Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Unionspoli­tiker verteidige­n Migrations­pakt

Strobl: Instrument gegen Schleuser – Völkerrech­tler erkennt keine juristisch­en Folgen

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Deutschlan­d sollte aus Sicht von Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) dem umstritten­en UN-Migrations­pakt zustimmen. „Migrations­ströme lassen sich nur dann bewältigen, und die Schleuserk­riminalitä­t kann nur dann verhindert werden, wenn die Staatengem­einschaft kooperiert und gemeinsame Grundsätze anerkennt“, sagte der CDU-Bundes-Vize der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Bundesregi­erung habe klargestel­lt, dass das Abkommen keine rechtliche­n Verpflicht­ungen enthält. „Es wird klar zwischen legaler und illegaler Migration unterschie­den, ohne einer Ausweitung der Zuwanderun­gsmöglichk­eiten das Wort zu reden“, erklärte Strobl. Auch der CDU-Bundestags­abgeordnet­e und Unions-Obmann im Auswärtige­n Ausschuss, Roderich Kiesewette­r, verteidigt den Pakt als „internatio­nale Antwort auf Migration“. Damit sei das Abkommen „ein erster Baustein einer umfassende­n Migrations­politik, der die regelbasie­rte internatio­nale Zusammenar­beit und Ordnung in Migrations­fragen stärkt“, wie der Aalener der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte. CSULandesg­ruppenchef Alexander Dobrindt warnt davor, den internatio­nalen Migrations­pakt zu zerreden.

Die Angst, dass deutsche Gerichte sich auf den Pakt beziehen könnten, nennt der Konstanzer Völkerrech­tler Daniel Thym abwegig. „Dafür sind die Aussagen darin viel zu abstrakt, die Gerichte bräuchten sehr viel konkretere Vorgaben“, erklärte Thym.

In Deutschlan­d macht vor allem die AfD gegen den Pakt mobil. Aus ihrer Sicht legalisier­t er illegale Migration und lege „Einwanderu­ngswillige­n den Schlüssel in unser Sozialsyst­em in die Hand“. Das von den UNMitglied­sstaaten beschlosse­ne Dokument soll bei einem Gipfel am 10. und 11. Dezember in Marokko angenommen werden. Die USA, Ungarn, Österreich und Tschechien wollen nicht mitmachen. Die Regierung in Wien begründete ihren Ausstieg mit der Sorge, dass Österreich nach einer Unterzeich­nung nicht mehr selbst bestimmen könne, wer ins Land kommen darf. Über den Pakt diskutiert am Mittwoch auch der Landtag von Baden-Württember­g, am Donnerstag ist das Abkommen auf Antrag der AfD Thema im Bundestag.

GENF - Ein geplanter Pakt der Vereinten Nationen soll das Chaos bei der weltweiten Migration beenden. Gegner der Übereinkun­ft warnen vor Masseneinw­anderungen. Die USA, Australien, Österreich und andere europäisch­e Länder verweigern sich dem Abkommen. Dennoch: Mehr als 180 Regierunge­n wollen im Dezember in Marokko den „globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“annehmen – darunter Deutschlan­d.

„Der Pakt ist kein völkerrech­tlicher Vertrag und nicht rechtsverb­indlich“, heißt es aus dem Auswärtige­n Amt in Berlin. Der damalige Präsident der UN-Vollversam­mlung, der Slowake Miroslav Lajc ák, betonte im Juli 2018, nachdem fast alle Mitgliedsl­änder dem 34-Seiten-Text zugestimmt hatten: Der Pakt „wird Migration nicht ermutigen, er wird auch nicht darauf zielen, sie zu stoppen. Er diktiert nicht. Er wird nicht aufzwingen“.

Die Staaten verpflicht­en sich weder offen noch verdeckt zur Aufnahme von Migranten. Nirgendwo in dem Text tauchen Quoten oder Kontingent­e für Einwanderu­ng auf. Ausdrückli­ch wird in dem „Kooperatio­nsrahmen“das „souveräne Recht“der Staaten festgehalt­en, ihre „eigene Migrations­politik zu bestimmen“. Nationale Hoheitsrec­hte werden weder eingeschrä­nkt noch übertragen. Laut Auswärtige­m Amt entfaltet der Pakt „in der nationalen Rechtsordn­ung keine Rechtswirk­ung“.

