Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Nato probt den Ernstfall
Größtes Manöver seit Ende des Kalten Kriegs beginnt – Für die Bundeswehr ist es besonders wichtig
BRÜSSEL/OSLO - Rund 50 000 Soldaten, 10 000 Fahrzeuge, mehr als 300 Kampfflugzeuge, Hubschrauber und Schiffe: Die Nato beginnt am Donnerstag das größte Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges. In Norwegen wird dann bis in den November hinein erstmals seit Langem wieder groß für den sogenannten Bündnisfall trainiert. Dieser könnte ausgerufen werden, wenn einer oder mehrere der 29 Mitgliedstaaten von einem Gegner angegriffen würden. In der Folge müssten dann die anderen Alliierten gemeinsam Beistand leisten.
„In den vergangenen Jahren hat sich das Sicherheitsumfeld in Europa deutlich verschlechtert“, erklärte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch in einer Pressekonferenz zum Manöver. „Es ist wichtig zu zeigen, dass wir in der Lage sind, jeden Bündnispartner gegen jede Art von Gefahr zu verteidigen.“
2014 war das Wendejahr
Dass sich diese Botschaft vorrangig an Russland richtet, ist klar – auch wenn die politisch Verantwortlichen es selten explizit aussprechen. Für den sogenannten Bündnisfall war nach dem Ende des Kalten Krieges kaum noch intensiv geübt worden. Dann kam allerdings das Jahr 2014, in dem Russland sich die ukrainische Halbinsel Krim einverleibte und massiv mit der Unterstützung prorussischer Separatisten begann.
Seitdem drängen vor allem östliche Bündnispartner darauf, sich wieder besser für den Bündnisfall zu wappnen. Nach den Ereignissen in der Ukraine könne nicht mehr ausgeschlossen werden, dass Russland auch in einem Nato-Land für Unfrieden oder sogar Krieg sorgen könnte, lautet die Argumentation
Russland sieht die Lage dagegen genau andersherum. Das geplante Nato-Manöver trage zur Destabilisierung in der Region bei, erklärte jüngst Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. Unterstützung bekommt sie von der Linksfraktion im Bundestag. „Solches Säbelrasseln lässt die Situation in Europa weiter eskalieren“, kommentiert der verteidigungspolitische Sprecher Tobias Pflüger.
Die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger befürwortet internationale Militärübungen zwar grundsätzlich. Doch im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“warnt die Ravensburger Bundestagsabgeordnete auch: „Am Ende bringen uns aufwendig inszenierte Großmanöver nicht die Sicherheit, die wir alle uns für ganz Europa wünschen.“Gegenüber Russland fehle es vor allem an „Deeskalation, Diplomatie und Dialog“.
Bei der Nato und in der Bundeswehr wird darauf verwiesen, dass auch Russland zuletzt wieder intensiv für großformatige Konflikte trainiert hatte. An dem jüngsten Großmanöver Wostok (Osten) sollen nach Angaben aus Moskau knapp 300 000 Soldaten teilgenommen haben. Die Übung sei enorm gewesen, selbst wenn die Zahl vermutlich übertrieben sei, heißt es in Brüssel. In der Bundeswehr wird auf das Vorsorgeprinzip verwiesen. „Wir schaffen ja auch nicht die Feuerwehr ab, nur weil es gerade nicht brennt“, heißt es. Wer im Krisenfall fit sein wolle, müsse dafür auch trainieren. Die rund 90 Millionen Euro, die Deutschland in die Teilnahme an dem Manöver investiere, seien gut investiertes Geld. Die Grünen-Verteidigungsexpertin Brugger sieht das anders. Das Geld für das Manöver „hätte sicherlich auch an anderer Stelle sinnvoll ausgegeben werden können“, sagt sie mit Verweis auf die Ausrüstungsmängel bei der Truppe.
Härtetest für die Bundeswehr
Für die Bundeswehr ist die Großübung eine Bewährungsprobe. Sie stellt neben schweren Kampfpanzern, Jagdflugzeugen und Hunderten anderen Fahrzeugen rund 10 000 Soldaten und ist nach den USA zweitstärkste Nation bei der Übung.
Im kommenden Jahr wird die Bundeswehr die Führung der schnellen, im Zuge der Ukraine-Krise aufgestellten Nato-Eingreiftruppe VJTF übernehmen. In Norwegen soll sie unter Beweis stellen, dass sie für die Aufgabe gerüstet ist.
Sorgen, dass die Bundeswehr wie mehrfach in der Vergangenheit Negativ-Schlagzeilen durch schlechte Ausrüstung machen könnte, hat die Truppenführung nicht. „Wir haben alles, was wir brauchen“, sagt Spannuth. Selbst für den Fall, dass die Temperaturen tief unter den Gefrierpunkt fallen sollten, seien die Soldaten gut ausgerüstet.