Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Tod auf der Weide

Ein Oberallgäu­er Biobauer lässt seine Kühe von Jägern erlegen

- Von Uwe Jauß

MISSEN - Transporte über zig Kilometer zum Schlachtho­f, verängstig­tes Vieh im Angesicht des Metzgers – so sieht im Allgemeine­n der letzte Gang vieler Tiere aus bevor sie zu Bratenflei­sch oder Wurst verarbeite­t werden. Der Biobauer Herbert Siegel aus Missen im Oberallgäu hat sich gefragt, ob es nicht einen Weg geben könnte, den Tieren diesen Stress am Ende ihre Lebens zu ersparen. Und der 52-Jährige fand eine ungewöhnli­che Lösung, die in der Öffentlich­keit auf großes Interesse stieß: der tödliche Schuss auf der Weide.

Auf die Idee kam Siegel schon vor vielleicht 20 Jahren während des Besuchs in einem nahegelege­nen Hirschgehe­ge zur kommerziel­len Gewinnung von Wildbret. Ein Jäger habe eines der Tiere erlegt. „Da war ein dumpfer Schuss zu hören, ein Tier fiel um und die anderen haben weitergefr­essen.“Der Gedanke, dass diese Art der Tötung auch für seine Rinder angenehmer wäre, hat ihn daraufhin nicht mehr losgelasse­n.

Bis er diese Idee umsetzen konnte, verging allerdings einige Zeit. Einerseits hatte er zusammen mit seiner Familie das tägliche Geschäft auf dem Bauernhof zu bewältigen. Außerdem betreibt der gelernte Landmaschi­nen-Mechaniker noch eine Werkstatt. Und einfach zum Gewehr zu greifen ist in Deutschlan­d bekannterm­aßen verboten. Da Siegel weder Jäger noch Sportschüt­ze ist, darf er nicht einmal eine solche Waffe besitzen. Aber selbst als Jäger dürfte der umtriebige Landwirt keine Kuh so einfach erschießen, denn schließlic­h handelt es sich nicht um Wild.

Jahrelang musste er mit den Behörden ringen um seine Vorstellun­g des stressfrei­en Schlachten­s. Doch aussichtsl­os war der Kampf nicht. Denn, so Siegels Argument, es gibt auch Gehege, in welchen Wildtiere wie Damhirsche zahm und wie Nutzvieh gehalten werden. Kühe waren dann aber offenbar für die Beamten doch eine gewichtige­re Nummer. Erst seit August 2016 darf Siegel nach seiner Methode vorgehen – unter umfassende­n Auflagen: „Um das Tier auf der Weide schießen zu können, müssen ein Jäger, ein amtlicher Tierarzt, der Metzger, mein Sohn und ich vor Ort sein.“

Der Jäger schreitet aus kürzester Distanz zur Tat. Auf seine Büchse ist ein Schalldämp­fer montiert, geschossen wird in den Kopf. „Wir tun alles, dass es schnell und leise geschieht, damit die anderen Kühe möglichst nichts mitbekomme­n“, erklärt Siegel. Das tote Tier werde anschließe­nd rasch von der Weide entfernt.

Großer Aufwand

Damit ist die Arbeit natürlich noch nicht getan. Der Metzger sorgt nun fürs Ausbluten des Tiers. Zudem muss es laut Vorschrift innerhalb einer Stunde zu einem Schlachtho­f gebracht werden. Im nahen Seltmans gibt es eine entspreche­nde gemeinscha­ftliche Einrichtun­g von Bauern aus der Gegend. Für den Transport dorthin verfügt Siegel über eine mobile Schlachtbo­x, in der das Tier weiter ausbluten kann. Was Siegel erzählt, mag sich brutal anhören, doch er sagt: „Schlachten wird nie ein Spaß.“Auch bei ihm würde schließlic­h keine Kuh zu Tode gestreiche­lt.

Der Landwirt sieht sich jedoch auf dem richtigen Weg. Dabei ist ihm klar, dass sein Vorgehen nur eine Ausnahme sein kann. Und dass es nur bei überschaub­arem Viehbestan­d und Weidehaltu­ng überhaupt praktizier­t werden kann. Er möchte deshalb niemanden kritisiere­n, der ganz klassisch das lebende Vieh zum Schlachtho­f transporti­ert: „Jeder wie er will.“

Das Erschießen auf der Weide bedeutet für ihn einen spürbaren Mehraufwan­d, doch den nimmt Siegel „fürs Tierwohl“gerne in Kauf. Hört man sich in der Missener Gegend um, scheinen potenziell­e Kunden Siegels Vorgehen zu honorieren. „So spürt das Tier nichts. Kurz und schmerzlos“, ist immer wieder zu hören. Die daraus entstehend­en Fleisch- und Wurstwaren werden in Siegels Hofladen zum Verkauf angeboten. Das Interesse sei groß, betont Siegel. Derzeit plant er, die Verwertung des geschlacht­eten Viehs auszuweite­n. „Seit ein paar Monaten werden unsere Felle gegerbt.“Eine erste Lederhose für ihn sei gerade in Arbeit. Offenbar hat zudem ein Schuster Interesse an Siegels Leder gefunden, womit es womöglich auch bald den ersten Schuh von der eigenen Kuh geben wird.

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FOTO: FLORIAN MAUCHER Herbert Siegel mit einer seiner Kühe. Der Biobauer hat beim Schlachten der Tiere einen alternativ­en Weg gewählt.
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