Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Satanische Geschichte­n

Angeklagte im Prozess um den Laupheimer Mordversuc­h berichten aus ihrem Leben

- Von Reiner Schick

RAVENSBURG/LAUPHEIM - Was ging im Februar in Laupheim in der Familie vor, die – laut Anklage – ihre jüngste, schwangere Tochter und Mutter eines zehn Monate alten Jungen mit mehreren Messern beinahe massakrier­t hat, weil sie offenbar ein außereheli­ches Verhältnis hat? Das Ravensburg­er Landgerich­t musste am gestrigen zweiten Verhandlun­gstag erfahren, dass es eine Antwort auf diese Frage wohl nur mithilfe von Zeugen gibt. Denn die vier Angeklagte­n – der Bruder der jungen Frau und ihr Ehemann sowie ihre Eltern – machten keine Angaben zum Tatvorwurf. Nur zu ihren Lebensläuf­en äußerten sie sich.

Dabei ähneln sich die Geschichte­n der beiden Hauptangek­lagten sehr. Beide wachsen in kinderreic­hen Familien auf, der eine in Libyen, der andere in Syrien. Um ihre Eltern bei der Finanzieru­ng des Lebensunte­rhalts zu unterstütz­en, brechen sie frühzeitig die Schule ab und arbeiten in Gelegenhei­tsjobs. Er träume davon, PC-Programmie­rer zu werden, erzählt der 20-jährige Bruder des späteren Opfers dem Gericht. Seine Eltern seien vor seiner Geburt vom Libanon nach Libyen ausgewande­rt. Er berichtet von Kriegserle­bnissen, von Leichen und Leichentei­len, die er den Familien der Toten überbracht haben will. In der Gesellscha­ft habe es die Familie schwer gehabt. „Wir waren Ausländer und wurden nicht gut behandelt. Hätte uns jemand getötet, hätte es niemanden interessie­rt“, erzählt er.

Von konkreten Bedrohunge­n berichten seine Eltern. Einer der Söhne habe eine Fabrik betrieben, zu den Kunden hätten sowohl das staatliche Militär als auch der sogenannte „Islamische Staat“gehört. Er sei schließlic­h zwischen die Mühlen beider Organisati­onen geraten, die ganze Familie habe sich nicht mehr sicher gefühlt und sei deshalb im Jahr 2014 geflohen. „Wir sind mit den Kindern aufs Meer, drei Tage lang waren wir in einem Boot“, erzählt die Frau. Ihr Mann sagt: „Mein Bruder berichtete später, dass die Armee gekommen sei und das Haus verbrannt habe. Wir seien Feinde der Revolution, hätten sie gesagt.“An das Gericht gewandt, fügt er an: „Weisen Sie uns aus – aber nicht nach Libyen. Dort erwartet uns die Todesstraf­e.“

Über Italien seien sie nach Deutschlan­d gereist, in München von den deutschen Behörden gestoppt und nach Karlsruhe gebracht worden, berichtet der Vater. Dort sei die Familie auf ganz Deutschlan­d verteilt worden. „Das belastet uns noch immer sehr“, erzählt der Vater, mit den Tränen kämpfend. Nur er, seine Frau und die beiden jüngsten Kinder blieben zusammen und kamen in eine Gemeinscha­ftsunterku­nft nach Biberach. Es folgten mehrere Umzüge, weil es wohl wiederholt Stress mit Mitbewohne­rn gab. Über Ochsenhaus­en, Burgrieden-Bühl, Sommershau­sen und erneut Biberach landete die Familie im Januar 2018 in Laupheim.

Heirat nach einem Monat

Da war die 17-jährige Tochter bereits mit dem doppelt so alten Syrer verheirate­t. Auch dieser war, so erzählt er dem Gericht, nach Deutschlan­d geflüchtet, weil dort schon sein Bruder lebte und ihm eine bessere Zukunft in Aussicht stellte. Zurück ließ er seine Frau, die er geheiratet habe, als sie 15 war, und zwei Kinder. Über Wertheim und Warthausen landete er in Biberach, wo er die junge Libyerin kennenlern­te. Einen Monat später hätten sie geheiratet. „Am gleichen Tag habe ich mich von meiner ersten Frau scheiden lassen“, behauptet der Syrer vor Gericht. Wirr und ebenso wenig glaubhaft klingen seine weiteren Schilderun­gen über die Beziehung zu seiner Frau, mit der er nach Österreich zog. Das dortige Jugendamt habe ihnen aus nichtigem Grund den Sohn genommen und seine Frau schließlic­h samt dem Kleinen in ein Mutter-KindHeim gesteckt. Von dort seien die drei dann nach Deutschlan­d zur Familie seiner Frau geflohen. Die Beziehung zu seiner Frau bezeichnet­e er als gut, mit den „üblichen Problemen“.

Ihr Bruder saß zu dieser Zeit in UHaft, weil er einem Bekannten geholfen haben soll, ein (letztlich gescheiter­tes) islamistis­ches Attentat in Kopenhagen zu verüben. Seine Beziehung zum IS beschreibt er so: „Ich habe es bewundert, wie sie es geschafft haben, der ganzen Welt Angst zu machen.“Erst als er sich näher informiert habe, sei ihm klar geworden, „dass sie viele schlechte Sachen machen“. Heute „hasse“er den IS. Auch vom islamische­n Glauben habe er sich abgewendet, vielmehr sei er überzeugt: „Die Macht liegt bei Satan.“Der habe auch ihn im Griff. Der 20-Jährige berichtete von mehreren Suizidvers­uchen während der aktuellen U-Haft in StuttgartS­tammheim. Ein Grund seien Schuldgefü­hle wegen der Inhaftieru­ng seiner Eltern. Auf eine ursprüngli­ch geplante Erklärung verzichtet­e er. „Ich möchte mich erst bei meiner Schwester persönlich entschuldi­gen“, sagte er.

Dazu dürfte es bald Gelegenhei­t geben. Denn zu den Zeugen, die an den weiteren neun Verhandlun­gstagen ab 19. Oktober vernommen werden, zählt auch das Opfer.

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