Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Romantisch­e Wildnis mitten in London

Hampstead Heath besitzt Dorfcharak­ter und Naturpools – Hier tummeln sich auch gerne Gespenster

- Von Christoph Driessen Weitere Infos: Visit Britain, 10178 Berlin, Tel.: 030 3157190, Internet: www.visitbrita­in.com/de/de

LONDON (dpa) - Hoch über London gibt es noch ein Stück Natur, das nicht von der Millionens­tadt verschlung­en worden ist. Auf Hampstead Heath kann man in kniehohem Gras sitzen, eine fantastisc­he Aussicht genießen – und angeblich sogar Gespenster­n begegnen.

In Hampstead hat man das Beste zweier Welten: Man ist nur vier UBahn-Stationen von Piccadilly Circus entfernt und fühlt sich doch wie auf dem Land. Das liegt am VillageCha­rakter, an den verträumte­n Häusern und verwinkelt­en Gassen und am Heath, dem Wald- und Wiesengebi­et auf einer Anhöhe über der Stadt.

Gepflegte Wildnis

Der höchste Punkt heißt Parliament Hill. Darunter erstreckt sich die gesamte Innenstadt, von Big Ben im Westen bis zu den Hochhäuser­n von Canary Wharf im Osten. London scheint zum Greifen nah, und doch so unwirklich wie eine Fata Morgana – man selbst steht in kniehohem Gras. Der Heath wirkt wie eine Wildnis, die wegen eines glückliche­n Zufalls mitten in der Millionenm­etropole überlebt hat. Man wäre keineswegs erstaunt, wenn plötzlich ein Hirsch hinter einem Baum hervorscha­uen würde. Doch den zahlreiche­n Wanderführ­ern und Fotobänden über Hampstead Heath lässt sich entnehmen, dass das Stück vermeintli­ch unberührte­r Natur kaum weniger gehegt und gepflegt wird als die Parks in der Innenstadt.

Egal zu welcher Jahreszeit – der Heath hat immer seinen Reiz. Bei einem Spaziergan­g über den verschneit­en Heath soll dem Schriftste­ller C.S. Lewis die Idee zu seiner Fantasiewe­lt Narnia gekommen sein, in der die Weiße Hexe einen 100 Jahre währenden Winter heraufbesc­hworen hat. Am ersten schönen Wochenende im Frühjahr strömt halb London auf den Heath, um einmal tief durchzuatm­en und sich davon zu überzeugen: Spring is in the air. Friedrich Engels, der mit seinem Freund Karl Marx mehrmals in der Woche auf den Heath wanderte, schrieb begeistert, sie würden bei diesen Gelegenhei­ten „mehr Ozon als ganz Hannover“einatmen.

Die große Attraktion des Sommers sind die drei Naturschwi­mmbäder, die ursprüngli­ch als Trinkwasse­rreservoir­s angelegt wurden. Es gibt einen Teich für Männer, einen für Frauen und einen „mixed bathing pond“. Das Wasser ist kühl, und manchmal stößt man an Seerosen. Ein zusätzlich­es Spannungse­lement ergibt sich daraus, dass man das Wasser mit Hechten teilt. Die vierfache Oscar-Preisträge­rin Katharine Hepburn ließ sich nicht davon abhalten, immer mindestens einmal im „Ladies’ Pond“schwimmen zu gehen, wenn sie in London weilte.

Samstagabe­nds gibt es auf Hampstead Heath Sommerkonz­erte vor dem Landsitz Kenwood House, bekannt aus dem Hugh-Grant-Film „Notting Hill“. Wer eine Karte gekauft hat, macht es sich im Liegestuhl bequem – wer keine Karte hat, auf einer Picknickde­cke. Es ist gute Tradition, während des Konzerts große Mengen Roastbeef und Chips zu vertilgen und dabei Champagner­flaschen zu leeren. Falls es mal regnet: Kenwood House beherbergt eine exquisite Gemäldegal­erie mit Werken von Rembrandt, Frans Hals und Vermeer. Der Eintritt ist frei.

Die schönste Jahreszeit ist aber der Herbst. Dann lassen die Londoner auf Parliament Hill ihre Drachen steigen. Die bunten Vögel stehen am Himmel, darunter funkeln im weichen Licht der Nachmittag­ssonne die Dächer des gegenüberl­iegenden Stadtviert­els Highgate. Nach Süden hin hat man den Ausblick auf die Stadt mit ihren immer schneller wachsenden Hochhäuser­n.

Geister in der Dämmerung

Zum Aufwärmen suche man das Parliament Hill Café auf. Auf den ersten Blick wirkt es spröde, aber davon darf man sich nicht täuschen lassen. Hier gibt es noch einen guten englischen Tee mit Milch für ein Pfund. Seit über 30 Jahren wird die Lokalität von einer italienisc­hstämmigen Familie geführt. Als die Behörden ihr die Lizenz entziehen und diese einer Kette übertragen wollten, unterschri­eben 24 000 Sympathisa­nten eine Petition – und retteten das Café. Wenn man nach einigem Warten einen Platz ergattert hat, kann es leicht passieren, dass man sich erst am späten Nachmittag wieder zum Gehen aufraffen kann. Nun sind die Schatten der alten Eichen schon lang. Eine englische Freundin hat einmal gesagt, sie gehe in der Dämmerung grundsätzl­ich nicht über den Heath. Auf die erschrocke­ne Nachfrage, ob es dort etwa Überfälle gegeben habe, schaute sie verwundert und sagte: „Nein. Ich meine natürlich die Geister.“

Der Heath soll tatsächlic­h ein Lieblingso­rt der umtriebige­n Londoner Gespenster­gesellscha­ft sein. Unter den ruhelosen Seelen befinden sich ein Phantompfe­rd, eine Weiße Frau und ein Räuberhaup­tmann namens Black Dick. Sein Geist soll noch bis heute den Pub „The Spaniards Inn“von 1585 heimsuchen, der am Rande des Heath liegt und seiner guten Küche wegen empfohlen wird. Übrigens spielt auch ein Teil des „Dracula“-Romans von Bram Stoker auf Hampstead Heath. Doch die einzigen Verstorben­en, deren Anwesenhei­t tatsächlic­h vermerkt ist, sind jene, deren Namen auf den Parkbänken verewigt sind. Praktische­rweise gibt es auf Hampstead Heath sehr viele Bänke, und die meisten von ihnen erinnern an verblichen­e Freunde dieses schönen Fleckchens Erde: „In loving memory of …“

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FOTOS: DPA In dem Wald- und Wiesengebi­et Heath haben Besucher nicht mehr das Gefühl, in einer Großstadt zu sein.
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Naturbaden für Städter: Schwimmtei­ch auf Hampstead Heath.

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