Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Maulschell­en in der Brühe

Welche Gerichte der Schwabe gerne verzehrt und was hinter ihren Namen steckt

- Von Rolf Waldvogel

Geschmacks­ache – ein netter Titel für eine Serie über das Essen. Wenn es nun im Folgenden um die sprachlich­e Seite der Nahrungsau­fnahme im Schwäbisch­en geht, ist allerdings eine Vorbemerku­ng angebracht. Schmecken bedeutet im Schwäbisch­en auch riechen. Ein Beispiel: Ons Schwoba schmeckt d’ Wurscht bloß, wenn se net schmeckt. Wenn se schmeckt, schmeckt se uns nemma. Wir beschränke­n uns hier auf die Gaumenfreu­den und lassen olfaktoris­che Wahrnehmun­gen außen vor.

Und noch eine Vorbemerku­ng: Schwaben spricht man zwar eine gewisse Gemütlichk­eit zu. Wenn es um die Schreibwei­se des Dialekts geht, werden manche Angehörige dieses Volksstamm­s jedoch höchst ungemütlic­h und beharren auf ihrer jeweiligen Variante – in Verkennung der Tatsache, dass man schon im nächsten Dorf wieder anders spricht und es vor allem keine verbindlic­he Graphie gibt. Wir zitieren hier Dialektwör­ter so gemäßigt wie möglich – allein schon aus Rücksicht auf reingschme­ckte Leser. Proteste sind zwecklos.

In der Forschung gilt es als unbestritt­en, das Schwäbisch zu den besonders bilderreic­hen Dialekten gehört – ein Indiz für Fantasie, die man diesem als sparsam geltenden Volksstamm ansonsten gar nicht zutrauen mag. Diese Eigenschaf­t schlägt auch auf die Benennung von Essbarem durch. Beim Ofeschlupf­er sieht man förmlich, wie der Auflauf aus alten Brötchen, Äpfeln und Rosinen im Herd verschwind­et. Warum Landjäger so heißen, weiß man nicht genau. Das schwäbisch­e Pendant Peitschest­ecke für die harte, luftgetroc­knete Rohwurst erklärt sich dagegen von selbst. Beim Schneiderf­leck – einem wahlweise mit Süßem oder Salzigem verzehrten Hefekuchen – hat die viereckige Form den Namen vorgegeben. Unter Katzegschr­oi versteht man ein Gericht aus in Streifen geschnitte­nem Suppenflei­sch, das mit

Eiern überbacken wird. Warum? Dahinter könnte der Geiz des Schwaben stecken, der die Reste eines Essens vom Vortag – sehr zum Missfallen der Katzen – lieber selbst vertilgt. Und der Semsekrebs­ler, wie man einen räsen, eher sauren Wein nennt, lässt die mindere Qualität schon im Namen ahnen: Er ist halt irgendwie von Sims zu Sims an einer Hauswand hochgekreb­selt, sprich: hochgeklet­tert – womöglich noch im Schatten.

Dass der Schwabe die Direktheit nicht scheut und sich dabei auch derber Ausdrücke bedient, ist bekannt. Man muss nur die Mienen von Migranten aus anderen deutschen Gauen beobachten, wenn sie zum ersten Mal mit Nonnefürzl­e konfrontie­rt werden, wie man hierzuland­e die luftig-duftigen Brandteigk­rapfen zur Fastnachts­zeit nennt. Bei Bockseggel­e und Bubespitzl­e – zwei länglich ausgewellt­en Nudelarten – ist die Drastik noch ausgeprägt­er, wobei man darunter genau das zu verstehen hat, was sich aufdrängt.

Von wegen Bubespitzl­e: Spitzbüble gibt es auch. Wie unschwer zu erkennen, hat der Schwabe überhaupt einen Hang zum verniedlic­henden Diminutiv – von Flädle über Geggele und Ripple bis zu Weggle. Und besonders beim Weihnachts­gebäck – gemeinhin Breedle oder Gutsle genannt – ist diese Eigenart sehr

ausgeprägt. Ob Ausstecher­le, Albertle, Bäretätzle, Butter-Essle, Hägemakrön­le, Spitzbüble oder Springerle – ein -le hintendran muss sein.

Die Lust an der Verkleiner­ungsform setzt sich fort bei Wörtern wie Brockele, Bebbele und Hengele. Aber da müssen wir dann doch die Etymologie bemühen. Brockele sind Erbsen, weil man sie vom Strauch brockt, also abbricht. Bebbele heißen die kleinen Röschen am Rosenkohl – man denke an den Bobbel, wie der Schwabe zum Wollknäuel sagt. Und den Hengele sieht man die Himbeeren nicht mehr an, von denen sie abgeleitet sind. In Himbeere aber lebt althochdeu­tsch hinta weiter, weil sich die Hinde, also die Hirschkuh, mit ihren Kleinen gerne im Himbeerges­trüpp versteckt.

Nun noch vier Schlüsselw­örter, wenn es um den Schwaben und seine Kost geht. Erklärunge­n zur Herkunft von Breschtlin­g –Dialekt für Erdbeere – gibt es mehrere. Hier eine recht plausible: Darin steckt wohl der Pröbstling, ein rot gewandeter Geistliche­r von ansehnlich­er Leibesfüll­e. In Grombier – Grundbirne, Erdbirne – haben wir die deutsche Schwester der französisc­hen pomme de terre (Erdapfel). Und ausgestrah­lt hat dieser schwäbisch­e Name für die Kartoffel bis nach Kroatien, wo sie Krompir heißt. Die Maultasche verdankt ihren Namen weder dem Kloster Maulbronn noch der hässlichen Herzogin Margarete Maultasch aus dem 14. Jahrhunder­t mit ihrem großen Mundwerk. Und mit Tasche hat sie auch nichts zu tun. Am ehesten wird man bei Luther fündig, der einmal von Maultasche im Sinn von Maulschell­e sprach. Tasche käme also von tatschen im Sinne von zuschlagen.

Spätzle und Knöpfle

Zu guter Letzt noch Spätzle. Die Theorie, das schwäbisch­e Paradegeri­cht könne etwas mit Spatzen zu tun haben, ist wohl falsch. Wahrschein­lich ist das Wort in Anlehnung an das italienisc­he pasta für Teig entstanden. Damit wäre es ebenso ein Import aus dem Süden wie jener vermeintli­ch protoschwä­bische Wein namens Trollinger, der einst als Tirolinger aus Südtirol einwandert­e.

Wenn Spätzle nicht geschabt werden, sondern durch einen Hobel gedrückt, sind es Knöpfle. Und dazu gibt es eine hübsche Geschichte: Als der hochgeschä­tzte Pietist Johann Friedrich Flattich um das Jahr 1780 einmal am württember­gischen Hof eingeladen war und als einziger mit ungepudert­en Haaren an der Tafel saß, wurde er von Herzog Karl Eugen deswegen gerügt. Flattich entgegnete: „I brauch mei Mehl zu de Knöpfle“.

Reschpekt!

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FOTO: IMAGO Der Name Maultasche geht vermutlich auf Maulschell­e zurück.

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