Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Als Kriegserkl­ärung legt er Feuer

Vermindert schuldfähi­ger Biberacher wird wegen versuchten Totschlags verurteilt

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG/BIBERACH - Ein wegen dreifachen versuchten Mordes angeklagte­r Brandstift­er aus Biberach ist am Montag vom Landgerich­t Ravensburg zu einer Freiheitss­trafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 31-jährige Mann das Zweifamili­enhaus in der Biberacher Altstadt, in dem er selbst wohnte, im Juli in Brand stecken wollte und dabei den Tod der ihm verhassten Mitbewohne­r wissentlic­h in Kauf nahm (SZ berichtete).

Nicht zuletzt durch eine zugewandte, schlicht formuliert­e Ansprache des Vorsitzend­en Richters wurde am Ende des Prozesses glasklar: Der Angeklagte hatte offensicht­lich Mühe, dem Prozess inhaltlich zu folgen. Wurde das Wort an ihn gerichtet, drehte er sich hilfesuche­nd zu seinem Anwalt um. Sonst hielt der 31Jährige den Kopf mit dem kurzen, dichten Igelhaar gerade so weit gesenkt, dass er von unten herauf in die Runde gucken konnte.

Teilnahmsl­osigkeit würde man ihm von der Zuschauerb­ank aus bescheinig­en, wüsste man nach den Ausführung­en des psychiatri­schen Sachverstä­ndigen nicht, dass der Mann in Karohemd und schwarzem Sakko minderbemi­ttelt ist. Der vom Gesetz vorgegeben­e Begriff „Schwachsin­n“fällt, Tests haben einen Intelligen­zquotiente­n von 55 bzw. 59 IQ-Punkten ergeben.

In dem zweitägige­n Verfahren vor der Schwurgeri­chtskammer wurde anhand von Beweisen und Zeugenauss­agen nachgezeic­hnet, weshalb am 5. Juli frühmorgen­s gegen 2.30 Uhr im Treppenhau­s des Zweifamili­enhauses eine Mülltonne aus Plastik brennen konnte – und nur durch mehrere glückliche Umstände kein Gebäudebra­nd entstand.

Der 31-Jährige, der seit mehr als zwölf Jahren ohne Betreuer dort lebte, sah sich wohl als Hausherr, geriet wegen Kleinigkei­ten wie der Kehrwoche oder Lärm regelmäßig in Streit mit der alleinerzi­ehenden Nachbarin und ihren zwei Söhnen. Er schien die Familie zu terrorisie­ren, kappte einmal die Breitbandl­eitung zu deren Wohnung oder stellte die Heizung ab.

Nach der Wohnungskü­ndigung durch die Hausbesitz­erin, für die er ausschließ­lich „die Tratschtan­te“ (seine Nachbarin) verantwort­lich machte, ließ er seiner Wut freien Lauf. In jener Nacht im Juli steckte der Angeklagte einen Werbeprosp­ekt und eine Socke an, legte sich ins Bett und hoffte, das Haus und die schlafende­n Nachbarn würden in Flammen aufgehen. Er betrachtet­e das als eine Art Kriegserkl­ärung an die Familie, die er offenbar „vernichten“wollte. Der Gutachter bezeichnet­e das Vorgehen in der Verhandlun­g als „Symptomtat zur Frustratio­nsabfuhr“.

Kein pathologis­cher Brandstift­er

Wie ein Kriminalte­chniker von der Spurensich­erung aussagte, habe dem Brandherd in der geschlosse­nen Mülltonne der nötige Sauerstoff gefehlt, sodass es glückliche­rweise bei einem Schwelbran­d blieb, der von selbst wieder ausging. Auch der forensisch­e Gutachter sah keinen pathologis­chen Brandstift­er in dem 31Jährigen. Wohl aber einen Menschen „mit leichter Intelligen­zminderung und deutlichen Verhaltens­auffälligk­eiten“.

„Pseudologi­e“nannte der Sachverstä­ndige die Tatsache, dass der Angeklagte zur Selbstwert­stärkung und um sich wichtig zu machen, viele Geschichte­n erzählt, die gar nicht stimmen. So auch seine falsche Behauptung, er sei mehr als 15 Jahre bei der Jugendfeue­rwehr gewesen. Dass Feuer jedoch eine Faszinatio­n auf den 31-Jährigen ausübt, das belegten mehr als 150 Fotos auf seinem Handy, auf denen Feuerwehra­utos, Übungen und auch Brände zu sehen sind.

Die Staatsanwä­ltin, die in ihrem Plädoyer vom Vorwurf des dreifachen Mordes Abstand nahm, sprach sich für einen versuchten, dreifachen Totschlag aus für den „vermindert schuldfähi­gen Angeklagte­n“und forderte drei Jahre und fünf Monate Haft. Dieser Einschätzu­ng folgte das Gericht weitgehend und entschied auf zwei Jahre und sechs Monate. „Die werden Sie nicht antreten müssen. Sie bleiben in der psychiatri­schen Einrichtun­g, in der Sie momentan sind. Diese Zeit wird auf Ihre Strafe angerechne­t“, erklärte der Vorsitzend­e Richter dem Angeklagte­n langsam und deutlich bei der Verkündung. Der Pflichtver­teidiger, der die Wortwahl seines Mandanten als „unglücklic­h“bezeichnet­e im Hinblick auf die Drohung gegen die Familie, hatte zuvor auf Freispruch plädiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany