Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Längst nicht ausgeknipst
Analoge Kameras sind wieder in – Vor allem junge Leute schätzen Retrofotografie
KÖLN (dpa) - Eine Filmrolle einlegen, spannen, wohl überlegt und nur 36 Mal auslösen, das Filmdöschen dann zur Entwicklung bringen und gespannt auf die Bilder warten. Alles von vorgestern? Weit gefehlt. Bei genauem Lichte zeigt sich: Die gute alte Analogkamera ist wieder da. „Es ist eine Hipster-Faszination. Vor allem viele junge Leute finden es wieder cool, mit einer alten Kamera und mit einem Film rumzulaufen und sich damit von den anderen abzusetzen“, schildert Michael Ebert, geschäftsführender Vorstand der Gesellschaft für Photographie, zum heutigen Start der weltgrößten Fotomesse Photokina. „Es ist ein bisschen so wie mit der Schallplatte.“
„Die Analogfotografie ist wieder im Kommen“, beobachtet auch Constanze Clauß vom PhotoindustrieVerband (PIV). „Viele fasziniert die Begrenzung auf 36 Bilder, die Entschleunigung, das Warten auf die einzelnen Bilder.“Indikatoren für ein Wachstum: Die Nachfrage nach gebrauchten Analogkameras im Internet und bei Fotohändlern steige – und zugleich auch der Preis. Händler meldeten, dass der Kauf von Equipment fürs Fotolabor zugelegt habe. Das Angebot für Filme sei groß, es würden auch neue eingeführt.
Warum wieder verstärkt ein Auge auf die analoge Fotografie geworfen wird? „Es ist schön retro. Es hat einen Riesenreiz, weil es viel anspruchsvoller ist als das gewohnte DigiKnipsen“, sagt Oliver Rausch, Leiter einer Fotoschule. Bei Belichtung, Schärfe, Motivauswahl sei der Fotograf gezwungen, sich vor jeder einzelnen Aufnahme genau zu konzentrieren.
Kommt der Trend auch als spürbares Plus bei Herstellern und Handel an? Seit einigen Jahren werden Marktdaten zur analogen Fotografie laut PIV nicht mehr erfasst, weil es hier nur noch wenige Hersteller gebe. 2018 werden laut Verband voraussichtlich rund 2,35 Millionen Digitalkameras verkauft und damit nur noch knapp eine Milliarde Umsatz erzielt. Die Analogen dürften sich im Nischenbereich wiederfinden.
Besondere optische Effekte
Für viele engagierte Hobbyfotografen, Künstler oder Berufsfotografen sei die Analogkamera hochattraktiv. „Bei bestimmten Systemen und entsprechenden handwerklichen Fähigkeiten lassen sich besondere optische Effekte erzielen, man kann sich im Bildstil abheben“, weiß Ebert. Allerdings: „Analog ist es auch aufwendiger, anstrengender und kostspieliger als mit Digitalkameras und Smartphones, die ja zum Teil unglaubliche Ergebnisse erzielen.“
Vielleicht auch ein Plusfaktor für die Analogen: Nach dem rasanten Siegeszug der Digitalkameras sind technische Quantensprünge wohl erst mal nicht mehr zu erwarten. „Wir sind in den ersten Jahren der digitalen Revolution durch stürmische Wasser gefahren und jetzt steckt die digitale Fototechnologie nach vielen Innovationen und auf einem sehr hohen Niveau an einem Endpunkt fest“, meint Hochschuldozent Ebert.
Verbandssprecherin Clauß ist sicher: „Analoge Fotografie wird es immer geben.“Geradezu einen Boom erlebten die Sofortbildkameras. Erst waren sie hart vom Aussterben bedroht, dann folgte ein großes Comeback. Weltweit. Im Jahr 2016 seien 235 000 verkauft worden, und 2018 werden es wohl 570 000 Stück sein. Der PIV spricht von einem „generationsübergreifenden Kultstatus“. Die sofort greifbaren Fotos würden zunehmend als Unikate geschätzt.
Ebert sieht Licht und Schatten bei den analogen Sofortbildkameras, bei denen fotochemisches Verfahren und Labor eingebaut sind. Viele neue Modelle seien auf dem Markt und heiß begehrt, denn: „Sofortbilder sind nett und witzig. Es macht Spaß, auf Partys den Leuten plötzlich ihre Bilder entgegenzuhalten.“Aber: Die Fotos seien zum Teil nur visitenkartengroß, recht teuer und die Qualität nicht so überzeugend.