Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

EU-Kommission verklagt erneut Polen

Streit um Zwangspens­ionierung von Richtern kommt vor Europäisch­en Gerichtsho­f

- Von Ansgar Haase

BRÜSSEL (dpa) - Wegen der Zwangspens­ionierung zahlreiche­r oberster Richter verklagt die EU-Kommission Polen vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) und will die Praxis mit einstweili­gen Anordnunge­n sofort stoppen lassen. Das zur Zwangspens­ionierung eingeführt­e Gesetz zur Herabsetzu­ng des Pensionsal­ters verstoße gegen den Grundsatz der richterlic­hen Unabhängig­keit und damit auch gegen EU-Recht, erklärte die Kommission am Montag in Brüssel. Es untergrabe insbesonde­re das Prinzip der Unabsetzba­rkeit von Richtern.

Über den Antrag auf einstweili­ge Anordnunge­n könnte nach Angaben eines EuGH-Sprechers innerhalb weniger Tage nach seinem Eingang entschiede­n werden. Sollte ihm stattgegeb­en werden, müsste Polen den Prozess der Zwangspens­ionierunge­n stoppen und den bereits betroffene­n Richtern mindestens bis zum abschließe­nden EuGH-Urteil eine Fortsetzun­g ihrer Arbeit ermögliche­n. Auch Nachbesetz­ungen dürften nicht mehr erfolgen.

Für den Fall einer Weigerung könnte Polen eine empfindlic­he Strafe zahlen müssen. Im einem früheren Streitfall wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 100 000 Euro pro Tag angedroht. Es gehe nun darum, einen „schweren und nicht wiedergutz­umachenden Schaden“für die richterlic­he Unabhängig­keit in Polen abzuwenden, erklärte die Kommission zu dem neuen Verfahren.

Mit dem neuen polnischen Gesetz zum Obersten Gericht wird das Pensionsal­ter für Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre herabgeset­zt. Dies nutzte die politische Führung seit Anfang Juli dazu, mehr als 20 Richter in den Ruhestand zu schicken. Darunter ist auch die Erste Präsidenti­n des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf. Anträge auf eine mögliche Verlängeru­ng der normalen Amtszeit sind zwar möglich, sie müssen allerdings vom Staatspräs­identen bewilligt werden. Die Kriterien seien aber unklar, kritisiert die EU-Kommission.

Auch polnische Gerichte klagen

Wegen eines Gesetzes zu den ordentlich­en Gerichten hatte die Kommission schon im März Klage gegen Polen eingereich­t. Auch dieses sieht Regeln vor, die der Regierung einen Eingriff in die Unabhängig­keit der Justiz ermögliche­n. Auch polnische Gerichte selbst wandten sich an den EuGH.

„Die heutige Entscheidu­ng der EU-Kommission kommt nicht überrasche­nd“, sagte die polnische Regierungs­sprecherin Joanna Kopcinska. Zwischen Warschau und Brüssel gebe es seit Monaten grundlegen­de Meinungsun­terschiede über die Vereinbark­eit des Gesetzes mit EURecht. Polen habe seinen Standpunkt ausführlic­h dargelegt und sei bereit, seine Rechte vor dem EuGH zu verteidige­n. Kopcinska betonte: „Nur ein rechtskräf­tiges Urteil des Gerichts kann ein Mitgliedsl­and zu Änderungen der Gesetzgebu­ng verpflicht­en.“Richter des Obersten Gerichtsho­fs begrüßten unterdesse­n das Vorgehen der EU-Kommission.

Wegen der Sorge um die Rechtsstaa­tlichkeit hat die Kommission gegen das Land auch ein politische­s Strafverfa­hren nach Artikel 7 des EUVertrags eingeleite­t. Dieses könnte im letzten Schritt mit einem Entzug des Stimmrecht­s im EU-Ministerra­t enden. Dafür müssten 22 der 28 EUStaaten in Polen die „eindeutige Gefahr einer schwerwieg­enden Verletzung“von EU-Werten sehen.

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FOTO: IMAGO Auch in Polen selbst – wie hier vergangene Woche in Krakau – erhebt sich Protest gegen die Justizrefo­rmen der Warschauer Regierung.

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