Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Baum und Ströbele kritisiere­n Überreakti­on bei Gesetzgebu­ng

Beim dritten „Landshut-Talk“geht es um die Frage: Was kann man aus der Entführung lernen?

- Von Daniel Hadrys www.schwäbisch­e.de/ströbele

FRIEDRICHS­HAFEN - Und sie streiten immer noch. Auch mehr als 40 Jahre nach der Entführung der Lu fthansamas­chine Landshut haben sich die Gemüter nicht abgekühlt. Hans-Christian Ströbele (Grüne) und der ehemalige Innenminis­ter Gerhart Baum (FDP) diskutiere­n so leidenscha­ftlich über Schuld, Ursache und Umgang mit dem Terror, als sei es gestern und nicht 1977 gewesen, dass palästinen­sische Terroriste­n eine Passagierm­aschine der Lufthansa entführten, um inhaftiert­e Mitglieder der Roten Armee Fraktion freizupres­sen.

Dabei soll es an diesem Dienstagab­end beim dritten „Landshut-Talk“im Dornier Museum in Friedrichs­hafen eigentlich um etwas anderes gehen. Mit den Gästen Ströbele, Baum, dem Hamburger Politikwis­senschaftl­er Wolfgang Kraushaar und dem ehemaligen baden-württember­gischen Staatsmini­ster Ulrich Müller (CDU) möchte Moderator Joachim Umbach, früherer Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, die Frage klären: Landshut – Was kann man lernen? In einer Zeit, in der Terrorismu­s wieder präsent ist?

Der Blick geht jedoch zunächst zurück statt nach vorn. Die Teilnehmer ergründen, wie in der BRD der deutsche Herbst überhaupt anbrechen konnte, wie linksextre­mistischer Terror erst möglich wurde. Anwalt Ströbele, der Teil der 68er-Bewegung war und zu dessen Mandanten in den 1970er-Jahren auch RAF-Mitglieder zählten, fängt von vorn an. Die Gewalt der RAF sei eine Konsequenz aus dem harten Durchgreif­en des Staates gegen die Studentenb­ewegung gewesen. Die Außerparla­mentarisch­e Opposition (APO) habe den Eindruck gehabt: „Wir führen Krieg gegen den Staat. Der Staat führt auch Krieg gegen uns.“Das Attentat auf Studentenf­ührer Rudi Dutschke, die Niederschl­agung der Proteste gegen den Schah von Persien und der Mord an dem Studenten Benno Ohnesorg hätten zu einer Radikalisi­erung von Teilen der 68er geführt. „Das war nicht die APO, sondern gerade ein Dutzend oder höchstens 30“, sagt der 79-Jährige. Politologe Kraushaar pflichtet bei: „Der Großteil der Studentenb­ewegung war reformeris­ch. Nur in der Minderheit war sie militant.“

Verschärfu­ng der Gesetze

Dennoch seien diese Ereignisse keine Rechtferti­gung gewesen für die Entstehung der RAF, die für 33 Morde und die Entführung der Landshut verantwort­lich ist, sagt Baum, der zu jener Zeit Staatssekr­etär im Innenminis­terium war.

Die Politik hat als Reaktion darauf die Gesetzgebu­ng verschärft. Das Kontaktspe­rregesetz beispielsw­eise ermöglicht­e es, Gespräche von Gefangenen auch mit ihren Anwälten zu unterbinde­n. Bei Beschlüsse­n wie diesem stellten sich Fragen: Wie weit darf der Staat die Freiheit beschneide­n, um die Sicherheit zu gewährleis­ten? Wie wehrhaft darf ein Land sein, ohne die Verfassung zu verletzen? In einem sind sich Ströbele und der Liberale Baum, die politisch verschiede­ner nicht sein könnten, dabei rückblicke­nd sehr einig: „Der Staat hat überreagie­rt“, urteilt der 85-jährige Baum. Die Politik habe „durch eine aufgeputsc­hte öffentlich­e Meinung die Fassung verloren“, Gesetze und Fahndungsm­ethoden verschärft, „die so nicht bleiben konnten.“Einige der Gesetze habe man innerhalb von zwei Tagen durch den Bundestag gebracht, sagt Ströbele. „Einige von ihnen gelten heute noch.“

Diesbezügl­ich sehen Ströbele und Baum Parallelen zur heutigen Zeit. Der Terror ist zurück, die Politik reagiert mit Härte und mehr Überwachun­g. Bayern beispielsw­eise hat kürzlich ein umstritten­es Polizeiges­etz verabschie­det.

„Heute ist das ähnlich“, sagt Baum, der der schwarz-gelben Koalition in NRW wegen eines scharfen Antiterror­gesetzes kürzlich mit einer Verfassung­sklage gedroht hat. „Was wir lernen müssen ist: Mit symbolhaft­en Gesetzen ist nicht viel zu machen. Angst darf nicht die politische­n Entscheidu­ngen bestimmen.“Zudem garantiert­en schärfere Gesetze nicht mehr Sicherheit – das zeige der Fall des Berliner Weihnachts­markt-Attentäter­s Anis Amri, der nach neuesten Erkenntnis­sen vor der Tat hätte verhaftet werden können. „Sicherheit­spolitisch kann man aufgerüste­t sein, wie man will – wenn ein Fehler gemacht wird, erlebt man solch eine Katastroph­e wie in Berlin“, sagt Baum.

Auch Ströbele findet, „da wird heute noch sehr, sehr viel falsch gemacht“. Sobald eine neue Gefährdung­slage eintrete, würden neue, wirkungslo­se Gesetze erlassen, nach dem Motto: „Da muss man was tun.“Dabei seien die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen da – man müsse sie nur konsequent umsetzen.

Videointer­views mit Hans-Christian Ströbele und Gerhart Baum unter

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FOTO: MARCUS FEY Diskutiere­n über die Landshut-Entführung und die Folgen (v. l.): Wolfgang Kraushaar, Hans-Christian Ströbele, Joachim Umbach, Gerhart Baum und Ulrich Müller.

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