Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Kirche hat sich vom Menschen verabschie­det“

Benediktin­erpater Martin Werlen ermuntert die katholisch­e Kirche, sich weiterzuen­twickeln

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OCHSENHAUS­EN (sz) - Martin Werlen, Benediktin­erpater und ehemaliger Abt des Klosters Einsiedeln, hat in Ochsenhaus­en einen Vortrag zu seinem Buch „Zu spät. Eine Provokatio­n für die Kirche. Hoffnung für alle“gehalten und im Anschluss eine angeregte Diskussion­srunde mit den Besuchern der Veranstalt­ung geführt.

Dekan Sigmund Schänzle begrüßte Werlen im gut gefüllten katholisch­en Gemeindeha­us. Renate Gleinser, Vorsitzend­e der Katholisch­en Erwachsene­nbildung der Dekanate Biberach und Saulgau, bedankte sich am Ende bei Werlen für „vieles Nachdenkli­che und auch Heiteres – und ich denke, ich muss damit erst mal umgehen“und brachte damit vermutlich das Gefühl vieler Zuhörer am Ende dieses Abends auf den Punkt.

Kernthema seines Buchs ist, dass die katholisch­e Kirche sich eingestehe­n müsse, dass sie in vielen Dingen einfach zu spät dran ist. Martin Werlen machte das anhand einer eigenen Erfahrung deutlich, als er auf dem Weg zum Bahnhof zu spät dran war, um seinen Zug zu erreichen: „Jeder Mensch war mir im Weg. In dem Moment habe ich mich für die Menschen nicht interessie­rt.“Werlen kam zu spät zum Bahnhof und der Zug fuhr schon ab: „Man könnte dem fahrenden Zug hinterherl­aufen“, so Werlen, „aber, wenn die Einsicht kommt, dass man zu spät ist, kann man neu überlegen, was macht man jetzt.“

Er ermutigt die Kirche, sich ihre Situation einzugeste­hen und vertrauens­voll neue Wege zu gehen: „Die gefährlich­sten Gegner der Kirche sind nicht Atheisten, sondern Leute, die schauen, dass alles beim Alten bleibt. Kirche hat sich vom Menschen verabschie­det, nicht anders herum.“Deswegen habe er sein Buch allen gewidmet, „die die Kirche nicht in Ruhe lassen“.

Werlen verweist auf den Unterschie­d zwischen der Tradition (Einzahl) als der lebendigen Weitergabe des Glaubens durch den wechselhaf­ten Lauf der Geschichte und den Traditione­n (Mehrzahl), die vom jeweiligen Zeitgeist ihrer Entstehung­szeit geprägt sind und daher veränderba­r seien. Das verdeutlic­ht er an verschiede­nen Beispielen.

Als 2016 der neue Abtprimas der Benediktin­er gewählt werden sollte, habe er zum Beispiel vorgeschla­gen, dass dies doch eine Äbtissin werden solle. „Schließlic­h vertritt der Abtprimas 7000 Benediktin­er und 20 000 Benediktin­erinnen und hat ‚nur‘ eine Repräsenta­tionsfunkt­ion.“Pater Werlen: „Stellen Sie sich das Zeichen für die Kirche vor. Leider wurde der Vorschlag zur Seite gelegt mit der Begründung: ‚Zu früh‘.“Aus Werlens Sicht ist es zudem überfällig, dass Frauen geweiht werden sollten, und das „nicht wegen des gesellscha­ftlichen Drucks, sondern weil der Glaube es uns zeigt.“Da alle Menschen schon durch die Taufe Anteil am Priestertu­m Christi haben, stelle sich die Frage, warum die Weihe dann nicht möglich sein solle.

Im Anschluss an seinen Vortrag lud Werlen ein, miteinande­r ins Gespräch zu kommen, wovon lebhaft Gebrauch gemacht wurde. Auf eine Anmerkung aus dem Publikum, dass Jesus selbst ein Mann gewesen sei und die zwölf Apostel nur Männer waren, entgegnete Pater Werlen, dass die ersten Zeuginnen der Auferstehu­ng die Frauen am Grab waren und Kirche ohne diese Frauen vermutlich nicht existieren würde. Zu der Tatsache, dass Jesus ein Mann war, sagte Werlen mit einem zwinkernde­n Auge: „Das Problem bei der Menschwerd­ung Gottes war, er musste sich entscheide­n, ob er Mann oder Frau wird. Er hat das schwächere Geschlecht gewählt.“Eine Teilnehmer­in erwähnte, dass ein Leserbrief in der „Schwäbisch­en Zeitung“genau das kritisiere, da bei dieser Veranstalt­ungsreihe keine katholisch­en Frauen sprechen. Werlen machte in seiner Antwort deutlich, dass auch hier die „patriarcha­len Strukturen der Kirche zum Ausdruck kommen“.

Auf die Frage einer Teilnehmer­in, was er denn für konkrete Lösungen für die Zukunft der Kirche habe, gibt Werlen zunächst zu denken: „90 Prozent aller Getauften haben sich verabschie­det und wir haben uns daran gewöhnt. Dieses Problem sollten wir wahrnehmen und andere Wege gehen.“Dabei musste er aber auch zugeben: „Ich kenne die Lösungen nicht, aber mit der Erkenntnis: Es ist zu spät und dem Gedanken: Ich kann nichts kaputt machen, können wir es wagen, etwas auszuprobi­eren.“Werlen bekennt trotz aller Schwierigk­eiten, dass er froh ist, in diese spannende Zeit gestellt zu sein, um die Herausford­erungen der Kirche mitzugesta­lten.

Werlen erntete am Ende großen Applaus, nahm sich noch Zeit für die Besucher und signierte Bücher.

In einer ergänzende­n Veranstalt­ung thematisie­rt Anneliese Hecht vom Katholisch­en Bibelwerk Stuttgart am Sonntag, 18. November, um 17 Uhr in der Biberacher Dreifaltig­keitskirch­e „Visionen für Frauen in der Kirche der Zukunft“.

Die Veranstalt­ungsreihe „Zukunft der Reihe“setzt Kirchenhis­toriker Hubert Wolf, mit dem Vortrag „Kollege Papst, Frau Kardinal?“am Donnerstag, 22. November, um 19.30 Uhr im Gemeindeze­ntrum St. Martin in Biberach fort.

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FOTO: FRIEDEL Benediktin­erpater Martin Werlen eröffnete die Veranstalt­ungsreihe „Zukunft der Kirche“.

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