Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Missklänge in der Nachbarsch­aft

BGH verhandelt Streit um Augsburger Trompetens­pieler

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KARLSRUHE (dpa) - Musik entspannt und tut der Seele gut – aber sie geht an die Nerven, wenn man unfreiwill­ig beschallt wird. Ein Trompetens­pieler aus Augsburg liegt mit seinen Nachbarn seit Jahren im Clinch. Der Streit ist so festgefahr­en, dass ihn die obersten Zivilricht­er am Bundesgeri­chtshof (BGH) lösen müssen.

Was ist passiert?

Der Mann ist Berufsmusi­ker beim Staatsthea­ter Augsburg und probt zu Hause. Zwei Stunden in der Woche kommen Schüler zum Unterricht. Die Nachbarn im Reihenhaus eine Tür weiter können es nicht mehr hören: „Das ist kein Trompetens­piel, sondern ständiges Üben von Sequenzen – stundenlan­g.“Radiohören und Fernsehen sei in normaler Lautstärke nicht möglich. Mit einer Schlichtun­g ließ sich der Streit nicht lösen. Die Nachbarn verklagten den Musiker, er soll sein Haus besser dämmen. „Wir wollen einfach, dass es leise ist“, sagt ihr Anwalt.

Wie viel Hausmusik ist erlaubt?

Niemand muss auf das Musizieren daheim komplett verzichten. Für die Gerichte ist es „Bestandtei­l eines sozial üblichen Verhaltens“und gehört zur grundgeset­zlich geschützte­n Entfaltung der Persönlich­keit. Weil sich kaum ein Instrument in Zimmerlaut­stärke spielen lässt, müssen allerdings die Ruhezeiten eingehalte­n werden. In vielen Bundesländ­ern geht die Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr. Ruhezeiten stehen oft auch in der Hausordnun­g oder im Mietvertra­g. Dort kann außerdem festgelegt sein, wie lange am Tag höchstens gespielt werden darf.

Wie stark darf das Musizieren eingeschrä­nkt werden?

Der BGH hat 1998 entschiede­n, dass eine Ruhezeit von 20 bis 8 und von 12 bis 14 Uhr „ausreichen­d Freiräume zum Musizieren“lässt. Maßgebend seien aber die „tatsächlic­hen Gegebenhei­ten“: Die Bewohner einer Seniorenwo­hnanlage brauchen in der Regel mehr Ruhe als das junge Paar in seiner Eigentumsw­ohnung. Es kommt darauf an, wie hellhörig das Gebäude ist und wie laut die Umgebung und welche Art von Musik gemacht wird. Auch wenn es – wie hier im eigenen Reihenhaus – keine Vorgaben gibt: „Es gilt das Gebot der gegenseiti­gen Rücksichtn­ahme“, erläutert Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund. „Das Recht, Musik zu spielen, muss so schonend wie möglich ausgeübt werden.“

Was bedeutet das?

Zwei bis drei Stunden Musik am Tag sind Nachbarn normalerwe­ise zuzumuten. Gerichte haben einzelnen Spielern aber auch schon strengere Auflagen gemacht, zum Beispiel maximal eineinhalb Stunden für ein Akkordeon. Beschränku­ngen der Lautstärke durch die Hausordnun­g darf es laut BGH nur bei „nicht mehr hinnehmbar­en Störungen“wie Schlagzeug-Übungen oder Band-Proben geben. Der Konzertpia­nist genießt gegenüber dem Anfänger keine Privilegie­n – auf die Qualität der Musik kommt es nicht an. Einzelne Profis haben vor Gericht allerdings schon sehr lange Spielzeite­n durchgeset­zt.

Was, wenn es ernsthaft zum Streit kommt?

Lässt der Nachbar nicht mit sich reden, müssen Mieter den Vermieter einschalte­n. Ein Musiker, der es trotzdem weiter übertreibt, riskiert eine Abmahnung. Wird ein Mieter ständig durch Musik gestört, ist das ein Grund, die Miete zu mindern – der Musiker muss dann damit rechnen, dass der Vermieter Schadeners­atz will. Zerstritte­nen Haus- und Wohnungsei­gentümern helfen Schlichter oder Mediatoren dabei, eine für alle akzeptable Lösung zu finden. „Wir können nur raten, das außergeric­htlich zu klären“, sagt Julia Wagner, Referentin für Recht beim Eigentümer­verband Haus & Grund Deutschlan­d. Wenn ein Gericht entscheide, habe immer einer das Nachsehen – manchmal sogar beide.

Wie stehen die Chancen im Augsburger Trompeten-Streit?

Das Landgerich­t hat dem Musiker nach einem Ortstermin Auflagen gemacht. Im Moment darf er in der Woche nicht mehr als zehn Stunden spielen und muss dazu in einen Übungsraum unterm Dach. Samstags und sonntags sind Proben nur ausnahmswe­ise vor schwierige­n Konzerten erlaubt. Daheim Schüler unterricht­en darf der Mann nicht mehr. „Das scheint uns deutlich zu streng zu sein“, sagt die Vorsitzend­e BGHRichter­in Christina Stresemann in der Verhandlun­g. Aber auch der Nachbar müsse zu seinem Recht kommen. „Es gilt natürlich nicht das Alles-oder-nichts-Prinzip.“Das Urteil wird am 24. Oktober verkündet.

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FOTO: DPA Spurensich­erung am Tatort.
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FOTO: COLOURBOX

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