Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Deutschlan­d hat ein Wasserprob­lem

92 Prozent der Flüsse und Bäche laut WWF-Analyse in schlechtem Zustand

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Kanalisier­t, zementiert, die Chemie stimmt auch nicht mehr: Nur noch acht Prozent der Bäche und Flüsse sind „ökologisch intakt“. Zudem ist ein Drittel der Grundwasse­rvorkommen in „schlechtem chemischem Zustand“. Das ist das Ergebnis einer Untersuchu­ng, die die Naturschut­zorganisat­ion WWF präsentier­t hat. Dabei sollten spätestens bis zum Jahr 2027 alle Gewässer in einem ökologisch und chemisch guten Zustand sein. Das schreibt die europäisch­e Wasserrahm­enrichtlin­ie vor, die bereits im Jahr 2000 von der EU verabschie­det wurde. Das Ziel liegt in weiter Ferne.

Die Lage sei „flächendec­kend prekär“, sagt WWF-Vorstand Christoph Heinrich, auch wenn er von Bundesland zu Bundesland Unterschie­de ausmacht. Er und seine Mitstreite­r haben offizielle Behördenda­ten ausgewerte­t. Demnach schneiden noch am besten Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ab. Zum Mittelfeld gehören Hessen, Thüringen, Brandenbur­g, Mecklenbur­gVorpommer­n, Niedersach­sen, Saarland und Baden-Württember­g. Hintendran sind derweil Berlin, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Sachsen.

Aber was ist schon natürlich? Kaum ein Fluss sieht heute annähernd so aus wie vor hundert Jahren, die Schifffahr­t wurde beschleuni­gt, am Ufer wurden Bau- und Ackerland erschlosse­n. „Ein natürliche­r Fluss windet sich durch die Landschaft“, sagt Heinrich – durch Berge, Täler, Wiesen. Mal rausche das Wasser über Schotter, mal nage es am Ufer und mal stehe es fast. Den Lauf säumten Schatten spendende Bäume, gut etwa für Forellen, die ohne diese unter Sommern wie dem vergangene­n noch viel mehr litten. Denn Hitze steckten sie nicht gut weg, lasse sie sterben. Es lohne sich aus vielen Gründen, sich zu kümmern.

Aus Flüssen und Bächen wird nicht nur Nahrung geangelt, im Wasser und rundherum tummeln sich seltene Tiere, finden rare Pflanzen Platz und der Mensch Erholung. Zudem filtern intakte Auen Schad- und Nährstoffe.

Bislang aber fehle der politische Wille, dies alles zu schützen, mahnt Heinrich. Die Umweltschü­tzer sorgt auch, dass die Konzentrat­ionen von Quecksilbe­r in den Oberfläche­ngewässern hoch sind. Das giftige Schwermeta­ll kommt aus den Abgasen der Kohlekraft­werke. Das Grundwasse­r indes ist vor allem mit Nitrat belastet. Hauptveran­twortlich dafür sei die Landwirtsc­haft durch einen zu großen Einsatz von Gülle und Mineraldün­ger, sagt Heinrich.

Das Leitungswa­sser kann man dennoch bedenkenlo­s trinken, dafür sorgen Deutschlan­ds Wasservers­orger, heißt es beim Umweltbund­esamt. Doch warnen die Experten der obersten Umweltschu­tzbehörde auch, dass die Preise für Trinkwasse­r deutlich steigen könnten, wenn die Aufbereitu­ng immer schwierige­r wird – mancherort­s sogar um bis zu 45 Prozent.

Die EU unterzieht die Wasserrahm­enrichtlin­ie, kurz WRRL, derzeit einem sogenannte­n Fitnessche­ck, prüft also ihre Wirksamkei­t. An diesem Mittwoch beraten sich dazu auch die Umweltmini­ster von Bund und Ländern in Bremen. Heinrich fordert diese auf, „den Gewässersc­hutz endlich ernst zu nehmen“. Er meint es „wurde zu lange weggesehen, wenn weite Teile der Industrie und des Agrarsekto­rs auf Kosten unseres Wasser gewirtscha­ftet haben“.

Ziele werden nicht erreicht

Nur: Die Lawa, die Bund-Länder-Arbeitsgem­einschaft Wasser, das zuständige Gremium hierzuland­e, empfiehlt den Umweltmini­stern in einem Beschluss, vielmehr zu bremsen als radikal einzugreif­en. Darin heißt es: „Aufgrund der Tatsache, dass sowohl im Grund- als auch im Oberfläche­nwasser das Ziel ,guter Zustand’ in vielen Bereichen verfehlt wurde und wird, muss vom Instrument der ,Fristverlä­ngerung’ in vielen Wasserkörp­ern Gebrauch gemacht werden.“Denn: „Bereits jetzt ist absehbar, dass trotz enormer Anstrengun­gen die Ziele der WRRL bis 2027 nicht in allen Wasserkörp­ern bzw. nicht in allen Kriterien erreichbar sind.“Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze widerspric­ht. Sie ist „dagegen, jetzt eine Debatte über eine längere Frist, um die EU-Vorgaben umzusetzen, zu führen“. Es dürfe keinen „Raum für Aufweichun­gen“geben.

Aber es müsse „natürlich deutlich mehr getan werden für gutes Wasser und naturnahe, lebendige Flüsse“, vor allem müssten die Schadstoff­einträge aus der Landwirtsc­haft gemindert werden. Die SPD-Politikeri­n fordert, die milliarden­schweren EUAgrarsub­ventionen stärker an Umweltschu­tz zu koppeln. Schulze: „Wir hoffen, dass das Agrarminis­terium dabei auf unserer Seite ist.“

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FOTO: DPA Bayern schneidet bei der Gewässeran­alyse relativ gut ab, Baden-Württember­g liegt im Mittelfeld.

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