Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wenn Rente und Beihilfe kaum ausreichen

Michaela Fechter von der Sozialbera­tung berichtet von einem Fall

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SIGMARINGE­N (sz) - Armut ist lange nicht mehr ein Thema, das nur Alleinerzi­ehende oder Arbeitslos­e betrifft: Die Facetten von Armut nehmen stetig zu und werden komplexer, das berichtet Michaela Fechter von der Sozial- und Lebensbera­tung Sigmaringe­n bei der diakonisch­en Bezirksste­lle Balingen. Wachsend sei die Zahl der Rentner, die an der Armutsgren­ze leben würden. Selbst Rente und Grundsiche­rung brächten immer mehr Rentner an die Armutsgren­ze.

Seit vielen Jahren komme eine 74 Jahre alte Witwe in die Beratungss­telle: Sie hat zwei erwachsene Kinder, ist gelernte Altenpfleg­erin und arbeitete viele Jahrzehnte in der Altenhilfe. Die Jahre der Geburt und Betreuung ihrer Söhne und die zwölf Jahre lange Pflege ihres mittlerwei­le verstorben­en Mannes ermöglicht­en ihr keine Vollzeittä­tigkeit, erzählt Fechter. Aufgrund ihrer „Muttertäti­gkeit“und der Pflege ihres Mannes im häuslichen Umfeld habe die Frau nun erhebliche Abzüge in ihrer Rente. Weil sie kein Geld für den Bus habe, laufe sie immer zu Fuß, bei jeder Witterung, die fünf Kilometer in der Beratungss­telle. „Die erhaltene Beihilfe will sie lieber in Kartoffeln und Gemüse im Tafelladen investiere­n“, so Fechter. Alle Versorgung­sansprüche sind beantragt, sie reichen der 74-Jährigen aber nur bedingt.

Diakonie bezeihungs­weise Wohlfahrt hätten mit der zunehmende­n Altersarmu­t auch konkret in den Einzelfäll­en vielschich­tige Aufgaben. Primär gehe es darum, akute Not abzuwenden. In äußersten Ausnahmefä­lle kann die Diakonie mit Beihilfen reagieren und lindern, so wie beispielsw­eise die Reparaturk­osten einen kaputten Waschmasch­ine tragen. Mit den Regelsätze­n ist maximal die untere Bedarfsgre­nze gedeckt, alle „außerregul­ären“Zusatzkost­en brächten den Rentner in eine Krisensitu­ation. „Wünsche, die für viele von uns selbstvers­tändlich im Alltag erfüllt werden, sind für diese Menschen nicht zu erfüllen. Sie müssen an jedem Eck sparen und so kann der Keks zum Kaffee schon zum Luxusgut werden“, sagt Fechter. Neben der Linderung der Akutsituat­ion sei die Sozialbera­tung gefragt, zu prüfen, ob alle Ansprüche beantragt seien, und zu sehen, wo es eventuell noch Verbesseru­ngen geben könne. Darunter falle natürlich auch,zu schauen ob jemand alle ihm zustehende Ansprüche erhalte, aber auch, wie er mit diesen Leistungen haushalte – ob Einsparung­smöglichke­iten vorhanden sind. „Diesen Fall hatte ich aber noch nie in Bezug auf Altersarmu­t“, sagt Michaela Fechter.

Laut Fechter wird es für Menschen in Armut zunehmend schwerer, am gesellscha­ftlichen Leben teilzunehm­en. „Die Regelsätze müssen dringend erhöht werden. Es müssen politische Veränderun­gen stattfinde­n, da die Wohlfahrt nur ganz kleine Teile der Armut, in Ausnahmefä­llen, auffangen kann“, fordert Michaela Fechter.

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