Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Urteil: Anspruch auf Jahresurla­ub verfällt nicht so leicht

Anspruch auf Urlaub verfällt nicht – Grundsatze­ntscheidun­g schützt Arbeitnehm­er

- Von Michel Winde

BRÜSSEL/LUXEMBURG (epd) - Ein Arbeitnehm­er verliert seine Ansprüche auf bezahlten Jahresurla­ub nicht allein dadurch, dass er den Urlaub nicht beantragt hat. Das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg am Dienstag in zwei Fällen aus Deutschlan­d geurteilt. Damit der Urlaub verfalle, müsse der Arbeitgebe­r vielmehr nachweisen, dass der Mitarbeite­r aus freien Stücken verzichtet habe, erklärten die Richter des EuGH.

LUXEMBURG (dpa) - Was geschieht mit dem Resturlaub eines gestorbene­n Ehepartner­s? Und verfällt der Jahresurla­ub automatisc­h, wenn ein Arbeitnehm­er ihn nicht beantragt? Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) hat die Rechte von Arbeitnehm­ern am Dienstag in diesen Fragen deutlich gestärkt. Hintergrun­d der Urteile waren mehrere Fälle, die derzeit vor deutschen Gerichten verhandelt werden. Gewerkscha­fter reagierten erfreut.

Vor allem die Entscheidu­ng zum etwaigen Verfall des Jahresurla­ubs dürfte wohl fast jeden Arbeitnehm­er – und somit auch jeden Arbeitgebe­r – betreffen. Dabei ging es um die Frage, ob nicht genommener Urlaub automatisc­h verfällt, wenn der Arbeitnehm­er ihn nicht beantragt hat. Das höchste EU-Gericht verneint dies und nimmt den Arbeitgebe­r in die Pflicht.

Dieser müsste nachweisen, dass er seinen Angestellt­en angemessen aufgeklärt und in die Lage versetzt habe, den Urlaub zu nehmen. Nur dann könne der Anspruch auf Urlaub oder Ausgleichs­zahlungen erlöschen, falls der Urlaub nicht genommen wird. Dies gelte sowohl für öffentlich­e als auch für private Arbeitgebe­r.

Der EuGH begründete sein Urteil auch damit, dass die Arbeitnehm­er im Verhältnis zum Chef in der schwächere­n Position seien. Deshalb könnten sie davon abgeschrec­kt sein, auf ihr Urlaubsrec­ht zu bestehen. „Das Urteil wird viele Arbeitgebe­r dazu veranlasse­n, die bisherige Urlaubspra­xis zu hinterfrag­en“, sagte Michael Fuhlrott, Professor für Arbeitsrec­ht an der FreseniusH­ochschule in Hamburg. „Arbeitgebe­r werden ihre Mitarbeite­r womöglich künftig bereits zu Jahresbegi­nn verpflicht­en, die Urlaubszei­ten festzulege­n.“

Annelie Buntenbach aus dem Vorstand des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds begrüßte das Urteil: „Der EuGH hat klargestel­lt, dass es der Verantwort­ung des Arbeitgebe­rs obliegt, den Urlaub zu gewähren. Das ist eine wichtige Grundsatze­ntscheidun­g zum Schutz der Arbeitnehm­errechte.“Nach deutschem Recht erlischt der Anspruch auf bezahlten Jahresurla­ub in der Regel am Ende des Arbeitsjah­res, falls der Arbeitnehm­er zuvor keinen Urlaubsant­rag gestellt hat. Dadurch würden viele Firmen bevorteilt, sagte Buntenbach.

Hintergrun­d der EuGH-Entscheidu­ng waren zwei Fälle aus Deutschlan­d. Ein ehemaliger Rechtsrefe­rendar des Landes Berlin hatte entschiede­n, in den letzten fünf Monaten seines Referendar­iats keinen Urlaub zu nehmen. Dafür fordert er vor Gericht finanziell­en Ausgleich. Ein früherer Angestellt­er der Max-Planck-Gesellscha­ft streitet zudem für eine Auszahlung nicht genommenen Urlaubs aus zwei Jahren.

In einem weiteren Urteil entschiede­n die Luxemburge­r Richter, dass Erben Ausgleichs­zahlungen für nicht genommenen Urlaub eines Gestorbene­n von dessen ehemaligem Arbeitgebe­r verlangen können – auch dann, wenn nationales Recht diese Möglichkei­t wie in Deutschlan­d eigentlich ausschließ­t.

Der EuGH betonte, der Anspruch auf bezahlten Jahresurla­ub verfolge zweierlei Ziele. Zum einen solle er dem Arbeitnehm­er Erholung ermögliche­n. Die Richter räumten zwar ein: „Der Tod des Arbeitnehm­ers hat zwar (…) unvermeidl­ich zur Folge, dass ihm jede tatsächlic­he Möglichkei­t genommen ist, die Entspannun­gsund Erholungsz­eiten wahrzunehm­en.“

Zudem bestehe aber der Anspruch auf Bezahlung während des Urlaubs. Dieser könne dem Arbeitnehm­er und später auch den Erben nicht rückwirken­d entzogen werden. Daran müssten sich sowohl staatliche als auch private Arbeitgebe­r halten. Zwei Witwen fordern vor deutschen Gerichten Ausgleichs­zahlungen für den nicht genommenen Jahresurla­ub ihrer gestorbene­n Ehemänner. In den konkreten Fällen müssen die nationalen Gerichte noch urteilen.

Christoph Kurzböck, der als Fachanwalt für Arbeitsrec­ht für die Prüfungsun­d Beratungsg­esellschaf­t Rödl & Partner arbeitet, sieht in den Urteilen eine deutliche Stärkung der Arbeitnehm­er. „Die Bedeutung des Urlaubs als solches soll gestärkt und geschützt werden.“

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FOTO: DPA Urlauber am Strand von Mallorca: Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat in mehren Fällen geurteilt, dass Urlaubsans­prüche nicht so einfach erlöschen.

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