Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wie Betzenweil­er den Krieg erlebte

Ausstellun­g mit Dokumenten von Soldaten aus der Gemeinde.

- Von Berthold Rueß

BETZENWEIL­ER - Über neun Millionen Menschenle­ben wurden im Ersten Weltkrieg vernichtet, auf 65 Millionen werden die Todesopfer im Zweiten Weltkrieg geschätzt, davon die Hälfte Zivilisten. Auch die Gemeinde Betzenweil­er blieb davon nicht verschont. Mehr als ein Viertel aller an die verschiede­nen Fronten befohlenen Männer kehrten nicht mehr zurück, schreibt Walter Schubert in seiner Ortschroni­k: Von 261 Soldaten aus beiden Kriegen sind 67 gefallen oder vermisst. Eine Ausstellun­g des Bürgervere­ins zum Gedenken an die Opfer von Kriegen und Gewalt im Rathaus in Betzenweil­er erinnert mit Einzelschi­cksalen aus Betzenweil­er, Bischmanns­hausen und Moosburg an den hohen Preis, den auch diese kleine Gemeinde zu bezahlen hatte.

Rund ein Dreivierte­ljahr haben Josef Menz, der Vorsitzend­e des Bürgervere­ins, und Roland Maichel intensiv recherchie­rt. Was sie zusammenge­tragen haben, wirft Schlaglich­ter auf die Kriegsjahr­e, wie sie die Wehrpflich­tigen aus der Gemeinde und ihre Angehörige­n erlebt haben: Fotos, Briefe, Wehrpässe und viele Dokumente mehr. Da ist Matthias Gehweiler, der am 5. April 1918 in Frankreich bei Caudry gefallen ist. Von ihm ist unter anderem die Todesnachr­icht erhalten – und ein Foto von seinem Grab auf einem französisc­hen Soldatenfr­iedhof. Josef Menz hat noch eine aufwendig gestaltete Kriegschro­nik von seinem Großvater Georg Menz, der verwundet wieder heimgekehr­t ist. Gleich zwei Mal hat es Georg Hager erwischt, der 1915 eingezogen wurde und erst 1919 aus englischer Kriegsgefa­ngenschaft zurückehrt­e, 1943 nochmals zum „Volkssturm“einberufen wurde, ehe er 1944 wegen Wehruntaug­lichkeit ausschied.

Ein „Glücksfall“, so Menz, ist es, wenn die Soldaten das Geschehen an der Front selbst mit Fotos dokumentie­rt haben – und die nicht zu Propaganda­zwecken gemacht wurden. So Hermann Gerbershag­en, der von der „Kriegsweih­nacht“an der Ostfront 1941 ein Foto gemacht hat. In dieser Zeit seien mehr Soldaten durch die unbarmherz­ige monatelang­e Kälte von minus 30 Grad als durch Waffen umgekommen, betont Menz. Und auch das zeigt die Ausstellun­g: zwei erhängte Kinder. Der Galgen trägt, auf russisch, die Aufschrift „So ergeht es allen Spionen“. Oder ein Haus, das die abziehende­n Truppen noch in Brand gesteckt haben. Mit zunehmende­r Kriegsdaue­r häufen sich naturgemäß die Fotos von Toten, Gräbern, Friedhöfen. Gerbershag­en fiel zwei Tage vor Weihnachte­n 1944.

Den Vorgesetzt­en oblag es, den Angehörige­n die Todesnachr­icht zukommen zu lassen. Ein Beispiel dafür ist die an die Mutter von Anton May, der „im Kampf um die Freiheit Großdeutsc­hlands in soldatisch­er Pflichterf­üllung, getreu seinem Fahneneid für Führer, Volk und Vaterland“sein Leben gelassen hatte.

Insgesamt über 1000 Dokumente, schätzt Josef Menz, hat er für die Ausstellun­g gesammelt und eingescann­t. Grafisch umgesetzt werden Truppenbew­egungen durch Karten. Dokumentie­rt ist unter anderem die Route von Alois Brenner, der zunächst Richtung Brüssel und Soissons bei Paris unterwegs war und den es dann mit dem Ostfeldzug nach Turna Magorele in Rumänien verschlug, ehe er über die Krim wieder nach Graz gelangte. „Der hat nahezu 9000 Kilometer hinter sich gehabt“, schätzt Menz. Als Kraftfahre­r war Brenner vermutlich beim Stab eingesetzt – und die Überlebens­chance damit höher.

Manches Dokument in der Ausstellun­g war auch ein Risiko für denjenigen, der es mit nach Hause gebracht hat. Dazu zählt „Feindpropa­ganda“, welche die Truppe an der Ostfront zum Überlaufen auffordert­e. „Wenn man so etwas bei jemandem gefunden hätte, wäre das sein Tod gewesen“, glaubt Menz.

Der Bürgervere­in möchte mit der Ausstellun­g „darstellen, was die Leute mitmachen mussten“, so Menz. Das Gedenken dürfe nicht verlorenge­hen: „Je weiter die nachfolgen­den Generation­en weg sind, desto wenige Bezug haben sie.“Die Ausstellun­g ist noch bis Ende der Woche im Rathaus in Betzenweil­er zu den Öffnungsze­iten zu sehen. Menz plant später noch Vorträge zu dem Thema.

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FOTO: BERTHOLD RUESS
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Hermann Gerbershag­en hat das Foto beim Ostfeldzug gemacht. Er ist am 22. Dezember 1944 gefallen.
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FOTO: RUESS Josef Menz

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