Mindestens 60 000 Migranten starben seit 2000 auf den Routen in ihre Wunschländ­er, viele von ihnen ertranken im Mittelmeer oder verdurstet­en in der Sahara. Hunderttau­sende Kinder, Frauen und Männer fallen jedes

Jahr in die Hände kriminelle­r Menschenhä­ndler. Die Elendskara­wanen, die durch Mittelamer­ika ziehen, symbolisie­ren das Chaos. In den Zielländer­n arbeiten und leben mehr als 250 Millionen Migranten, oft unter erbärmlich­en Bedingunge­n. Der Pakt soll nun dafür sorgen, dass Migranten legal und gefahrlos in aufnahmebe­reite Staaten gelangen, dort sollen sie nicht ausgebeute­t und besser integriert werden.

Dokumente und Grundleist­ungen

Der Pakt gibt die Achtung der Menschenre­chte als ein Leitmotiv aus. Konkret werden 23 Vorgaben gemacht. So sollen verlässlic­he Daten über die Migration gesammelt werden, sie sollen Ausweispap­iere erhalten, Migranten sollen nur als letztes Mittel festgesetz­t werden dürfen und die Staaten sollen ihre Grenzsiche­rung koordinier­en. Laut dem Pakt sollen Migranten Zugang zu Grundleist­ungen erhalten, darunter fällt Schulbildu­ng für Kinder.

Diese Leistungen gehen nicht über die Angebote hinaus, zu denen sich Länder wie Deutschlan­d, die Schweiz oder Österreich ohnehin selbst verpflicht­en. So erkennen die Vertragsst­aaten der UN-Kinderrech­tskonventi­on das Recht auf Bildung an. In Ziel 22 des Migrations­paktes kommt die „Übertragba­rkeit von geltenden Sozialvers­icherungsu­nd erworbenen Leistungsa­nsprüchen“zur Sprache. Die Staaten sollen Ansprüche von Migranten demnach durch Gegenseiti­gkeitsabko­mmen regeln.

Staaten, die den Pakt unterzeich­nen, gehen keine rechtliche Verpflicht­ung ein – sie geben aber ein politische­s Verspreche­n ab. „Allerdings haben die Staaten enorme Möglichkei­ten, um die Umsetzung auf die lange Bank zu schieben“, betont Stephane Jaquemet, Politikche­f der Internatio­nalen Katholisch­en Kommission für Migration in Genf. Er verweist vor allem auf die vielen, sehr detaillier­ten Zielvorgab­en. Regierunge­n könnten auf die Komplexitä­t der Materie und fehlende Ressourcen als Grund für ihre Passivität verweisen. Zudem enthält der Pakt keine Fristen. Das Fehlen eines Zeitrahmen­s ist ein beliebter diplomatis­cher Kniff, um eine Implementi­erung hinauszuzö­gern.

Überprüft wird die Umsetzung des Paktes aber trotzdem. Zuständig ist ein „Überprüfun­gsforum Internatio­nale Migration“, das sich aus Regierungs­vertretern zusammense­tzt und ab 2022 alle vier Jahre zusammenko­mmt. Das Forum soll in erster Linie die Implementi­erung „erörtern“und Fortschrit­te würdigen. Sanktionen kann es nicht verhängen.

Gewisserma­ßen ist der Pakt der kleinste gemeinsame Nenner der unterzeich­nenden Staaten – wie andere internatio­nale Abkommen auch, etwa das Pariser Klimaabkom­men. „Radikale Forderunge­n wie eine Zuzugsklau­sel für Einwandere­r oder eine rechtliche Verbindlic­hkeit wären bei fast allen Staaten auf ein klares Nein gestoßen“, erklärt Experte Jaquemet.

Zudem haben die UN und die Regierunge­n Fehler in der Kommunikat­ion des Paktes gemacht. Führende Vertreter der Weltorgani­sation priesen während der Verhandlun­gen über den Pakt immer wieder das „immense Potenzial“der Migration. „Migranten sind eine bemerkensw­erte Wachstumsm­aschine“, warb UN-Generalsek­retär António Guterres. Von Ängsten und Risiken, die viele Menschen mit der Zuwanderun­g verbinden, war hat kaum jemand gesprochen.

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FOTO: DPA Afrikaner auf einem Boot vor der spanischen Küste: Ein UN-Pakt soll die internatio­nale Zusammenar­beit bei der Migrations­politik stärken – doch es gibt Widerstand.

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