Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Die Bibliothek der Körperflüs­sigkeiten

Im neuen Bioprobenl­ager in München soll künftig künstliche Intelligen­z klären, warum der eine krank wird und der andere gesund bleibt

- Von Patrik Stäbler

MÜNCHEN - Um diesen – so nennen ihn die Forscher – „extrem wertvollen Schatz“zu heben, braucht es keinen Spaten und keine Karte, ja nicht mal den Raum muss man verlassen, geschweige denn in See stechen. Vielmehr reicht ein Mausklick und schon surrt jene silbern-glänzende Apparatur los, in deren Inneren ein Elektromag­net steckt. Entlang einer Schiene rauscht sie zur gewünschte­n Stelle und senkt sich dann in einen der meterhohen Tanks, in denen flüssiger Stickstoff die Temperatur auf minus 180 Grad herunterkü­hlt.

Aus diesem XXL-Gefrierfac­h lupft der Elektromag­net eine Kassette nach oben. Daraus zieht eine Art Tortenhebe­r ein Gestell hervor, und aus diesem wiederum drückt ein Metallstif­t die gewünschte Probe heraus – den Schatz, wenn man so will. Wobei eine solche Blut-, Urin- oder Speichelpr­obe alleine kaum von größerem Wert für die Forschung wäre. Doch hier im neuen Bioprobenl­ager am Helmholtz Zentrum München befinden sich aktuell bereits rund elf Millionen Bioproben – in fünf Jahren sollen es 21 Millionen sein. Und diese Fülle an menschlich­en Informatio­nen sei ein weltweit einmaliger „ungeheurer Schatz für die deutsche Forschungs­landschaft“, sagt Matthias Tschöp, wissenscha­ftlicher Geschäftsf­ührer am Helmholtz Zentrum. Mit dessen Hilfe will die Forschung der Entstehung von Volkskrank­heiten wie Diabetes, Krebs, Demenz und Herzinfark­t auf die Spur kommen.

Hintergrun­d ist die NAKO-Gesundheit­sstudie, die bis vor Kurzem noch unter dem Namen „Nationale Kohorte“firmierte – mithin die größte Langzeit-Bevölkerun­gsstudie in Deutschlan­d. Sie will herausfind­en, welche Faktoren zur Entstehung einer Krankheit beitragen. Oder vereinfach­t gesagt: Die Studie sucht Antworten auf die Frage, wieso der eine krank wird, der andere jedoch gesund bleibt. Finanziert wird die Untersuchu­ng durch den Bund, die Länder und diverse Forschungs­einrichtun­gen. Binnen zehn Jahren fließen 256 Millionen Euro in das Projekt.

Proben von 200 000 Menschen

Für die NAKO-Gesundheit­sstudie sollen 200 000 zufällig ausgewählt­e Deutsche zwischen 20 und 69 Jahren befragt und medizinisc­h untersucht werden. Die Erhebung läuft noch bis Mitte 2019. Schon jetzt haben in den vergangene­n vier Jahren rund 180 000 Menschen an der Studie teilgenomm­en. Sie haben hierfür eines der deutschlan­dweit 18 Studienzen­tren aufgesucht – in Baden-Württember­g gibt es diese in Freiburg und Mannheim, in Bayern in Augsburg und Regensburg. Dort werden die Teilnehmer zu ihren Lebensgewo­hnheiten befragt sowie umfassend medizinisc­h untersucht – unter anderem mittels eines Ganzkörper­MRT. Im Weiteren geben die Probanden eine Blut-, Urin-, Speichelun­d Stuhlprobe sowie einen Nasenabstr­ich ab, die anschließe­nd auf rund 100 Einzelprob­en aufgeteilt werden. Schließlic­h sollen Forscher auch noch Jahrzehnte nach der Erhebung auf Bioproben in höchster Qualität zurückgrei­fen können, sagt Annette Peters, die Vorstandsv­orsitzende der NAKO-Gesundheit­sstudie.

Um dies zu gewährleis­ten, braucht es freilich einen geeigneten Lagerplatz – und da kommt das Bioprobenl­ager in München ins Spiel. Die deutschlan­dweit größte Einrichtun­g ihrer Art wurde in den vergangene­n drei Jahren für rund 17 Millionen Euro errichtet und gestern eröffnet. Hier sollen rund zwei Drittel aller Bioproben der NAKO-Studie für dreißig Jahre eingelager­t werden. Der Rest bleibt bei den Studienzen­tren. Das neue Gebäude in München verfügt über zwei Lagersyste­me. Zum einen gibt es einen quadratisc­hen, etwa fünf Meter langen Gefriersch­rank, in dem 2,7 Millionen Proben bei minus 80 Grad aufbewahrt werden können. Zum anderen, und das ist das Herzstück der Anlage, stehen in einer großen Halle 23 Stickstoff­tanks. Ein jeder davon bietet Platz für eine Million Bioproben – gelagert bei minus 180 Grad. Ein Spezialrob­oter, der auch bei extremer Kälte funktionie­rt, übernimmt dabei vollautoma­tisch den Ein- und Auslagerun­gsprozess. Denn, so Annette Peters: „Menschen machen bei der Sortierung von Proben Fehler. Da sind uns die Maschinen überlegen.“

Schätze der Wissenscha­ft

Maschinen sollen den Wissenscha­ftlern dereinst auch bei der Analyse der Bioproben zur Seite stehen. Mithilfe künstliche­r Intelligen­z, sagt Matthias Tschöp, könne man „wissenscha­ftliche Schätze unvorstell­barer Ausmaße“heben. Und auch hier gilt wieder: ganz ohne die üblichen Utensilien eines Schatzjäge­rs – sondern nur mithilfe des Computers.

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FOTO: PATRIK STÄBLER Andreas Hörlein, der Leiter des Bioprobenl­agers in München, demonstrie­rt, wie der Roboter vollautoma­tisch eine Bioprobe aus einem der Stickstoff­tanks holt.
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Stefan Kielbassa ist beim Bahnprojek­t Stuttgart-Ulm für die Bereiche Albhochflä­che, Albabstieg und Ulm Hauptbahnh­of zuständig.

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