Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Film als Malerei
Reich an Material und Motiven: Kunsthaus Bregenz zeigt Arbeiten der Britin Tacita Dean
BREGENZ - Tacita Dean hat ein Herz für ein Medium, das längst abgewickelt ist: den analogen Film. In ihren Porträts von Menschen, Dingen oder Landschaften stellt sie das fotochemische Filmmaterial selbst ins Zentrum ihrer auf 16-mm produzierten Arbeiten. Zugleich beschäftigt sie auch immer wieder die monumentale Kreidezeichnung. Das Kunsthaus Bregenz (KUB) widmet der Britin eine Ausstellung, die das ganze Gebäude bespielt. Entstanden ist eine Hommage an das Kino, die viel Fantasie von den Betrachern fordert.
Die Farben sind fast immer warm. Scharfe und unscharfe Teile wechseln sich ab. Das Licht spielt eine große Rolle. Auf handkolorierte Passagen folgen in schnellem Schnitt Naturaufnahmen und Bilder von einer Fabrik. Details werden herangezoomt, dann wieder fällt der Blick durch die Kamera aufs große Ganze. Am Rand flimmern stets die Lochstreifen des Filmmaterials. Die Arbeit „Film“(2011), auf Hochformat getrimmt, versteht Tacita Dean als Huldigung an das Zelluloid-Kino. Der Augenblick und das Vergängliche, die Zeit und der Verfall stehen im Zentrum dieses Werks. Zu sehen ist der Streifen ganz oben im dritten Stock, zu hören nur das Rattern des Filmprojektors.
Die 53-jährige Künstlerin, die in den 1990er-Jahren zu den Stars der sogenannten Young British Art gehörte und mittlerweile in Berlin lebt, macht es dem Betrachter mit ihren bewegten Bildern nicht leicht. Ihre Motive sind oft belanglos, und die Langsamkeit mancher Szene wirkt allzu gewollt. Nur weil ein Film auf Zelluloid produziert wurde und knatternde Projektoren das Ganze dann an die Wand werfen, soll es Kunst sein? Diese Frage stellt sich der Besucher immer wieder beim Rundgang durch die Ausstellung. Aber das ist ja kein neues Phänomen im KUB. Das Haus ist berühmt als Plattform für zeitgenössische Künstler und ihren erweiterten Kunstbegriff.
Faszinierende Zeichnungen
Emotional berührend ist im Grunde nur ein Filmprojekt in der Schau: Deans neue Arbeit mit dem Titel „Antigone“von 2018, zu sehen im ersten Obergeschoss. Erzählt wird auf zwei nebeneinanderliegenden Filmstreifen über 60 Minuten die Geschichte der Antigone, Tochter des Ödipus, die ihren blinden, gebrechlichen Vater durch die Wildnis führt. Antigone ist aber auch der Name von Tacita Deans Schwester. Da gibt es Momente, in denen der alte Mann einfach nur dasitzt. Wenig später wandert er wieder durch Savannen und Wälder. Dann schwenkt die Kamera Richtung Himmel, um dort eine seltene Sonnenfinsternis einzufangen. Untermalt wird die Handlung von Erzählungen der beteiligten Figuren in englischer Sprache. Immer wieder überlagert sich der Ton, sodass die Texte nur schwer zu verstehen sind. Und weil der Streifen so unprofessionell gemacht ist, wird er auf eine bestimmte Art wesentlicher, ursprünglicher. Man könnte fast sagen, hier wird der Film zur Malerei. Und der Besucher, der es sich auf einem der Sessel bequem gemacht hat, schaut fasziniert zu.
Faszinierend sind zweifellos Deans monumentale Kreidezeichnungen, von denen zwei wunderschöne Exemplare auf Schiefer im Erdgeschoss hängen. Für „The Montafon Letter“(2017) ließ sich die britische Künstlerin von einer historischen Geschichte inspirieren: Ein Lawinenabgang im Jahr 1689 erschüttert das Montafon in Vorarlberg. Der Legende zufolge wird der Geistliche, der die Toten segnen soll, von einer zweiten Lawine verschüttet und von einer dritten wieder freigelegt. In einer weiteren großen, „Chalk Fall“(2018), wird dann die Kreide in ihrer doppelten Funktion als künstlerisches Medium und geologisches Thema angesprochen. Die Weißtöne der einstürzenden Kreideklippe spiegeln sich im weißen Staub der Schneelawine. Himmel, Gebirge und Klippen, Naturgewalten, Bedrohung und Weite erinnern an Künstler der britischen Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, wie etwa William Turner, aber auch der Gegenwartskunst wie beispielsweise Richard Longo. Erst aus der Nähe sind die handschriftlichen Notizen auf der Bildoberfläche zu entdecken und verleihen dem Ganzen eine menschliche Note.
Deans Kreidezeichnungen werden im KUB bewusst ohne Kunstlicht präsentiert. Im Lauf des Tages und der Jahreszeit verändern sich also die Bilder. Bei Sonnenschein wirken sie weniger bedrohlich als an regnerischen Tagen, wenn kaum Licht durch die Fenster ins Haus dringt. Und wieder geht es um den Augenblick und das Vergängliche, die Zeit und den Verfall.
Bis 6 Januar 2019, Öffnungszeiten: Di.-So. und Feiertag 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr. Weitere Infos auch zu den Führungen unter: