Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Über fast allen Gipfeln ist Ruh’
Wie der Ruhm im Internet die Pächter eines weltberühmten Berggasthauses überfordert
Einst war das Berggasthaus Äscher-Wildkirchli (Foto: imago) im Schweizer Kanton Appenzell Innerrhoden eines unter vielen in den Alpen. Seit das spektakulär am Überhang gelegene Haus im Jahr 2015 von der Zeitschrift „National Geographic“jedoch zu einem der 225 schönsten Orte der Welt erklärt wurde, begann im Internet ein globaler Hype. Nun kapituliert das PächterEhepaar vor der Flut von Besuchern.
Wie viele Gäste erträgt ein Gasthaus in den Bergen? Ist ein Besucheransturm dank Facebook, Instagram und Reiseempfehlungen im Internet eine positive oder negative Folge? Und was ist wichtiger: Authentizität oder moderner Komfort? Diese Fragen stellen sich rund um eines der berühmtesten Wirtshäuser der Schweizer Alpen: das Berggasthaus am Äscher in Appenzell in der Ostschweiz, nicht weit vom südlichen Bodenseeufer. In der Folge der weltweiten Aufmerksamkeit sehen sich die langjährigen Pächter nicht mehr in der Lage, es weiter zu betreiben.
Das Gasthaus lehnt sich in spektakulärer Lage an den überhängenden Fels des Äscher. Diese ungewöhnliche Ansicht lockt schon seit langer Zeit Besucher dorthin. Graf von Zeppelin war dort, ebenso wie der Dichter Victor von Scheffel. Schon um 1750 gab es die erste Hütte.
Doch dann veröffentlichte „National Geographic“im Jahr 2015 ein Buch über 225 der schönsten Orte der Welt – und das Gasthaus prangte auf dem Titel. Das Fotomotiv ist Tausende Male auf der Social-Media-Fotoplattform Instagram zu sehen. Dass Hollywoodstar Ashton Kutscher ein Foto auf seiner Facebookseite teilte, erhöhte die Aufmerksamkeit weiter. Das Wanderziel in Appenzell wurde plötzlich ein Ziel für Touristen aus aller Welt.
Die Bergwirte Bernhard und Nicole Knechtle nahmen den Besucheransturm hin und stellten sich auf die neuen Anforderungen ein. Ihnen blieb auch nichts anderes übrig: Die Kontrolle darüber, wie weit die Werbung dank Internet plötzlich gestreut wurde, hatten sie längst verloren. „Da konnten wir nicht sagen: ‚Das wollen wir nicht‘, sagt Bernhard Knechtle. „National Geographic“sage man ebenso wenig ab wie den großen Schweizer Tourismusportalen. „Den Massentourismus muss man bewältigen“, sagt Knechtle.
Betreiber sieht Sanierungsbedarf
Die ganze Saison über waren das Restaurant mit 50 und die Terrasse mit 80 Plätzen immer gut besetzt. Ruhe gab es zwischen morgens und abends nicht mehr – auch an Tagen, an denen das Wetter nicht strahlend schön war oder den wenigen Gelegenheiten, wenn die Bergbahn von der Ebigenalpe nicht fuhrt.
Das Ehepaar hat sich nun entschieden, das Gasthaus am Äscher im nächsten Jahr nicht weiter zu bewirtschaften. Damit endet auch ein Stück Familiengeschichte am Berg: Bernhard Knechtles Eltern haben den Gasthof am Äscher fast 30 Jahre lang vor ihm geführt.
Der Besucheransturm ist nur indirekt der Grund für die Kündigung. Denn eigentlich geht es um den Zustand des denkmalgeschützten Gebäudes und die Anforderungen daran. Aus Sicht der Betreiber gibt es Sanierungsbedarf: Nicht nur der Platz, sondern auch Wasser, Strom und Sanitäranlagen kommen laut Knechtle an ihre Grenzen. Der Pächter rechnet damit, dass das in Zukunft noch schlimmer wird. „Das geht mit unserer Infrastruktur nicht mehr. Das ist nicht mehr leistbar.“
Die Wildkirchli-Stiftung wolle aber nicht für die entsprechende Ausstattung des Gebäudes am Berg sorgen. „Wir mussten einsehen, dass wegen Denkmalschutz und Archäologiezonen hier oben keine Aus- und Weiterbauten genehmigt werden“, erklärt Knechtle.
Stiftung kritisiert Organisation
Stefan Müll ersteht als Landes hauptmann im Land-und Forst wirt schafts departement des Kantons Appenzell Innerrhoden der Stiftung Wildkirchli vor. In der Zeit, in der die beiden Generationen der Familie Knechtle das Berggasthaus betrieben, habe die Stiftung 1,6 Millionen Franken investiert.
„Es ist nicht so, dass das Haus marode wäre“, betont Müller. Die Küche sei saniert worden, ebenso wie das gesamte Haus. „Aber das ist ein denkmal geschütztes Objekt, kein Neubau.“Auch die Stromversorgung sei verstärkt worden, eine Lösung für eine verbesserte Wasserversorgung und der Neubau eines Nebengebäudes in Planung. Dass die Infrastruktur für den Betrieb nicht reiche, liege eher an der Organisation des Pächters. „Ich stelle schon die Frage, ob man alle Kartoffeln da oben schälen und sieden muss“– auch wenn es löblich sei, dass die Qualität der Küche so hoch ist.
Ohne Erweiterung und Sanierung sehen Bernhard und Nicole Knechtle keine Möglichkeit, das Gasthaus weiterzuführen, ohne „sich kaputt zu machen“. Nach der Ausschreibung sind 16 Bewerbungen bei Müller eingegangen. Eine Entscheidung, wer neuer Hüttenwirt sein soll, ist noch nicht gefallen. Der zukünftige Pächter müsse sich auf die besonderen Gegebenheiten am Berg einstellen: „Das ist und bleibt ein spezieller Ort. Wir werden nie einen Abbruch und Neubau machen können.“