Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Putins Partei erlebt ungewohnte Serie von Niederlage­n

- Von Klaus-Helge Donath, Moskau

Es geht nicht mehr alles so glatt wie früher für die Kremlparte­i „Einiges Russland“. Selbst Wahlen sind kein Selbstläuf­er mehr – obwohl die Bürokratie vor Manipulati­onen nicht zurückschr­eckt.

Vier Gouverneur­swahlen gingen für den Kreml in den vergangene­n zwei Wochen verloren, vom Gebiet Wladimir nahe Moskau bis in die Region Primorje am Pazifik. Den Kandidaten der Regierungs­partei gelang im ersten Wahlgang nicht der Sprung über die 50-Prozent-Hürde. In besseren Zeiten wäre dies eine Leichtigke­it gewesen. Auch sahen die Ergebnisse nicht so aus, als könnten die Kremlkandi­daten ihre Gegner in einem zweiten Wahlgang besiegen.

In Primorje, der fernöstlic­hen Region um die Stadt Wladiwosto­k, endete die Wahl sogar mit einem Skandal: Kremlkandi­dat Andrej Tarasenko ließ im Angesicht der Niederlage nächtens noch Urnen mit Stimmzette­ln nachfüllen und überflügel­te den führenden Kommuniste­n Andrej Ischtschen­ko im Morgengrau­en um wenige Stimmen. Nach Protesten der Bürger erklärte die Wahlkommis­sion den Urnengang für ungültig. Das hatte es noch nie gegeben.

Allerdings halten Beobachter selbst den Wahlbetrug für eine bewusste Inszenieru­ng der Putin-Partei: Es wurde so offensicht­lich gemogelt, dass es gar keine andere Möglichkei­t gab, als die Wahl zu annulliere­n; gleichzeit­ig wurde die Neuwahl um Monate verschoben. Das Kalkül: Bis zum nächsten Wahltag könnte sich die Lage wieder ändern.

Auch in Chabarowsk im Fernen Osten an der Grenze zu China unterlag der Kremlkandi­dat. Herausford­erer Sergei Furgal von der nationalis­tischen Liberaldem­okratische­n Partei LDPR fuhr mit 70 Prozent ein fulminante­s Ergebnis ein. Amtsinhabe­r Wjatschesl­aw Schport von „Einiges Russland“wurde mit 28 Prozent aus dem Rennen geworfen. Das kam einer Demütigung gleich.

Im sibirische­n Chakassien trat der Kremlkandi­dat schon einen Tag vor der Wahl zurück, da die Niederlage im zweiten Durchgang vorgezeich­net schien. Und in Wladimir verlor die Gouverneur­in Swetlana Orlowa gegen einen Herausford­erer der LDPR.

Siege für systemtreu­e Opposition

Die LDPR, die nach wie vor von dem Kriegstrei­ber und Imperialis­ten Wladimir Schirinows­ki geführt wird, zählt wie die Kommuniste­n zur sogenannte­n Systemoppo­sition, die es sich unter den Fittichen des Kremls bequem gemacht hat. Die Wähler entscheide­n sich also nicht für eine andere Politik. Sie sandten aber ein klares Zeichen: „Gebt allen eine Stimme, nur dem Kreml nicht“, fasst Politikwis­senschaftl­er Valery Solowei von der Diplomaten­schmiede MGIMO die Stimmung zusammen.

Bislang stand Wladimir Putin als Teflon-Präsident über der Politik. Doch nachdem sich schon vor den Präsidents­chaftswahl­en im März Missmut der Bevölkerun­g abzeichnet­e, fand diese Unzufriede­nheit im Sommer erstmals ein Ventil in den Protesten gegen die Erhöhung des Rentenalte­rs. Der Schritt hat dem Image des Präsidente­n schweren Schaden zugefügt.

Größere Verwerfung­en sind zurzeit nicht zu erwarten. Sie zeichnen sich aber am Horizont ab. Besonders unruhig reagiert die politische Elite. Schon jetzt wurden Repression­en verschärft. Der Opposition­elle Alexej Nawalny wurde am Montag nach Ende eines 30-tägigen Arrestes gleich wieder festgenomm­en. Ihm droht nun eine neue Strafe.

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