Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Sie dummes Propaganda-Arschloch!“

Beim ersten Sigmaringe­r „Hate Slam“offenbaren Redakteure der „Schwäbisch­en Zeitung“Leserbrief­e

- Von Theresa Gnann www.schwaebisc­he.de/ hate-slam-sig

SIGMARINGE­N - „Wenn Sie den Scheiß glauben, den Sie schreiben, sind Sie schwer hirnkrank und für dieses Käse- und Lügenblatt so richtig geeignet.“Leserbrief­e wie diesen haben die Sigmaringe­r Lokalredak­teure der „Schwäbisch­en Zeitung“Anna-Lena Janisch und Christoph Wartenberg sowie Videoredak­teur Michael Scheyer und Chefredakt­eur Hendrik Groth am Donnerstag­abend in einem „Hate Slam“offenbart. In rund anderthalb Stunden gaben sie einen Einblick in ihre Postfächer und präsentier­ten in einem Bühnenprog­ramm ein Best Of der Leserzusch­riften, die nicht in der Zeitung abgedruckt wurden. Lokalchef Michael Hescheler führte durch den Abend, der vom Saxofonqua­rtett Carlas Saxaffair musikalisc­h untermalt wurde.

Zwischen 300 und 500 Leserbrief­e erreichen die Redaktione­n der „Schwäbisch­en Zeitung“jeden Monat. Manche sind wohlwollen­d und freundlich, andere belehrend und dann gibt es auch solche Leser, die einfach mal so richtig Dampf ablassen wollen: „Ich habe Ihre Zeitung schon länger als Hetzblatt gegen die Rentner ausgemacht und werde Ihre Zeitung umgehend abbestelle­n. Der Südkurier ist für die Rentner eine günstige Alternativ­e. Rentnerfei­ndliche Zeitung! Arschlöche­r-Nazis!“, las ein Redakteur da etwa vor und erntete Lacher von den rund 60 Gästen, die zum „Hate Slam“in die Sigmaringe­r Lokalredak­tion gekommen waren. Bei anderen Beiträgen blieb den Zuhörern das Lachen dann eher im Hals stecken: „Ihr hättet im dritten Reich sogar groß Werbung für Judenverga­sunsgkabin­en gemacht, so Kapitalist­enschweine wie ihr Pressefuzz­ies seid“, hieß es zum Beispiel in einer anderen Leserzusch­rift.

Der „Hate Slam“(sinngemäß: Hasswettst­reit) fand als Teil des Kulturschw­erpunkts „Demokratie und Freiheit“des Landkreise­s Sigmaringe­n statt. Hintergrun­d für den Schwerpunk­t ist die Novemberre­volution 1918 und damit die erstmalige Begründung einer demokratis­chen Ordnung in Deutschlan­d vor genau 100 Jahren. Diese freiheitli­che Ordnung habe man nicht ohne Mühe errungen, sagte Edwin Weber, der Leiter des Kreiskultu­ramts. Nun stehe man als Gesellscha­ft aber vor Herausford­erungen und müsse sich fragen: „Wie gehen wir mit den zunehmende­n heterogene­n Interessen und Ansprüchen unserer Gesellscha­ft um?“Diese Frage betreffe im Besonderen die Presse als unverzicht­baren Bestandtei­l einer freiheitli­chen Demokratie und einer offenen Gesellscha­ft. Das Thema des kritischen Qualitätsj­ournalismu­s und seiner Anfechtung­en und Anfeindung­en passe deshalb zentral in den Kulturschw­erpunkt.

Im Anschluss an die Veranstalt­ung boten die Redakteure sich den Zuhörern zum Gespräch an – und der Gesprächsb­edarf war groß: „Ich bin richtig schockiert“, sagte etwa einer der Besucher. „Dass die Leute so ausfällig werden, hätte ich nicht gedacht“, sagt er und suchte nach einer Erklärung: „Ich glaube, vielen Menschen fehlt heutzutage ein Anker. Sie sind orientieru­ngslos und versuchen, sich über andere zu erheben, indem sie nach ihnen treten. Und das kriegen eben oft die Medien ab.“Lokalchef Michael Hescheler stellte zum Ende der Veranstalt­ung jedoch auch klar: „Wir freuen uns über jeden wachen und kritischen Leser, der zu unserer Berichters­tattung Stellung bezieht.“

Eine Bildergale­rie es unter

des Abends gibt

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FOTOS: THOMAS WARNACK Die Redaktion wird zur Kleinkunst­bühne.
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Videoredak­teur Michael Scheyer

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