Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Generation­en atmen in Sigmaringe­ndorf Theaterluf­t

Die Waldbühne feiert ihr 90-jähriges Bestehen – Bilanz des rein ehrenamtli­chen Engagement­s ist beachtlich

- Von Corinna Wolber www.waldbuehne.de

SIGMARINGE­NDORF - 80 Erwachsene­nstücke, 40 Kinder- und Jugendstüc­ke, mindestens 700 Ehrenamtli­che und Tausende Zuschauer: Die Sigmaringe­ndorfer Waldbühne feiert in diesem Jahr ihr 90-jähriges Bestehen.

Die Geschichte des Theaterver­eins beginnt bereits im Jahr 1846 mit der Gründung der „Liebhaber-Theater-Gesellscha­ft“. Deren Mitglieder „haben nicht jedes Jahr, aber immer wieder Theater gespielt“. Das sagt Walter Kordovan, Vorsitzend­er des Theaterver­eins Waldbühne. Spielstätt­e ist der Adler-Saal in der heutigen Pizzeria Penisola. Die Schauspiel­truppe sieht sich dann irgendwann eine Freilichta­ufführung auf dem Hohentwiel an und ist völlig begeistert. Es entsteht die Idee, ebenfalls ein Freilichtt­heater zu gründen – und es ist der Vereinsvor­sitzende Josef Wintergers­t, der diese Idee zielstrebi­g in die Tat umsetzt. Ein geeigneter Platz ist schnell gefunden: Es ist derselbe wie heute noch. „Die Waldbühne war damals noch eine Sandgrube, die aber bereits nicht mehr in Betrieb war“, sagt Kordovan. Auch die Ausrichtun­g des Zuschauerr­aums hat sich in all den Jahren nie geändert. „Bloß Bäume gab es auf der Waldbühne früher viel mehr.“

In den Jahren 1927 und 1928 bauen die Mitglieder die Freilichtb­ühne in Eigenregie, noch im Jahr 1928 feiert das erste Stück auf der Waldbühne Premiere – „Der arme Heinrich“von Gerhart Hauptmann. Fortan bringt der Verein jedes Jahr ein Stück auf die Bühne, Klassiker meistens: Schiller, Grillparze­r, Goethe, Hebbel. Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen unterbrech­en das lückenlose Aufführung­sverzeichn­is dann allerdings um neun Jahre. Zwar steht 1939 noch „Genoveva“auf dem Spielplan, aber die Saison konnte nicht zu Ende gespielt werden – das ist der Chronik des Theaterver­eins zu entnehmen. Einige Schauspiel­er müssen demnach bereits dem Stellungsb­efehl Folge leisten.

1949 schließlic­h ist es wieder Josef Wintergers­t, der der Waldbühne neues Leben einhaucht. „Wintergers­t war alles in einem, Vorsitzend­er, Spielleite­r und Hauptdarst­eller“, sagt Kordovan. Ohne ihn sei die Waldbühne nicht denkbar. Allerdings: Nach dem Krieg ist sie zerstört und ausgeraubt, das Vermögen auf ein paar Mark zusammenge­schrumpft. Doch der Neuanfang glückt, es beginnt die Zeit der Volksstück­e. Auf die Bühne kommen Stoffe wie „Im weißen Rößl“oder „Die Geierwally“.

Schließlic­h kommt die Phase der Investitio­nen. 1968 werden die Blöcke 2, 3 und 4 überdacht, in den 1980er-Jahren dann der restliche Zuschauerr­aum. Ein gravierend­er Einschnitt ist 1973 der Bau der Straße nach Rulfingen. „Vorher ging da nur ein Weg nach Zielfingen hoch“, sagt Kordovan. Das hat nicht nur zur Folge, dass Kassenhaus und Kiosk verlegt werden müssen. „Die Straße war ja viel, viel stärker befahren als vorher und kam nah an den Zuschauerr­aum heran.“Der Verkehrslä­rm stört die Aufführung­en, zumal die Schauspiel­er noch keine Mikrofone verwenden. Der Verein entschließ­t sich daher zum Bau der Mauer an der Straße, die noch heute als Lärmschutz­wand fungiert. Für die Instandhal­tung der Gebäude und der gesamten Anlage sind laufend große Investitio­nen erforderli­ch. Ebenso wird sehr viel Geld in die Technik investiert. All das trägt zum heutigen großen Erfolg und Bekannthei­tsgrad der Waldbühne bei.

1978 brennt es auf der Waldbühne; die Schmink- und Umkleiderä­ume fallen den Flammen zum Opfer. Der Neubau ist dann kein Holzschupp­en mehr, „sondern ein Massivbau“. Die bislang letzte große Baumaßnahm­e ist der Bau des Probengebä­udes mit Kostümlage­r im Jahr 1998. Zwar kann der Verein eine Dachkammer im Schlössle nutzen, „aber die war nicht belüftet, nicht beheizt und irgendwann einfach zu klein“, sagt Kordovan. In den 1990ern diskutiere­n die Mitglieder immer wieder, ob der Verein nicht das alte Bahnhofsge­bäude kaufen sollte – als Lagerstätt­e, aber vielleicht auch als Raum, um eine Kleinkunst­bühne im Dorf zu etablieren. Doch der Gedanke wird verworfen. „Das war die absolut richtige Entscheidu­ng“, sagt Walter Kordovan heute. „Indem wir draußen gebaut haben, hatten wir dann alles beieinande­r.“In dem Gebäude proben die Schauspiel­er, und oben gibt es ein riesiges Kostümlage­r. Das ist auch längst erforderli­ch: Mindestens 700 Kostüme besitzt die Waldbühne – und das ist nur ein Bruchteil dessen, was im Lauf der Jahre verwendet wurde. „Teilweise leihen wir Kostüme von anderen Theatern aus, es gibt aber auch einen guten Draht zu einem Altkleider­verwerter in Langenensl­ingen.

Blickt der Vorsitzend­e auf das Aufführung­sverzeichn­is der vergangene­n 90 Jahre zurück, dann weiß er um viele Höhepunkte und ein paar Flops. „Die Päpstin“von 2014 wurde als Rekordhalt­erin mit mehr als 7000 Zuschauern just von „Robin Hood“aus diesem Jahr abgelöst. Doch längst nicht jeder Stoff fällt auf fruchtbare­n Boden: Tiefpunkt ist 1994 „Der Schönbache­r Wasserfall“, keine 2000 Zuschauer kommen. „Das ist für mich das mieseste Ding, das wir gemacht haben.“Insgesamt beschreibt Kordovan die Stückauswa­hl der Waldbühne als „eher konservati­v. Unser größtes Experiment, für das wir auch einen irren Aufwand betrieben haben, war ,The purple Rose of Cairo’ 2017“, sagt er. Der habe sich aber voll gelohnt. Was die Waldbühne niemals auf den Spielplan setzen würde? „Einen Bauernschw­ank.“

1978 spielt die Waldbühne zu ihrem 50-jährigen Jubiläum den „Rattenfäng­er“. „Da haben viele Kinder mitgespiel­t, und wir standen vor der Frage, was wir mit denen machen sollen“, sagt Kordovan, lachend. Seit 1979 gibt es daher jedes Jahr auch ein Kinder- und Jugendstüc­k. Unangefoch­tener Publikumsl­iebling ist „Ronja Räubertoch­ter“, die bereits dreimal gespielt wurde.

Den großen Reiz der Waldbühne macht für Kordovan die Freude am Theaterspi­elen aus. Ganze Generation­en haben diese besondere Bühnenluft inzwischen eingeatmet. „Und es ist eine riesengroß­e Familie mit so unendlich vielen Talenten in allen Bereichen.“Schauspiel, Regie, Technik, Maske, Kostüme: „Alle bringen sich gemeinsam ein, und es kommt etwas Tolles heraus.“Ehrenamtli­ch. Und viele weit über das übliche Maß hinaus. Daran habe sich nie etwas geändert, auch wenn die Waldbühne selbst sich gewandelt hat. „Ganz früher gab es nur Aufführung­en bei Tag, in den 1960er-Jahren hatte man fünf oder sechs Scheinwerf­er und ein Reglerpult“, sagt Kordovan. Heute verfüge die Waldbühne über 50 Scheinwerf­er, LED, Beamer, Licht- und Tonsteueru­ng, Pyrotechni­k sowie eine Mikrofonan­lage mit 18 Kanälen. Und während es früher noch ein Telefon und Kartenabre­ißblöcke gegeben habe, sei es heute eben ein Reservieru­ngsprogram­m mit Kartenverk­auf übers Internet. Was trotz aller Veränderun­gen aber unveränder­t gilt: Die Waldbühne ist mehr als die Summe ihrer Teile.

Viele weitere Informatio­nen über die Waldbühne in Sigmaringe­ndorf sowie ein detaillier­tes Aufführung­sverzeichn­is gibt es im Internet:

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FOTO: STEFAN HÖHN Den wohl größten Aufwand in ihrer Geschichte betreibt die Waldbühne für die Inszenieru­ng von „The Purple Rose od Cairo“2017, für die eigens ein Film gedreht wird.
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FOTOS(2): WALDBÜHNE Irgendwie ähnlich und doch ganz anders als heute: der Eingang zur Waldbühne im Jahr 1951.
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Das erste Stück auf der Waldbühne überhaupt ist 1928 „Der arme Heinrich“von Gerhart Hauptmann.

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