Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Maulschellen in der Brühe
Welche Gerichte der Schwabe gerne verzehrt und was hinter ihren Namen steckt
Geschmacksache – ein netter Titel für eine Serie über das Essen. Wenn es nun im Folgenden um die sprachliche Seite der Nahrungsaufnahme im Schwäbischen geht, ist allerdings eine Vorbemerkung angebracht. Schmecken bedeutet im Schwäbischen auch riechen. Ein Beispiel: Ons Schwoba schmeckt d’ Wurscht bloß, wenn se net schmeckt. Wenn se schmeckt, schmeckt se uns nemma. Wir beschränken uns hier auf die Gaumenfreuden und lassen olfaktorische Wahrnehmungen außen vor.
Und noch eine Vorbemerkung: Schwaben spricht man zwar eine gewisse Gemütlichkeit zu. Wenn es um die Schreibweise des Dialekts geht, werden manche Angehörige dieses Volksstamms jedoch höchst ungemütlich und beharren auf ihrer jeweiligen Variante – in Verkennung der Tatsache, dass man schon im nächsten Dorf wieder anders spricht und es vor allem keine verbindliche Graphie gibt. Wir zitieren hier Dialektwörter so gemäßigt wie möglich – allein schon aus Rücksicht auf reingschmeckte Leser. Proteste sind zwecklos.
In der Forschung gilt es als unbestritten, das Schwäbisch zu den besonders bilderreichen Dialekten gehört – ein Indiz für Fantasie, die man diesem als sparsam geltenden Volksstamm ansonsten gar nicht zutrauen mag. Diese Eigenschaft schlägt auch auf die Benennung von Essbarem durch. Beim Ofeschlupfer sieht man förmlich, wie der Auflauf aus alten Brötchen, Äpfeln und Rosinen im Herd verschwindet. Warum Landjäger so heißen, weiß man nicht genau. Das schwäbische Pendant Peitschestecke für die harte, luftgetrocknete Rohwurst erklärt sich dagegen von selbst. Beim Schneiderfleck – einem wahlweise mit Süßem oder Salzigem verzehrten Hefekuchen – hat die viereckige Form den Namen vorgegeben. Unter Katzegschroi versteht man ein Gericht aus in Streifen geschnittenem Suppenfleisch, das mit
Eiern überbacken wird. Warum? Dahinter könnte der Geiz des Schwaben stecken, der die Reste eines Essens vom Vortag – sehr zum Missfallen der Katzen – lieber selbst vertilgt. Und der Semsekrebsler, wie man einen räsen, eher sauren Wein nennt, lässt die mindere Qualität schon im Namen ahnen: Er ist halt irgendwie von Sims zu Sims an einer Hauswand hochgekrebselt, sprich: hochgeklettert – womöglich noch im Schatten.
Dass der Schwabe die Direktheit nicht scheut und sich dabei auch derber Ausdrücke bedient, ist bekannt. Man muss nur die Mienen von Migranten aus anderen deutschen Gauen beobachten, wenn sie zum ersten Mal mit Nonnefürzle konfrontiert werden, wie man hierzulande die luftig-duftigen Brandteigkrapfen zur Fastnachtszeit nennt. Bei Bockseggele und Bubespitzle – zwei länglich ausgewellten Nudelarten – ist die Drastik noch ausgeprägter, wobei man darunter genau das zu verstehen hat, was sich aufdrängt.
Von wegen Bubespitzle: Spitzbüble gibt es auch. Wie unschwer zu erkennen, hat der Schwabe überhaupt einen Hang zum verniedlichenden Diminutiv – von Flädle über Geggele und Ripple bis zu Weggle. Und besonders beim Weihnachtsgebäck – gemeinhin Breedle oder Gutsle genannt – ist diese Eigenart sehr
ausgeprägt. Ob Ausstecherle, Albertle, Bäretätzle, Butter-Essle, Hägemakrönle, Spitzbüble oder Springerle – ein -le hintendran muss sein.
Die Lust an der Verkleinerungsform setzt sich fort bei Wörtern wie Brockele, Bebbele und Hengele. Aber da müssen wir dann doch die Etymologie bemühen. Brockele sind Erbsen, weil man sie vom Strauch brockt, also abbricht. Bebbele heißen die kleinen Röschen am Rosenkohl – man denke an den Bobbel, wie der Schwabe zum Wollknäuel sagt. Und den Hengele sieht man die Himbeeren nicht mehr an, von denen sie abgeleitet sind. In Himbeere aber lebt althochdeutsch hinta weiter, weil sich die Hinde, also die Hirschkuh, mit ihren Kleinen gerne im Himbeergestrüpp versteckt.
Nun noch vier Schlüsselwörter, wenn es um den Schwaben und seine Kost geht. Erklärungen zur Herkunft von Breschtling –Dialekt für Erdbeere – gibt es mehrere. Hier eine recht plausible: Darin steckt wohl der Pröbstling, ein rot gewandeter Geistlicher von ansehnlicher Leibesfülle. In Grombier – Grundbirne, Erdbirne – haben wir die deutsche Schwester der französischen pomme de terre (Erdapfel). Und ausgestrahlt hat dieser schwäbische Name für die Kartoffel bis nach Kroatien, wo sie Krompir heißt. Die Maultasche verdankt ihren Namen weder dem Kloster Maulbronn noch der hässlichen Herzogin Margarete Maultasch aus dem 14. Jahrhundert mit ihrem großen Mundwerk. Und mit Tasche hat sie auch nichts zu tun. Am ehesten wird man bei Luther fündig, der einmal von Maultasche im Sinn von Maulschelle sprach. Tasche käme also von tatschen im Sinne von zuschlagen.
Spätzle und Knöpfle
Zu guter Letzt noch Spätzle. Die Theorie, das schwäbische Paradegericht könne etwas mit Spatzen zu tun haben, ist wohl falsch. Wahrscheinlich ist das Wort in Anlehnung an das italienische pasta für Teig entstanden. Damit wäre es ebenso ein Import aus dem Süden wie jener vermeintlich protoschwäbische Wein namens Trollinger, der einst als Tirolinger aus Südtirol einwanderte.
Wenn Spätzle nicht geschabt werden, sondern durch einen Hobel gedrückt, sind es Knöpfle. Und dazu gibt es eine hübsche Geschichte: Als der hochgeschätzte Pietist Johann Friedrich Flattich um das Jahr 1780 einmal am württembergischen Hof eingeladen war und als einziger mit ungepuderten Haaren an der Tafel saß, wurde er von Herzog Karl Eugen deswegen gerügt. Flattich entgegnete: „I brauch mei Mehl zu de Knöpfle“.
Reschpekt!