Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Von der eigenen Courage überrascht
Unionsfraktion stürzt Volker Kauder – Kanzlerin Merkel räumt eine weitere Niederlage ein
BERLIN - Da verschlug es selbst Ralph Brinkhaus die Sprache. Als sein Wahlsieg mit 125:112 Stimmen verkündet wurde, war die Fraktion erst einmal geplättet. Sogar der Sieger, der neue Fraktionsvorsitzende Brinkhaus konnte zunächst einmal gar nichts sagen. „Der war von der Rolle“, berichteten Abgeordnete später.
Der unterlegene Volker Kauder gratulierte gefasst seinem Nachfolger, doch dann zog sich der Fraktionsvorstand zurück, um sich zu sortieren. Denn mit dem Sturz des 69jährigen langjährigen Fraktionschefs hatte kaum jemand gerechnet.
Man muss schon weit zurückschauen, um darauf zu stoßen, dass ein Unionsfraktionsvorsitzender einen Gegenkandidaten hatte. Das letzte Mal war dies im Mai 1973 der Fall, als nach Rainer Barzels Rücktritt die CDU-Politiker Karl Carstens, Richard von Weizsäcker und Gerhard Schröder gegeneinander antraten. Karl Carstens gewann. Nun also, 45 Jahre später, hatte Volker Kauder nicht nur einen Herausforderer, sondern er wurde sogar von dem Ost-Westfalen Brinkhaus besiegt.
Zu treu an Merkels Seite
Kauder hatte bereits bei der letzten Wahl zum Fraktionsvorsitzenden nur 75 Prozent der Stimmen bekommen. Manche werfen ihm vor, die Unionsfraktion nicht genügend zu profilieren – notfalls gegen die Kanzlerin. Tatsächlich stand Kauder als Fraktionsvorsitzender 13 Jahre treu an der Seite Angela Merkels. Bei der Finanzkrise, dem Atomausstieg und der Flüchtlingskrise: Kauder hat immer wieder die Mehrheiten für die Kanzlerin sichergestellt. Und er führte die Fraktion so lange wie kein Unionsfraktionschef vor ihm.
Freund und Feind gleichermaßen attestieren Kauder, dass auf sein Wort Verlass ist. Auch der Biberacher Abgeordnete Josef Rief sagte, er habe sich von ihm immer gut vertreten gefühlt. Rief sprach von einer bitteren Stunde für den Fraktionschef. „Politik kann brutal sein.“
Fair gekämpft
Auffällig ist aber auch, dass selbst Kauder-Freunde wie Rief nur gute Worte über Ralph Brinkhaus fanden, der fair gekämpft habe. In seiner Rede vor den Abgeordneten trat der Herausforderer mit dem Versprechen an, der Fraktion mehr Gewicht gegenüber der Regierung zu verleihen und stärker im Team zu spielen. Dieser Sehnsucht sollen auch Abgeordnete im Parlamentskreis Mittelstand kurz zuvor noch Ausdruck verliehen haben. Mit seiner Rede vor der Fraktion hat Brinkhaus dann wohl noch einige überzeugt. Er sagte, ein Signal des Aufbruchs sei nötig. Die Union verliere Vertrauen und erreiche die Menschen nicht mehr.
Sowohl Kauder als auch Merkel hatten dagegen den Wert der Stabilität gelobt. Der bisherige Fraktionschef hatte der Wahl im Vorfeld gelassen entgegengesehen. Schließlich hatte sich die gesamte Unionsspitze für ihn ausgesprochen – Seehofer, Dobrindt, Merkel. Nach den vergangenen Wochen, „in denen sich die Große Koalition nicht mit Ruhm bekleckert hat“, wie der Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer sagte, wollte man eigentlich zur parlamentarischen Arbeit zurückkehren. „Volle Konzentration auf die Sacharbeit“, hatte auch Merkel gefordert.
Den Schneid, nun den Vertrauten der Kanzlerin abzustrafen und damit eine neue Personaldiskussion auszulösen, die vor Merkel nicht halt machen wird, hatten viele der Unionsfraktion nicht zugetraut. Doch nun ist wieder alles anders, die Abgeordneten bestehen auf einem Neuanfang.
CSU-Chef Horst Seehofer versuchte, die Abwahl von Kauder tief zu hängen. „Volker Kauder hat eine sehr gute Arbeit geleistet, und Herr Brinkhaus wird das auch tun“, sagte er. Ist das ein Erbeben? „Ach“, meinte Seehofer, „das muss man nicht immer so dramatisch sehen.“So sei das in der Demokratie.
Vielleicht ein schlechtes Gewissen
Doch vielleicht überfiel den ein oder anderen Abgeordneten doch noch ein schlechtes Gewissen. Denn für Kauder gab es zum Abschied Standing Ovations, seine Arbeit wurde von vielen gewürdigt. Allen voran von Merkel, die ihm noch einmal dankte.
Die Kanzlerin räumte gleichzeitig zum zweiten Mal in dieser Woche einen Rückschlag ein. Natürlich sei das eine Niederlage, da gebe es nichts zu beschönigen, sagte Merkel. Aber sie werde Ralph Brinkhaus, wo immer das geht, unterstützen. „Ich möchte, dass die Unionsfraktion erfolgreich weiterarbeitet“, meinte sie, etwas blass im Gesicht.
Brinkhaus selbst trat bescheiden vor die Kameras, ohne zu triumphieren. „Ich freue mich riesig“, meinte er. Jetzt gehe es darum, ganz schnell wieder an die Arbeit zu kommen.