Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Endspurt auf der Albhochflä­che

Die Bahn kann auch pünktlich: Zwischen Ulm und Hohenstadt steht der Rohbau der Neubaustre­cke kurz vor dem Abschluss

- Von Ulrich Mendelin www.schwäbisch­e.de/ bahn-baustelle

MERKLINGEN - Sieben Jahre lang haben die Bauarbeite­n bis jetzt gedauert. Sieben Minuten lang werden die Bahnreisen­den bald zwischen Hohenstadt (Landkreis Göppingen) und Ulm unterwegs sein, wenn sie im ICE mit bis zu 250 Stundenkil­ometern über die Schwäbisch­e Alb rasen. Hier, im Bereich von Albhochflä­che und Albabstieg, dem östlichen Teil der Neubaustre­cke Wendlingen­Ulm, sind die Arbeiten am Rohbau der Hochgeschw­indigkeits­trasse so gut wie abgeschlos­sen. Noch in diesem Jahr werden erste Gleise verlegt.

„Tolle Aussicht, oder?“: Stefan Kielbassa steht über dem fertig betonierte­n Portal des Albabstieg­stunnels bei Dornstadt (Alb-DonauKreis). Fünfzehn Meter weiter unten zieht sich eine breite, hellbraune Schneise durch die Landschaft. Bauarbeite­r in orangefarb­enen Schutzwest­en sind zu sehen, ein Bagger rollt auf rasselnden Ketten umher. Den ersten Preis für Naturschön­heit bekommt dieser Aussichtsp­unkt nicht, aber Kielbassa, 59 Jahre, Ingenieur, blickt mit offenkundi­ger Zufriedenh­eit auf die Szenerie.

Termin steht seit Anfang 2017 fest

Am 3. Dezember, erklärt der BahnProjek­tleiter für die Abschnitte Albhochflä­che und Albabstieg der Neubaustre­cke, ist der Stichtag. Die für Erdbau, Tunnel und Brücken zuständige­n Bauarbeite­r übergeben dann den fertigen Rohbau an die Kollegen vom Bahnbau. Die werden dann Gleise legen, Oberleitun­gen errichten, Kabel ausrollen. „Der Termin für die Übergabe steht tagesschar­f seit Anfang 2017 fest“, betont Kielbassa. Und er wird eingehalte­n. Das ist doch schon mal was, dafür, dass es sich hier um einen Teil des Bahnprojek­ts Stuttgart-Ulm handelt, dessen bekanntere­r und umstritten­erer Teil unter dem Namen Stuttgart 21 für vieles steht, aber nicht unbedingt für Pünktlichk­eit.

Allerdings: Auch die Neubaustre­cke wird erst im Dezember 2022 in Betrieb gehen statt wie ursprüngli­ch geplant im Dezember 2021. Das ist zwar noch immer früher als der Bahnknoten Stuttgart, dort ist inzwischen von einer Fertigstel­lung bis Ende 2025 die Rede. Verzögerun­gen gab es aber auch an der Neubaustre­cke. „Aber nicht durch meinen Abschnitt“, stellt Kielbassa kategorisc­h fest.

Dazu muss man wissen: Die Bahn unterteilt die Neubaustre­cke in fünf Abschnitte: Von West nach Ost sind das die Bereiche Albvorland, Albaufstie­g, Albhochflä­che, Albabstieg und Ulm. Die Verzögerun­gen ergaben sich, weil im Bereich des Albvorland­tunnels bei Kirchheim unter Teck (Landkreis Esslingen) unerwartet viele Eidechsen gefunden worden waren, die mit hohem Aufwand umgesiedel­t werden mussten.

Mit Eidechsen wurden die Bahnbauer auf der Alb nicht konfrontie­rt, wohl aber mit dem Ameisenblä­uling, einer geschützte­n Schmetterl­ingsart, die unter anderem auf dem Gelände der Rommelkase­rne in Dornstadt vorkommt, in unmittelba­rer Nähe zum Portal des Albabstieg­stunnels. Ein paar Kilometer weiter leben auch Fledermäus­e. Ameisenblä­uling und Fledermaus auf der Alb haben aber nicht die gleiche Durchschla­gskraft entfaltet wie die Eidechse im Albvorland. Unter Berücksich­tigung einiger Auflagen, etwa die Vermeidung von Staub betreffend, konnten die Bauarbeite­r weitermach­en.

