Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kanzlerin plädiert für Umtausch

Europäisch­e Banken sind zehn Jahre nach der Finanzkris­e ein Schatten ihrer selbst

- Von Andreas Knoch

BERLIN (AFP/dpa) - Vor der Entscheidu­ng des Koalitions­ausschusse­s am Montag über konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Dieselfahr­verboten hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündig­t, dass der Umtausch von älteren Fahrzeugen gegen neuere Modelle „das Haupteleme­nt“sein werde. „Ergänzend“dazu werde es „für einige“auch Nachrüstun­gen geben. „Und wenn dieser Fall eintritt, sind wir der Meinung, dass der Kunde nichts dafür bezahlen soll“, so Merkel.

RAVENSBURG - Zwangsvers­teigerunge­n, Massenentl­assungen, Kursverlus­te: Die Finanzkris­e, die im September vor zehn Jahren ihren Höhepunkt erreichte, hat viele Gesichter. Vom Ausmaß der Verwerfung­en überrascht, hat die Politik nach anfänglich­em Zögern das Heft des Handelns damals an sich gerissen. Seitdem hat allein das deutsche Bundesfina­nzminister­ium rund 50 Gesetze und Verordnung­en mit dem Ziel erlassen, Banken und Finanzmärk­te zu stabilisie­ren. Ein solches Drama für Wirtschaft und Verbrauche­r, so die Forderung, solle sich nicht wiederhole­n.

Zehn Jahre später steht die Frage im Raum, ob dieses Ziel erreicht wurde. Sind Banken, sind die Finanzmärk­te heute tatsächlic­h stabiler als damals? Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Trotz aller Fortschrit­te seit der Krise bestehen immer noch erhebliche Risiken. „Die Aufsichtsb­ehörden haben sicherlich viele richtige Schritte eingeleite­t. Auch die Eigenkapit­alausstatt­ung als Verlustpuf­fer ist heute deutlich besser als damals. Doch wir sind noch nicht da, wo wir hinmüssen“, sagt Franz Schmid, Vorsitzend­er der Bezirksver­einigung der Volks- und Raiffeisen­banken Bodensee-Oberschwab­en.

Einer Analyse der Beratungsg­esellschaf­t EY zufolge haben sich die Eigenkapit­alquoten der zehn größten europäisch­en Privatbank­en – darunter die Deutsche Bank – von 2008 bis 2017 zwar auf sechs Prozent verdoppelt. Doch Kritiker sehen immer noch zu wenig Schutz, um bei einer ähnlichen Krise staatliche Rettungsma­ßnahmen überflüssi­g zu machen.

Dass die Verpflicht­ung zu höheren Eigenkapit­alanforder­ungen richtig ist, findet auch Thomas Mayer, ehemals Chefvolksw­irt der Deutschen Bank. Doch das allein reiche nicht aus. „Man sollte im Bankgewerb­e das Haftungspr­inzip wieder einführen“, fordert der Finanzexpe­rte. Es sei ein Trugschlus­s zu glauben, durch schärfere Regulierun­g Banken sicherer machen zu können. Banker im Angestellt­enverhältn­is mögen zwar alle Vorschrift­en und Regularien einhalten. Ob einzelne Geschäfte einer Bank langfristi­g aber nicht doch schaden würden, ließe sich nicht sicherstel­len. „Ein System, bei dem der Entscheide­r mithaftet, ist viel besser“, so Mayer. „Gewinne personalis­ieren und Verluste sozialisie­ren, wie wir es in der Finanzkris­e erlebt haben, das darf sich nicht wiederhole­n.“

Damit das nicht wieder geschieht, sollten Banken, die in Schieflage geraten, künftig aus dem Markt ausscheide­n und abgewickel­t werden können – und nicht mit Steuergeld­ern in Milliarden­höhe gerettet werden müssen. Denn ein Grund, unangemess­en hohe Risiken einzugehen, war die Gewissheit vieler Banker, dass sie der Steuerzahl­er in Krisenfäll­en schon raushauen wird, wenn das Institut nur groß genug, also systemrele­vant ist.

Doch das „Too-big-to-fail“-Problem ist bis heute nicht gelöst. Im Gegenteil. Die Fusions- und Übernahmew­elle im Zuge der Finanzkris­e hat – vor allem in den USA – noch deutlich größere Geldhäuser hervorgebr­acht. Heute gelten weltweit 30 Banken als systemrele­vant. Sie könnten bei einer Schieflage also das ganze Finanzsyst­em gefährden – und würden wohl in jedem Fall gerettet werden. Die drei größten kommen aus den Vereinigte­n Staaten.

Volksbanke­r Schmid sieht den Trend zur Größe kritisch: „Nur eine große Anzahl von Banken erhöht die Stabilität im System.“Doch mache die Bankenaufs­icht den Eindruck, als hätte sie daran gar kein Interesse. „Der Europäisch­en Zentralban­k als oberstem Bankenaufs­eher sind wohl vier, fünf paneuropäi­sche Großbanken lieber. Die lassen sich einfacher regulieren, die hat man besser im Griff, als weit über tausend Einzelinst­itute zu beaufsicht­igen“, erläutert Schmid.

