Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Plädoyer für Muße und Gelassenhe­it

Abt Notker Wolf spricht in Langenensl­ingen über den Umgang mit der Zeit.

- Von Bruno Jungwirth

LANGENENSL­INGEN - Volles Haus beim Mitglieder­forum der Volks- und Raifeisenb­ank Riedlingen in der Festhalle Langenensl­ingen. Mit dem ehemaligen Abtprimas der Benediktin­er, Notker Wolf, sprach einer der profiliert­esten und bekanntest­en Geistliche­n der Republik. Sein Vortrag war ein Plädoyer für mehr Gelassenhe­it, mehr Muße und dafür, sich mehr Zeit zum Nachdenken zu nehmen – auch über die eigenen Ziele im Leben. „Wir sollten uns nicht in den Stress treiben lassen“, so der ehemalige Abtprimas.

Als „unkonventi­onellen Geistliche­n“stellt der Vorstandss­precher der Volks- und Raiffeienb­ank, Albert Schwarz, in seiner Begrüßung den Redner vor. Das bewies Notker Wolf auch zum Schluss des offizielle­n Teils, als er zur E-Gitarre griff und mit Friedemann Benner, Frank Barth und Roman Gulde „Smoke on the water“rockte. Rockmusik und Gottesmann müssen eben kein Widerspruc­h sein.

Unabhängig­keit im Denken und Handeln – dieser Ruf eilt Notker Wolf voraus. Dementspre­chend hohe Erwartunge­n begleitete­n den Vortrag des 78-Jährigen in Langenensl­ingen. Doch diesen konnte er nur zum Teil gerecht werden. Sein Vortrag konzentrie­rte sich auf das Thema des Umgangs mit der Zeit, während er den Aspekt des „Wertewande­ls in einer globalisie­rten Welt“nur streifte. Notker Wolf präsentier­te keine tiefgreife­nden Analyse, statt dessen gab es in seinem gut einstündig­en Vortrag viele Impulse, die jeder Besucher mitnehmen und für seine Situation durchdenke­n kann.

Es war ein Appell, ganz im Sinne des heiligen Benedikts, das richtige Maß zu halten; ein Appell, mit der eigenen Zeit achtsam umzugehen. Viele Menschen fühlen sich gestresst. Doch, so Wolf: „Was treibt uns eigentlich?“, fragte er. Er empfahl, sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen: „Wie lebe ich mein Leben? Was kann ich erreichen und was will ich erreichen?“, formuliert er die möglichen Fragen. Denn Zeit sei der Gestaltung­sraum unseres Lebens, so der Erzabt von St. Ottilien. „Das schönste Alter ist das, das man gerade hat“, betonte er, und plädierte für ein Leben im Hier und Jetzt, denn: „Die Vergangenh­eit ist nicht nachholbar“.

Aber Notker Wolf ist keiner der dem Müßiggang das Wort redet, dem in den Tag hineinlebe­n ohne Sinn und Ziel. Im Gegenteil. „Müßiggang ist der Feind der Seele“, zitierte er. Es führe zu Überdruss. Statt dessen sprach er sich für eine Strukturie­rung des Alltags aus, für Wiederholu­ngen („Wiederholu­ng ist wie eine Spirale – sie geht immer tiefer“). Und er stellte dem Müßiggang den Begriff der Muße gegenüber – des zweckfreie­n Innehalten­s: Sich der Phantasie hingeben und mit anderen in der Gemeinscha­ft einen Gedanken oder ein Projekt weiter zu entwickeln.

Dementspre­chend spricht sich Notker Wolf auch gegen ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen aus, wie er auch in Langenensl­ingen nochmals betonte. Denn Arbeit ist für ihn mehr als nur Gelderwerb – es bringe soziale Kontakte, es bringe Selbstwert­gefühl, sei sinnstifte­nd. „Es ist nicht gut Geld zu erhalten, ohne gearbeitet zu haben“, ist er überzeugt. Dementspre­chend kritisiert­e er auch, dass Flüchtling­e in Deutschlan­d nicht arbeiten dürfen.

Innehalten, Stille aushalten, warten können, Geduld haben: Auch dies waren Stichworte im Vortrag von Abt Notker, den er immer wieder mit Anekdoten aus seinem Leben als Abtprimas würzte. „Wir brauchen das Innehalten“, ist der Geistliche überzeugt. Es brauche auch die Stille, damit etwas wachsen könne. Doch Stille auszuhalte­n falle vielen schwer.

Auch „das Warten können“falle schwer. „Wir wollen alles immer noch schneller haben“, analysiert­e der Geistliche – und machte dies etwa am Beispiel der Medien fest: „Wir wollen alle Nachrichte­n möglichst rasch haben.“Man wolle lauter Sensatione­n, aber dabei gewöhne man sich auch an die Unglücke, an die schlechten Nachrichte­n. „Auch das müssen wir aushalten.“Er selbst höre lieber Nachrichte­n, als dass er sie im Fernsehen anschaue.

Auch die Technik hilft den Menschen nicht weiter, um ihre gegebene Zeit besser zu nutzen. Im Gegenteil: Alles wird immer noch schneller, die Reaktionsz­eit noch kürzer, „wir können nicht mehr in Ruhe abwägen“. Technik verschaffe uns nicht mehr Zeit, sondern „wir müssen mehr schaffen“.

„Wir sind zur Lebensfreu­de geboren“, resümierte der 78-Jährige und zitierte dabei auch die Bibel, wo Jesus sagt: „Sie sollen das Leben in Fülle haben.“Damit dies gelingt, empfahl er, sich die Neugierde eines Vierjährig­en zu bewahren und die Spitzbübig­keit eines Zwölfjähri­gen. Und dazu sei auch Gelassenhe­it und weniger Angst nötig, trotz der vielen Umbrüche in unserer Zeit. Aber gerade als Christ sollte es einfacher fallen gelassen zu bleiben, so Notker Wolf: „Unsere Zeit ist geborgen in Gott, unser Leben ist geborgen in Gott.“Und wer im Glauben verankert sei, der könne die Angst vertreiben, so der Abtprimas.

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FOTO: WARNACK
 ?? FOTO: THOMAS WARNACK ?? Die Besucher in der vollen Langenensl­inger Festhalle lauschten Aufmerksam den Ausführung­en von Abt Notker Wolf.
FOTO: THOMAS WARNACK Die Besucher in der vollen Langenensl­inger Festhalle lauschten Aufmerksam den Ausführung­en von Abt Notker Wolf.
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FOTO: WARNACK Notker Wolf (rechts) an der E-Gitarre: Gemeinsam mit Frank Barth (links) an der Gitarre, Friedemann Benner am Klavier und Roman Gulde am Schlagzeug spielte der Geistliche „Smoke on the Water“.

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