Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wegweiser gegen die Klimakatastrophe
Weltklimarat fordert drastische Änderungen – Bis 2050 soll Menschheit CO2-neutral leben
BERLIN - Dürren, Überschwemmungen, Artensterben: Ein Anstieg der Erderwärmung um mehr als 1,5 Grad hätte verheerende Folgen für das Weltklima. Das geht aus dem Sonderbericht des Weltklimarates IPCC hervor, der am Montag im koreanischen Incheon veröffentlicht wurde. Doch der IPCC präsentiert auch mögliche Auswege. Petra Sorge nennt die wichtigsten Fakten des Berichts:
Die Erkenntnisse des Berichts:
Die Erde hat sich im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bereits um ein Grad erwärmt. Sollten die Emissionen nicht drastisch sinken, würde der weltweite Temperaturanstieg ab den 2040er-Jahren bereits 1,5 Grad übersteigen, zeigt der IPCC-Bericht. Damit wäre das Ziel der UN-Klimakonferenz von Paris 2015 nicht mehr zu halten. Die Folgen wären verheerend: Weltweit würden die Meeresspiegel steigen, Hitzewellen, Dürren und Starkregen zunehmen, Millionen Menschen wären bedroht. Doch es gibt noch Hoffnung. Laut dem Bericht wären die Folgen eines Temperaturanstiegs um 1,5 Grad noch beherrschbar. Dafür müssten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 auf 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2010 sinken. Ab 2050 dürfte es dann gar keine Emissionen mehr geben.
Szenarien für Deutschland:
Wie sich der Anstieg der Meeresspiegel hierzulande auswirken könnte, hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Papier berechnet, aus dem das Magazin „Der Spiegel“zitiert. Gebiete gelten als überflutungsgefährdet, die an der Nordsee nicht höher als fünf Meter, an der Ostsee nicht höher als drei Meter über dem Meeresspiegel liegen. In diesen deutschen Regionen wären etwa 3,2 Millionen Menschen betroffen. Weltweit leben 200 Millionen Menschen in solchen küstennahen Gebieten.
Was die Bundesregierung vorhat:
„Wir müssen den Abschied von Kohle, Öl und Gas hinbekommen“, erklärte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) gestern anlässlich des Berichts. Auf die Frage, wie das gelingen soll, verwies Schulzes Sprecher auf die Kohlekommission, die den Ausstieg aus dem fossilen Energieträger managen soll. Das Problem: Die Kommission ist selbst höchst zerstritten – weder über das Datum des Kohleausstiegs noch über das Ausstiegstempo gibt es bislang einen Konsens. Schon jetzt ist klar, dass die Bundesrepublik ihre eigenen Klimaziele, bis 2020 40 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 zu emittieren, nicht mehr erreichen wird. Derzeit scheinen höchstens 32 Prozent Ersparnis möglich, zeigte der Klimaschutzbericht im Juni. Bundesumweltministerin Schulze setzt daher auch auf ein Klimaschutzgesetz, das noch 2019 kommen soll. Was drin steht, wie hart das wird – auch das ist völlig unklar.
Die Lösungsvorschläge:
Im Bericht des IPCC heißt es, notwendig seien „schnelle, weitreichende und beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen“, um den Ausstoß klimaschädigender Gase drastisch zu verringern. Die Linken-Bundestagsfraktion schlug vor, den Klimaschutz als Ziel in die Verfassung aufzunehmen. „Die Bundesregierung muss jetzt endlich aus ihrem Klimakoma aufwachen“, forderte Lorenz Gösta Beutin, energiepolitischer Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sprach sich für eine gesetzliche Verankerung des Kohleausstiegs und einen Rodungsstopp im Hambacher Forst aus. „Die Braunkohle ist die klimaschädlichste Form der Energieerzeugung“, sagte sie gestern im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Doch bislang breche die Große Koalition durch ihr Nichthandeln die Zusagen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. „Die Bundesregierung blockiert sogar in Europa“, so Baerbock. Sei es bei Klimaschutzvorgaben für Autos oder Schadstoffgrenzwerten für Kohlekraftwerke: „Immer wenn die EU vorangehen will, tritt Deutschland mit voller Kraft auf die Bremse.“
Wie CO2 entnommen werden soll:
Die IPCC-Klimaforscher beziehen in ihre Berechnungen für eine um 1,5 Grad wärmere Welt negative Emissionen ein. Noch in diesem Jahrhundert müssten Treibhausgase aus der Atmosphäre herausgeholt werden, von 100 bis 1000 Gigatonnen CO2 ist die Rede. Techniken sind die Kohlendioxidentnahme (Carbon Dioxide Removal, CDS) sowie die umstrittene Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (Carbon Dioxide Capture and Storage, CCS). Diese unterlägen aber „vielfältigen Einschränkungen bezüglich Machbarkeit und Nachhaltigkeit“, so der Bericht. Funktionieren soll die CO2Entnahme unter anderem durch Aufforstung, durch eine Steigerung der CO2-Aufnahmefähigkeit von Böden – und durch Anlagen, die das Gas aus der Atmosphäre saugen können. Die FDP im Bundestag fordert, diese Technologien schnell einzusetzen. Die Nutzung und Speicherung von CO2 dürfe „nicht länger notorischen Bedenkenträgern zum Opfer fallen“, sagte der klimapolitische Sprecher Lukas Köhler. Das Aufforsten von Wäldern, die mehr CO2 binden, sei „total sinnvoll“, sagte Grünen-Chefin Baerbock. Wenig Sinn ergäben dagegen Maßnahmen wie „die Meere mit Eisen zu düngen oder Wolken mit Ionen zu beschießen.“