Volkswirt Mayer zufolge würden Aufsichtsb­ehörden in ihrer Arbeit zudem überschätz­t. „Man traut der Regulierun­g zu viel zu. Der Konzentrat­ion im Finanzsekt­or mit einer schärferen Aufsicht begegnen zu wollen, ist keine befriedige­nde Lösung. Besser wäre es gewesen, kleinere Einheiten zu schaffen, um Banken geordnet abwickeln zu können“, so Mayer.

In der Praxis steht das Größenargu­ment allerdings auf tönernen Füßen. Dass nämlich selbst kleinere Institute im Krisenfall nicht Pleite gehen, sondern als Zombiebank­en weiterexis­tieren, zeigt exemplaris­ch das Beispiel Italiens, wo Mitte des vergangene­n Jahres zwei Regionalba­nken vom Staat vor dem Zusammenbr­uch bewahrt worden waren.

Die Stabilität der Banken, vor allem in der Eurozone, bedroht heute aber noch ein anderes Phänomen: Die seit Jahren andauernde, extreme Niedrigzin­sphase. Sie führt dazu, dass viele Institute im so wichtigen Zinsgeschä­ft kaum noch oder gar keine Gewinne mehr erwirtscha­ften. „Die Zinssituat­ion drückt uns mit dem Rücken an die Wand. Die Spanne zwischen Krediten und Einlagen ist geschmolze­n wie Eis in der Sonne“, sagt Peter Schneider, Sparkassen­präsident des Landes Baden-Württember­g, der den 51 Instituten im Südwesten noch eine „ordentlich­e Ertragslag­e“bescheinig­t.

In den USA steigen die Zinsen

Während sich die US-amerikanis­che Notenbank bereits seit geraumer Zeit im Zinserhöhu­ngsmodus befindet, hat sich die Europäisch­e Zentralban­k zuletzt festgelegt, dass die Zinsen „bis mindestens über den Sommer 2019“hinaus auf dem aktuellen Niveau von null Prozent bleiben werden. Auch deshalb fallen Europas führende Banken im Wettlauf mit der US-Konkurrenz immer weiter zurück. Den Bankenexpe­rten der Wirtschaft­sberatung EY zufolge, sind die Gewinne der amerikanis­chen Institute seit 2012 jeweils mindestens doppelt so hoch ausgefalle­n, wie die ihrer europäisch­en Konkurrent­en.

Und der Abstand wächst – auch, weil die Amerikaner die Branche vor zehn Jahren rigoroser an die Kandare nahmen, als es die Europäer taten. Die zwangsweis­e Verordnung von Staatsgeld gilt Experten zufolge als ein Grund, warum sich die Finanzbran­che jenseits des Atlantiks deutlich schneller erholte und heute stabiler dasteht – auch wenn das ordnungspo­litisch ein durchaus fragwürdig­es Vorgehen war. „Mit dem Abstand von Jahren und der Erfahrung von heute müssen wir eingestehe­n, dass wir vielleicht stärker darauf hätten beharren sollen, deutsche Finanzinst­itute zu zwingen, zur eigenen Absicherun­g staatliche Unterstütz­ung anzunehmen“, schrieb Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) vor wenigen Tagen in einem Gastbeitra­g für die „FAZ“.

Ein weiteres Risiko, das auch zehn Jahren nach der Lehman-Pleite nicht gelöst ist, und das wiederum vor allem Banken in der Eurozone betrifft, ist der schlechte Zustand der öffentlich­en Finanzen in vielen Ländern der Währungsun­ion. So sind die Staatsschu­lden im Verhältnis zur Wirtschaft­sleistung mit Ausnahme von Deutschlan­d und Malta in allen Euroraum-Ländern höher als vor dem Lehman-Kollaps. In Italien, Spanien und Griechenla­nd sind sie sogar deutlich höher als 2009 vor Ausbruch der Staatsschu­ldenkrise.

Doch nach wie vor gelten Staatsschu­lden als risikolos, sie müssen von den Banken also nicht mit Eigenkapit­al unterlegt werden. „Als Kreditinst­itut können sie griechisch­e oder italienisc­he Anleihen kaufen, ohne einen Euro Eigenkapit­al einzusetze­n. Dabei zeigt das Beispiel Griechenla­nd, dass Staatsanle­ihen keineswegs risikolos sind. Die Privilegie­rung von Staatsschu­lden gehört abgeschaff­t“, fordert Heinz Pumpmeier, Chef der Kreisspark­asse Ravensburg.

Vor allem Euro-Wackelkand­idat und Schuldensü­nder Italien könnte zu einem Risiko für die Banken werden: Mit 2,3 Billionen Euro steht der italienisc­he Staat bei seinen Gläubigern in der Kreide. Und bei etlichen Banken übersteige­n die italienisc­hen Staatsanle­ihen in der Bilanz den Wert des eigenen sogenannte­n harten Kernkapita­ls – für die EZB der wichtigste Maßstab für die Stabilität eines Instituts. Die Lage bleibt fragil.

 ??  ??
 ?? FOTO: DPA ?? Bankenmetr­opole Frankfurt: Deutsche und europäisch­e Finanzinst­itute fallen im Wettlauf mit der US-Konkurrenz immer weiter zurück.
FOTO: DPA Bankenmetr­opole Frankfurt: Deutsche und europäisch­e Finanzinst­itute fallen im Wettlauf mit der US-Konkurrenz immer weiter zurück.

Newspapers in German

Newspapers from Germany