Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Instagram hat mich magersücht­ig gemacht“

20-jährige Biberacher­in spricht über Essstörung – Welche Rolle soziale Medien spielen

- Von Tanja Bosch

BIBERACH - Felizitas Kramer (Name von der Redaktion geändert) ist ein ganz normales Mädchen. Lebensfroh, lustig, stylisch, hübsch und schlank. Lernt man die 20-Jährige besser kennen, spürt man eine gewisse Unsicherhe­it und Verschloss­enheit. Geht es um Themen wie Essen und Gewicht, dann wird sie ganz still. Felizitas Kramer hat eine Essstörung. Vor vier Jahren hat alles angefangen.

„Instagram hat mich magersücht­ig gemacht“, sagt die junge Biberacher­in. „Ich habe mir die Bilder angeschaut und wollte auch so ein geiles Leben haben wie all die anderen.“Heute weiß sie, dass nicht alles echt ist, was sie in den sozialen Netzwerken sieht. Mit 16 Jahren war das noch ganz anders.

Instagram ist ein Online-Dienst, bei dem die Nutzer Bilder und Videos mit anderen teilen. Dank Bildbearbe­itungsprog­rammen sind die Fotos online immer noch perfekter als im wahren Leben. Das wird vielen jungen Menschen zum Verhängnis. Sie wollen so sein wie ihre Vorbilder auf Instagram. So ging es auch Felizitas Kramer. „Ich war fasziniert von den ganzen Bikinifoto­s und Fitnessbil­dern“, erzählt sie. „Ich wollte unbedingt so einen Körper haben, bei dem man die Ansätze eines Sixpacks sieht.“Und schon begann sie zu hungern.

Auslöser ist Pubertät

Christiane Nick ist Kinder- und Jugendlich­enpsychoth­erapeutin, sie kennt solche Geschichte­n wie die von Felizitas Kramer. „Auslöser ist häufig die Pubertät, die mit vielen Entwicklun­gsaufgaben verbunden ist und Stress macht.“Es gehe dabei unter anderem um die Ablösung von den Eltern und um Suche nach Identifika­tion und Identität. „Viele essgestört­e Mädchen haben in diesem Alter ein geringes Selbstwert­gefühl. Sie fühlen sich tief verunsiche­rt, Ängste

und Zweifel entstehen. Der soziale Einfluss und Druck nimmt zu“, erklärt die 57-jährige Therapeuti­n, die ihre Praxis in Biberach hat. „Das fängt schon sehr früh an, ich habe Patienten, die erst elf Jahre alt sind.“

Bei Felizitas Kramer hat es mit 16 Jahren angefangen, als sie in die Oberstufe wechselte. „Davor war ich an einer kleinen Schule, ich war beliebt und plötzlich war ich niemand mehr. Die Leute waren so oberflächl­ich, dort zählten andere Werte“, erzählt die 20-Jährige heute. Dazu kam, dass sie einen festen Freund hatte, der „voll der Überfliege­r war“. „Ich habe mich neben ihm minderwert­ig gefühlt und wollte etwas haben, auf das ich stolz sein konnte.“Sie fing an, Kalorien zu zählen. Sie wollte ihren Körper unter Kontrolle haben. „Mein Ziel waren 48 Kilo.“Felizitas Kramer hat sich auf 45 Kilogramm herunterge­hungert, und das bei einer Körpergröß­e von 1,68 Meter. 600 Kalorien hat sie täglich zu sich genommen.

„Mit jeden Kilo, das wegging, ging auch ein Stück von mir verloren“, sagt sie heute. Sie wurde ängstliche­r, hat sich zurückgezo­gen, auch ihre

Mutter und ihre beste Freundin hat sie nicht an sich herangelas­sen. „Die haben sich natürlich furchtbar Sorgen gemacht. Meine Mutter wollte mich immer zum Essen zwingen, aber dann habe ich angefangen zu lügen und aufzuzähle­n, was ich an diesem Tag schon alles gegessen hatte.“

Genau das kennt auch Christiane Nick: „Für die Eltern ist es eine schwierige Situation, Verständni­s für eine Anorexie, also eine Magersucht, aufzubring­en“, erzählt die Therapeuti­n. „Anorexie fängt im Kopf an und hört im Kopf auf. Essen gegen den eigenen Willen wird als emotionale Gewalt erlebt. Eine Therapie, in der es um das Wiederbele­ben des affektiven Erlebens geht, braucht Zeit, manchmal Jahre.“Der Therapeuti­n gehe es darum, die inneren Konflikte der Jugendlich­en zu verstehen und Ressourcen zu aktivieren, um diese zu lösen. „Aber es braucht viel Mitgefühl, um an die Emotionen der Betroffene­n heranzukom­men. Denn sie sind hart und erbarmungs­los in der Kontrolle und Enthaltsam­keit gegenüber ihrem eigenen Körper und leiden unter einer ausgeprägt­en Körperwahr­nehmungsst­örung“, sagt Christiane Nick.

Gedanken kreisen ums Essen

Auch Felizitas Kramer hat sich immer zu dick gefühlt und nicht so schön wie andere Mädchen. „Heute weiß ich, ich bin schön und ich möchte mich akzeptiere­n, wie ich bin. Ich habe viele Bücher über positives Denken gelesen und das hilft mir.“Eine Therapie hat sie noch nie gemacht. „Das will ich auch nicht. Ich habe das Gefühl, ich schaffe es alleine.“

Ihre Gedanken kreisen dennoch täglich ums Essen: „Ich versuche mir einen Plan zu machen, wann ich esse und was.“Und trotzdem wiegt sie immer noch nur 48 Kilogramm. „Es ist ein Kampf, auf 50 Kilo zu kommen, aber ich schaffe das“, ist sie sich sicher. „Ich habe so viele Menschen kennengele­rnt, die mir gutgetan haben, und ich habe gemerkt, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat. Ich habe gesehen, die Welt ist nicht so perfekt, wie sie auf Instagram aussieht. Das hilft mir.“

Felizitas Kramer wird die schwere Zeit niemals vergessen. „Ich stopfe mir oft ungesundes Essen rein, weil ich weiß, diese Kalorien halten mich am Leben.“Sie weiß heute wie gefährlich ihre Essstörung ist. Auch Christiane Nick weiß das nur zu gut: „Für mich ist Magersucht Suizid auf Raten.“Viele Mädchen würden jeden Schmerz und jede Angst mit ihrem Kontrollzw­ang über das Essen betäuben. „Die Aggression­en richten sich ausschließ­lich gegen den eigenen Körper.“

Für Felizitas Kramer gab es eines Tages einen Wendepunkt als sie in den Spiegel sah. „Ich dachte, krass, das sieht jetzt echt schon ein bisschen krank aus.“Jetzt ist ihr größter Wunsch, wieder wie früher zu sein: „Ich habe viel Leid aus dieser Zeit mitgenomme­n. Ich will einfach wieder die sein, auf die ich stolz sein kann.“Und daran arbeitet die 20-jährige Biberacher­in jetzt intensiv.

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FOTO: ANDREAS SPENGLER Bilder wie diese, die auf der Online-Plattform Instragram zu finden sind, können junge Frauen verunsiche­rn.

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