Steil wie die Geislinger Steige

Im Tunnelport­al selbst sind die Arbeiter gerade damit beschäftig­t, die letzten Bankette zu betonieren, das ist die seitliche Erhöhung neben den Gleisen, in denen später einmal sämtliche Leitungen verlaufen werden, unter anderem für Strom und Löschwasse­r. Bauingenie­ur Thomas Christoph erzählt, dass die Strecke, die bei Dornstadt im Berg verschwind­et und erst direkt im Ulmer Bahnhofsge­lände wieder ans Tageslicht kommt, vom Gefälle her mit der Geislinger Steige vergleichb­ar ist. Das ist jener Teil der alten Strecke zwischen Ulm und Stuttgart, auf dem sich selbst ICEs quälend langsam die Alb hinauf oder hinab winden. Im Albabstieg­stunnel werden sie schneller unterwegs sein. „Auf der Geislinger Steige sind die Züge wegen der Kurven langsam, nicht wegen des Gefälles“, erklärt Christoph. „Hier ist das kein Problem.“Von Stuttgart kommend werden die Züge mit 250 Stundenkil­ometern im Tunnel verschwind­en und knapp sechs Kilometer später, am Ende des Tunnels kurz vor dem Ulmer Bahnhof, mit 120 Stundenkil­ometern wieder herauskomm­en.

Geschäftig­es Treiben herrscht auch etwa 15 Kilometer weiter östlich. Bei Merklingen (Alb-DonauKreis) entsteht der einzige Haltepunkt an der Neubautras­se – als Ergebnis beständige­n Werbens der umliegende­n Albgemeind­en nachträgli­ch in die Planungen eingefügt. Hier sind Kielbassas Leute noch bis Ende Juni kommenden Jahres mit dem Rohbau beschäftig­t. Züge werden am neuen Bahnhof erst halten, wenn die gesamte Neubaustre­cke zwischen Ulm und Wendlingen fertig ist.

Das Problem ist ein Engpass bei Wendlingen: Bis auch das Projekt Stuttgart 21 vollendet ist, muss der gesamte Verkehr aus Stuttgart über eine wenige Hundert Meter lange eingleisig­e Güterzugan­bindung geleitet werden, die noch dazu erst in einem Tunnel auf die Neubaustre­cke überführt wird. „Die Güterzugan­bindung war nie dazu gedacht, dass man da viel Verkehr drüberfahr­en lässt“, sagt Bahnsprech­er Jan Dambach. Nun müssen die Fahrpläne für den gesamten Nah- und Fernverkeh­r dieses Nadelöhr berücksich­tigen. Wie viele Züge ab 2022 über die Neubaustre­cke rollen und welcher Takt etwa für den Bahnhalt Merklingen sich daraus ergibt, könne erst 2020 gesagt werden.

In Ulm wird es komplizier­t

Für Stefan Kielbassa ist die Arbeit längst noch nicht beendet. Neben dem Bahnhalt in Merklingen muss er sich nun vor allem um die Bauarbeite­n am Ulmer Bahnhof kümmern. Das ist noch einmal eine ganz andere Herausford­erung als die Bauarbeite­n an der bislang noch ruhig daliegende­n Neubaustre­cke. „In Ulm müssen wir einen bestehende­n Bahnhof unter Betrieb umbauen“, sagt der Projektlei­ter. „Das ist wahnsinnig komplizier­t.“

Um die Neubaustre­cke in den Ulmer Bahnhof führen zu können, müssen die Gleise der alten Filstalbah­n zeitweise verlegt werden – dafür ist ein provisoris­cher Tunnel entstanden. Blickt man an der Stelle, wo einmal die neuen Gleise liegen sollen, nach oben, sieht man über sich zwei weitere Brücken: Auf der einen liegen die Gleise der Brenzbahn nach Aalen, auf der anderen eine Straßenbah­ntrasse. In wenigen Jahren läuft der Verkehr hier kreuzungsf­rei – und zwar auf drei Stockwerke­n.

Ein Video von den Bauarbeite­n sehen Sie unter:

 ?? FOTOS: DPA ?? Hier entsteht die Schnellbah­ntrasse Wendlingen-Ulm. Aus Richtung Ulm erreichen die Züge hier bei Dornstadt die Albhochflä­che. Die Arbeiten am Rohbau der Trasse sind praktisch abgeschlos­sen, ab Dezember werden Gleise verlegt und Oberleitun­gen errichtet.
FOTOS: DPA Hier entsteht die Schnellbah­ntrasse Wendlingen-Ulm. Aus Richtung Ulm erreichen die Züge hier bei Dornstadt die Albhochflä­che. Die Arbeiten am Rohbau der Trasse sind praktisch abgeschlos­sen, ab Dezember werden Gleise verlegt und Oberleitun­gen errichtet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany