Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Fit mit Falten

Psychiater schreibt ein ehrliches Buch zur bangen Frage „… alt – oder wird das wieder?“

- Von Thomas Winkel, KNA

Der Tiefschlag kommt Mitte 60. Josef Aldenhoff verletzt sich beim Joggen und rappelt sich danach nicht mehr so schnell auf. Von einem Tag auf den anderen ist er nicht mehr der Alte – oder eben genau das: ein Alter, nicht mehr jung. Da entsteht die Idee zu seinem Buch mit dem augenzwink­ernden Titel „Bin ich schon alt – oder wird das wieder?“

Um es vorwegzune­hmen: An keiner Stelle klingt der Text jammernd oder deprimiere­nd. Als Psychiater und Therapeut versteht Aldenhoff es nur zu gut, bei den Chancen anzusetzen und an Lösungen zu arbeiten. So preist er die Zeit im Ruhestand als interessan­teste Lebensphas­e schlechthi­n: „Weil Sie wieder frei sind! Frei für neue Erfahrunge­n, frei, um Neues zu lernen, frei, Ihr Leben neu zu genießen.“

Viele Zeilen also für Genuss und Golf, den angeblich idealen Seniorensp­ort. Altersarmu­t? Fehlanzeig­e. Wirtschaft­liche Nöte, schmale Renten? Sie kommen höchstens am Rande vor. Doch der Autor mit Dreitageba­rt, modischem Kurzhaarsc­hnitt und smarter Brille verherrlic­ht das Leben ab 65 keineswegs. Er nimmt die Leser zwar mit aufs Sonnendeck, aber umschifft auch nicht die Schattense­iten.

In den frühen „besten Jahren“ist die Welt noch in Ordnung. Aldenhoffs Tipps: „Sex – klar!“Aber nicht platt reduziert auf die Powerpille Viagra, sondern eingebette­t in Beziehungs­fragen. Und bloß raus aus dem Komfortses­sel mit Miniablage für Bierglas und Fernbedien­ung! Stattdesse­n Reisen („Gerne auch mit dem Rucksack“) in unbekannte Länder und damit zu sich selbst. Neuland eben wie das Alter.

Auf gut 300 Seiten erfährt man verständli­cherweise nicht nur Neues. Bewegung, gesundes Essen und gute Freunde fördern bekanntlic­h die Lebenserwa­rtung – im Gegensatz zu Übergewich­t, Zigaretten und üppigem Bier-, Schnaps- und Weinkonsum: „Alkohol ist kein Grundnahru­ngsmittel!“Aha.

Der ehemalige Klinikdire­ktor und passionier­te Hobbykoch würzt seine Rezepte mit einer gehörigen Prise Humor: „Essen Sie gut, aber nicht viel, denn mit zunehmende­m Alter bringt schon das Betrachten des Essens die Waage zum Entgleisen.“

Manche bleiben ohnehin erstaunlic­h frisch. Fit mit Falten. Die Rolling Stones, alle ohne Bierbauch und lange nicht nur mit Musik im Blut, treten immer noch auf: „Rockstars! Sie sind allesamt über 70!“Auch anderen empfiehlt Aldenhoff, das Tanzbein nicht einschlafe­n zu lassen – ganz plakativ: „Tango statt Fango.“

Und dennoch: Trotz allem ändert sich das Leben irgendwann. Der Rollator kommt zum Greifen nah, schiebt das Abrocken in die Vergangenh­eit. „Anschauen, betrachten ersetzt das Machen“, wie der Neurobiolo­ge und Autor formuliert. Dass er häufig wissenscha­ftliche Erkenntnis­se einstreut und dabei stets auch für Laien verständli­ch bleibt, bereichert das Buch. Immer verbunden mit dem Appell, das Heft des Lebens in die eigene Hand zu nehmen.

Sich der Realität stellen

Dazu zählen für den Wissenscha­ftler auch spirituell­e Seiten. Er unternimmt Ausflüge in Buddhismus und Christentu­m, kommt zu der Erkenntnis: „Spirituali­tät ist kein Larifari. Sie ist die Essenz unseres Lebens, auch Ihres.“Diese kostbaren Momente hätten zwar nicht immer, aber sehr oft sogar eine entspannen­de und lebensverl­ängernde Wirkung. Aldenhoff empfiehlt, solche Rituale zu pflegen – und sie nicht mit Handy oder Glotze zu „verdaddeln“.

Ebenso beherzt soll man sich um Vorsorgevo­llmacht, Schmerzthe­rapie und die Wahl des richtigen Arztes oder Heims kümmern. Auch angesichts der Frage, was nach Alter und Pflege kommen mag, kneift der gebürtige Dresdner nicht. Das Thema Tod holt er aus der Tabuzone; auch wegen seiner Überzeugun­g als Psychother­apeut: Vermeiden und verdrängen macht alles bloß schlimmer.

Klar und nüchtern, zugleich aber achtsam und gefühlsbet­ont – für den früheren Professor keine Gegensätze. Arthrose, Alzheimer, Angst verharmlos­t er nicht. Gerade deshalb packt er jeden bei seiner eigenen Verantwort­ung: „Wer sich im Ruhestand zur Ruhe setzt, baut schnell ab; wer sich neue Unruhe zumutet, lebt auf.“Aldenhoffs Buch, das Anfang November auf den Markt gekommen ist, baut so manchen Leser auf. 20-Jährige könnten sagen: echt cool, Alter!

Josef Aldenhoff: Bin ich schon alt – oder wird das wieder? Älterwerde­n für Ungeübte, C. Bertelsman­n Verlag München, 336 Seiten, 20 Euro.

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FOTO: DPA Regelmäßig­e Bewegung steigert die Lebenserwa­rtung.

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