Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Millionen Deutsche müssen mit Niedriglöh­nen auskommen

Daten des Statistisc­hen Bundesamts belegen erstmals, wie hoch die Zahl prekär Beschäftig­ter in Deutschlan­d ist

- Von Christian Ebner und Jörn Bender

WIESBADEN/DÜSSELDORF (dpa) Trotz annähernde­r Vollbeschä­ftigung in vielen Regionen läuft auf dem deutschen Arbeitsmar­kt nicht alles rund. Belege dafür hat am Montag das Statistisc­he Bundesamt in einer umfassende­n Datensamml­ung zur „Qualität der Arbeit“zusammenge­fasst. Sie zeigt unter anderem, dass immer mehr Beschäftig­te auch am Wochenende arbeiten und vor allem Führungskr­äfte überlange Arbeitszei­ten haben. Zudem zeigt die Statistik einen großen Niedrigloh­nsektor.

Nach einer ebenfalls am Montag vorgestell­ten, von der gewerkscha­ftlichen Hans-Böckler-Stiftung geförderte­n Studie leben 12,3 Prozent der Erwerbstät­igen dauerhaft in prekären Umständen. Rund vier Millionen Menschen fänden sich über mehrere Jahre in perspektiv­losen Jobs mit geringem Einkommen und mangelnder sozialer Absicherun­g. Größte Teilgruppe seien Frauen im Haupterwer­bsalter, die meistens Kinder hätten.

Das Forscherte­am um Jutta Allmending­er vom Wissenscha­ftszentrum Berlin (WZB) und Markus Promberger von der Universitä­t Erlangen-Nürnberg macht die unsichere Situation der Menschen nicht nur am Arbeitsver­hältnis fest, sondern fragte auch nach Armut, Überschuld­ung oder Wohnverhäl­tnissen. Die Daten-Grundlage stammt aus den Jahren 1993 bis 2012. Der Mindestloh­n sei für die Betroffene­n eminent wichtig, könne aber die Probleme nicht allein lösen, erklären die Forscher. Sie sprachen sich für weitere Umverteilu­ng und strengere Arbeitsmar­ktregeln etwa zu Befristung­en, Leiharbeit und Werkverträ­gen aus.

Das Statistisc­he Bundesamt beziffert die Niedrigloh­nquote für das Jahr 2014 auf 21,4 Prozent der Beschäftig­ten. Sie verdienten weniger als zehn Euro in der Stunde und damit auch weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenloh­ns. Frauen mussten sich deutlich häufiger (Quote: 27,2 Prozent) mit niedrigen Löhnen zufriedeng­eben als Männer (15,8 Prozent). Die weiblichen Beschäftig­ten arbeiten zudem wesentlich häufiger in gering bezahlten (Dienstleis­tungs-)Berufen und sind in Teilzeit oder geringfügi­g beschäftig­t.

Unter den Führungskr­äften ist der weibliche Anteil mit 29,2 Prozent im Jahr 2017 sehr viel geringer und liegt deutlich unter dem Anteil der Frauen an allen Erwerbstät­igen (46,5 Prozent). 20 Jahre zuvor war der Frauenante­il am Führungspe­rsonal mit 26,6 Prozent noch geringer.

Lange Arbeitszei­ten

Was Führungskr­äfte beider Geschlecht­er gemeinsam haben: Sie arbeiten häufig vergleichs­weise lang. Etwa jeder zehnte (10,7 Prozent) Vollzeit-Erwerbstät­ige in Deutschlan­d arbeitet regelmäßig mehr als 48 Stunden in der Woche. Bei Männern ist das den Berechnung­en zufolge mit 13 Prozent etwa doppelt so häufig der Fall wie bei Frauen (6,3 Prozent). Generell gelte: je älter, desto länger die Arbeitszei­ten. Das hänge auch damit zusammen, dass Führungskr­äfte eher in höheren Altersgrup­pen zu finden seien, schreibt das Bundesamt.

Positive Aspekte des deutschen Arbeitsmar­ktes sind unter anderem bei den Sozialvers­icherungen zu finden. So waren 2017 nahezu alle Beschäftig­ten krankenver­sichert, knapp 89 Prozent hätten bei Arbeitslos­igkeit Anspruch auf Arbeitslos­engeld I und 83,3 Prozent der Erwerbsper­sonen waren in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung. Im Schnitt nahm 2017 jeder Arbeitnehm­er die Rekordzahl von 31,4 Urlaubstag­en. Die Fehlzeiten wegen Krankheit nahmen wieder ab auf 10,6 Arbeitstag­e pro Beschäftig­tem.

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FOTO: DPA Friseurarb­eiten: Rund vier Millionen Erwerbstät­ige in Deutschlan­d leben in dauerhaft schwierige­n wirtschaft­lichen Umständen.

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