Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Als Kriegserklärung legt er Feuer
Vermindert schuldfähiger Biberacher wird wegen versuchten Totschlags verurteilt
RAVENSBURG/BIBERACH - Ein wegen dreifachen versuchten Mordes angeklagter Brandstifter aus Biberach ist am Montag vom Landgericht Ravensburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 31-jährige Mann das Zweifamilienhaus in der Biberacher Altstadt, in dem er selbst wohnte, im Juli in Brand stecken wollte und dabei den Tod der ihm verhassten Mitbewohner wissentlich in Kauf nahm (SZ berichtete).
Nicht zuletzt durch eine zugewandte, schlicht formulierte Ansprache des Vorsitzenden Richters wurde am Ende des Prozesses glasklar: Der Angeklagte hatte offensichtlich Mühe, dem Prozess inhaltlich zu folgen. Wurde das Wort an ihn gerichtet, drehte er sich hilfesuchend zu seinem Anwalt um. Sonst hielt der 31Jährige den Kopf mit dem kurzen, dichten Igelhaar gerade so weit gesenkt, dass er von unten herauf in die Runde gucken konnte.
Teilnahmslosigkeit würde man ihm von der Zuschauerbank aus bescheinigen, wüsste man nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen nicht, dass der Mann in Karohemd und schwarzem Sakko minderbemittelt ist. Der vom Gesetz vorgegebene Begriff „Schwachsinn“fällt, Tests haben einen Intelligenzquotienten von 55 bzw. 59 IQ-Punkten ergeben.
In dem zweitägigen Verfahren vor der Schwurgerichtskammer wurde anhand von Beweisen und Zeugenaussagen nachgezeichnet, weshalb am 5. Juli frühmorgens gegen 2.30 Uhr im Treppenhaus des Zweifamilienhauses eine Mülltonne aus Plastik brennen konnte – und nur durch mehrere glückliche Umstände kein Gebäudebrand entstand.
Der 31-Jährige, der seit mehr als zwölf Jahren ohne Betreuer dort lebte, sah sich wohl als Hausherr, geriet wegen Kleinigkeiten wie der Kehrwoche oder Lärm regelmäßig in Streit mit der alleinerziehenden Nachbarin und ihren zwei Söhnen. Er schien die Familie zu terrorisieren, kappte einmal die Breitbandleitung zu deren Wohnung oder stellte die Heizung ab.
Nach der Wohnungskündigung durch die Hausbesitzerin, für die er ausschließlich „die Tratschtante“ (seine Nachbarin) verantwortlich machte, ließ er seiner Wut freien Lauf. In jener Nacht im Juli steckte der Angeklagte einen Werbeprospekt und eine Socke an, legte sich ins Bett und hoffte, das Haus und die schlafenden Nachbarn würden in Flammen aufgehen. Er betrachtete das als eine Art Kriegserklärung an die Familie, die er offenbar „vernichten“wollte. Der Gutachter bezeichnete das Vorgehen in der Verhandlung als „Symptomtat zur Frustrationsabfuhr“.
Kein pathologischer Brandstifter
Wie ein Kriminaltechniker von der Spurensicherung aussagte, habe dem Brandherd in der geschlossenen Mülltonne der nötige Sauerstoff gefehlt, sodass es glücklicherweise bei einem Schwelbrand blieb, der von selbst wieder ausging. Auch der forensische Gutachter sah keinen pathologischen Brandstifter in dem 31Jährigen. Wohl aber einen Menschen „mit leichter Intelligenzminderung und deutlichen Verhaltensauffälligkeiten“.
„Pseudologie“nannte der Sachverständige die Tatsache, dass der Angeklagte zur Selbstwertstärkung und um sich wichtig zu machen, viele Geschichten erzählt, die gar nicht stimmen. So auch seine falsche Behauptung, er sei mehr als 15 Jahre bei der Jugendfeuerwehr gewesen. Dass Feuer jedoch eine Faszination auf den 31-Jährigen ausübt, das belegten mehr als 150 Fotos auf seinem Handy, auf denen Feuerwehrautos, Übungen und auch Brände zu sehen sind.
Die Staatsanwältin, die in ihrem Plädoyer vom Vorwurf des dreifachen Mordes Abstand nahm, sprach sich für einen versuchten, dreifachen Totschlag aus für den „vermindert schuldfähigen Angeklagten“und forderte drei Jahre und fünf Monate Haft. Dieser Einschätzung folgte das Gericht weitgehend und entschied auf zwei Jahre und sechs Monate. „Die werden Sie nicht antreten müssen. Sie bleiben in der psychiatrischen Einrichtung, in der Sie momentan sind. Diese Zeit wird auf Ihre Strafe angerechnet“, erklärte der Vorsitzende Richter dem Angeklagten langsam und deutlich bei der Verkündung. Der Pflichtverteidiger, der die Wortwahl seines Mandanten als „unglücklich“bezeichnete im Hinblick auf die Drohung gegen die Familie, hatte zuvor auf Freispruch plädiert.