Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Plädoyer für Muße und Gelassenheit
Abt Notker Wolf spricht in Langenenslingen über den Umgang mit der Zeit.
LANGENENSLINGEN - Volles Haus beim Mitgliederforum der Volks- und Raifeisenbank Riedlingen in der Festhalle Langenenslingen. Mit dem ehemaligen Abtprimas der Benediktiner, Notker Wolf, sprach einer der profiliertesten und bekanntesten Geistlichen der Republik. Sein Vortrag war ein Plädoyer für mehr Gelassenheit, mehr Muße und dafür, sich mehr Zeit zum Nachdenken zu nehmen – auch über die eigenen Ziele im Leben. „Wir sollten uns nicht in den Stress treiben lassen“, so der ehemalige Abtprimas.
Als „unkonventionellen Geistlichen“stellt der Vorstandssprecher der Volks- und Raiffeienbank, Albert Schwarz, in seiner Begrüßung den Redner vor. Das bewies Notker Wolf auch zum Schluss des offiziellen Teils, als er zur E-Gitarre griff und mit Friedemann Benner, Frank Barth und Roman Gulde „Smoke on the water“rockte. Rockmusik und Gottesmann müssen eben kein Widerspruch sein.
Unabhängigkeit im Denken und Handeln – dieser Ruf eilt Notker Wolf voraus. Dementsprechend hohe Erwartungen begleiteten den Vortrag des 78-Jährigen in Langenenslingen. Doch diesen konnte er nur zum Teil gerecht werden. Sein Vortrag konzentrierte sich auf das Thema des Umgangs mit der Zeit, während er den Aspekt des „Wertewandels in einer globalisierten Welt“nur streifte. Notker Wolf präsentierte keine tiefgreifenden Analyse, statt dessen gab es in seinem gut einstündigen Vortrag viele Impulse, die jeder Besucher mitnehmen und für seine Situation durchdenken kann.
Es war ein Appell, ganz im Sinne des heiligen Benedikts, das richtige Maß zu halten; ein Appell, mit der eigenen Zeit achtsam umzugehen. Viele Menschen fühlen sich gestresst. Doch, so Wolf: „Was treibt uns eigentlich?“, fragte er. Er empfahl, sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen: „Wie lebe ich mein Leben? Was kann ich erreichen und was will ich erreichen?“, formuliert er die möglichen Fragen. Denn Zeit sei der Gestaltungsraum unseres Lebens, so der Erzabt von St. Ottilien. „Das schönste Alter ist das, das man gerade hat“, betonte er, und plädierte für ein Leben im Hier und Jetzt, denn: „Die Vergangenheit ist nicht nachholbar“.
Aber Notker Wolf ist keiner der dem Müßiggang das Wort redet, dem in den Tag hineinleben ohne Sinn und Ziel. Im Gegenteil. „Müßiggang ist der Feind der Seele“, zitierte er. Es führe zu Überdruss. Statt dessen sprach er sich für eine Strukturierung des Alltags aus, für Wiederholungen („Wiederholung ist wie eine Spirale – sie geht immer tiefer“). Und er stellte dem Müßiggang den Begriff der Muße gegenüber – des zweckfreien Innehaltens: Sich der Phantasie hingeben und mit anderen in der Gemeinschaft einen Gedanken oder ein Projekt weiter zu entwickeln.
Dementsprechend spricht sich Notker Wolf auch gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, wie er auch in Langenenslingen nochmals betonte. Denn Arbeit ist für ihn mehr als nur Gelderwerb – es bringe soziale Kontakte, es bringe Selbstwertgefühl, sei sinnstiftend. „Es ist nicht gut Geld zu erhalten, ohne gearbeitet zu haben“, ist er überzeugt. Dementsprechend kritisierte er auch, dass Flüchtlinge in Deutschland nicht arbeiten dürfen.
Innehalten, Stille aushalten, warten können, Geduld haben: Auch dies waren Stichworte im Vortrag von Abt Notker, den er immer wieder mit Anekdoten aus seinem Leben als Abtprimas würzte. „Wir brauchen das Innehalten“, ist der Geistliche überzeugt. Es brauche auch die Stille, damit etwas wachsen könne. Doch Stille auszuhalten falle vielen schwer.
Auch „das Warten können“falle schwer. „Wir wollen alles immer noch schneller haben“, analysierte der Geistliche – und machte dies etwa am Beispiel der Medien fest: „Wir wollen alle Nachrichten möglichst rasch haben.“Man wolle lauter Sensationen, aber dabei gewöhne man sich auch an die Unglücke, an die schlechten Nachrichten. „Auch das müssen wir aushalten.“Er selbst höre lieber Nachrichten, als dass er sie im Fernsehen anschaue.
Auch die Technik hilft den Menschen nicht weiter, um ihre gegebene Zeit besser zu nutzen. Im Gegenteil: Alles wird immer noch schneller, die Reaktionszeit noch kürzer, „wir können nicht mehr in Ruhe abwägen“. Technik verschaffe uns nicht mehr Zeit, sondern „wir müssen mehr schaffen“.
„Wir sind zur Lebensfreude geboren“, resümierte der 78-Jährige und zitierte dabei auch die Bibel, wo Jesus sagt: „Sie sollen das Leben in Fülle haben.“Damit dies gelingt, empfahl er, sich die Neugierde eines Vierjährigen zu bewahren und die Spitzbübigkeit eines Zwölfjährigen. Und dazu sei auch Gelassenheit und weniger Angst nötig, trotz der vielen Umbrüche in unserer Zeit. Aber gerade als Christ sollte es einfacher fallen gelassen zu bleiben, so Notker Wolf: „Unsere Zeit ist geborgen in Gott, unser Leben ist geborgen in Gott.“Und wer im Glauben verankert sei, der könne die Angst vertreiben, so der Abtprimas.