen gegen sexuellen Missbrauch.

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