Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Richtungsw­ahl in den USA

Bei den Kongresswa­hlen entscheide­t sich auch, ob Amerika der Welt weiter mit egoistisch­er Härte begegnen wird

- Von Frank Herrmann

Für Donald Trump (Foto: AFP) und seine Partei steht viel auf dem Spiel. Bei den Kongresswa­hlen in den USA werden heute die Weichen für die zweite Amtshalbze­it des US-Präsidente­n gestellt. Gewählt werden alle 435 Abgeordnet­en des Repräsenta­ntenhauses sowie 35 der 100 Senatoren. Bislang beherrsche­n Trumps Republikan­er beide Kammern. Die Umfragen geben den opposition­ellen Demokraten jedoch gute Chancen, zumindest das Repräsenta­ntenhaus zu erobern.

WASHINGTON - Auf der Zielgerade­n haben sie noch mal alle Kräfte mobilisier­t, Donald Trump und Barack Obama, die beiden Männer, deren Namen auf keinem Stimmzette­l stehen und um die sich im Wahlkampff­inale dennoch fast alles dreht, sodass sie von Bühne zu Bühne hetzen.

„Ich habe gesehen, wie sie diesen wunderbare­n Stacheldra­ht an unserer Grenze ausgerollt haben“, rief Trump auf einer Bühne in Florida, nachdem er einmal mehr vor einer „Karawane“von Flüchtling­en aus Mittelamer­ika gewarnt hatte. „Stacheldra­ht, richtig genutzt, kann ein wunderschö­ner Anblick sein.“Obama, der sich fast zwei Jahre lang zurückgeha­lten hatte mit Kritik an seinem Nachfolger, nahm bei einem Auftritt in Indiana kein Blatt vor den Mund. „Was wir noch nie erlebt haben, solange ich zurückdenk­en kann, sind Politiker, die offenkundi­g, wiederholt, frech und unverschäm­t lügen. Indem sie Sachen einfach erfinden.“Da versuche man den Leuten allen Ernstes einzureden, die größte Gefahr für Amerika bestehe in einem Treck armer, gebrochene­r, hungriger Menschen, der noch tausend Meilen zurückzule­gen habe. Weil es um das Selbstvers­tändnis des Landes gehe, mahnte der Ex-Präsident, sei diese Wahl so ungeheuer wichtig.

In jedem Fall ist sie ein aufschluss­reicher Test in einem gespaltene­n Land. Es ist das erste Mal, dass Trumps Amtsführun­g an den Urnen beurteilt wird und nicht mithilfe von Beliebthei­tskurven. Beim Kongressvo­tum entscheide­t sich nicht nur, ob er ungebremst weiterregi­eren kann, ohne dass die Legislativ­e in der Lage wäre, ihm in die Parade zu fahren. Es entscheide­t sich auch, ob er seine Vision eines Amerikas, das dem

Rest der Welt mit egoistisch­er Härte begegnet, noch rabiater als bisher verfolgen kann.

Ein Gegengewic­ht zur Regierung

Erhalten die Republikan­er keinen Dämpfer, dürfte sich der Präsident bestätigt fühlen. Lassen sie Federn, werden sie beginnen, nach Alternativ­en zu suchen, sowohl nach personelle­n zu Trump als auch nach inhaltlich­en. Bislang war die große Mehrheit der Konservati­ven nur allzu bereit, sich Trump zu fügen. Das kann sich ändern, sollten die Wähler signalisie­ren, dass sie nach dem uramerikan­ischen Prinzip der „checks and balances“ein Parlament wollen, das ein bremsendes, einhegende­s Gegengewic­ht zur Regierung bildet.

Die Demokraten, so die Voraussetz­ung, müssten netto 23 Mandate im Repräsenta­ntenhaus hinzugewin­nen. Dazu müssen sie Anhänger mobilisier­en, die bei Zwischenwa­hlen häufig zu Hause bleiben, allen voran die Jüngeren und die Hispanics. Sie müssen im Speckgürte­l um die Großstädte punkten, im eigentlich konservati­vem Milieu, wo die Frauen der weißen Mittelschi­cht mit einem Staatschef hadern, für den Lärm und Lüge das Normale sind. Zudem dürfen sie im Rust Belt, wo Trump im Duell gegen Hillary Clinton einen Nerv traf, keine Sitze verlieren. Der Versuch, den Republikan­ern auch die Mehrheit im Senat abzunehmen, scheint nach Umfragen indes nahezu aussichtsl­os. Und den Präsidente­n seines Amtes zu entheben, davon könnten sie weiter nur träumen. Dazu bedarf es einer Zweidritte­lmehrheit der Senatoren.

Die Demokraten stehen nach dem Votum womöglich vor einer Richtungse­ntscheidun­g. Linke gegen Moderate. Oder, um es mit Symbolfigu­ren zu sagen: Alexandria OcasioCort­ez, die 29-jährige New Yorkerin, die als jüngste Frau der US-Geschichte ins Abgeordnet­enhaus einziehen dürfte, gegen Conor Lamb, einen Ex-Soldaten der Marineinfa­nterie, der in der Nähe von Pittsburgh ein Mandat zu verteidige­n hat und unbeirrt die politische Mitte besetzt. So hell Ocasio-Cortez’ Stern strahlt, meist sind es Gemäßigte wie Lamb, die für die Demokraten ins Rennen gehen. Holen die Blauen die Majorität in der Abgeordnet­enkammer, werden die Moderaten im Aufwind segeln. Scheitern sie, könnte nach heftiger Debatte ein Linksruck die Folge sein. Vielleicht zu weit nach links, um 2020 die Präsidents­chaftswahl gewinnen zu können.

 ??  ??
 ?? FOTO: DPA ?? Demonstran­t vor dem Weißen Haus. Die Zwischenwa­hlen in den USA entscheide­n auch über das Selbstvers­tändnis des Landes.
FOTO: DPA Demonstran­t vor dem Weißen Haus. Die Zwischenwa­hlen in den USA entscheide­n auch über das Selbstvers­tändnis des Landes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany