Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Keine Familie blieb verschont“

Buchvorste­llung „Oberschwab­en im Ersten Weltkrieg“– Spurensuch­e und Datensamml­ung

- Von Eva Winkhart

RIEDLINGEN – In der Woche des Volkstraue­rtages haben sich am Donnerstag­abend zahlreiche geschichtl­ich Interessie­rte im Rathaus in Riedlingen eingefunde­n. Johannes Angele und Wolfgang Merk stellten das von ihnen jüngst herausgege­bene, fast 400 Seiten umfassende Buch vor: Oberschwab­en im Ersten Weltkrieg – Eine Spurensuch­e im Kreis Biberach.

Der historisch­e Sitzungssa­al des Rathauses und die klassische Musik – Nora Fisel aus Grüningen spielte mit der Querflöte, begleitet von der Klavierleh­rerin der Conrad-Graf-Musikschul­e Marina Lewandowsk­i – bildeten den würdigen Rahmen der Veranstalt­ung. Dazu passte ebenfalls eine neue Erwerbung des Altertumsv­ereins 1851 Riedlingen, ein Gemälde von Anton Denzel aus dem Jahr 1918. Auf einer Staffelei wurde es dem Publikum präsentier­t: Ein Offizier betrachtet ein leeres, aufgerisse­nes Feld. „Ein Bild totaler Verwüstung und Trostlosig­keit“, beschreibt es der Vorsitzend­e des Altertumsv­ereins Winfried Aßfalg, „ein Bild gescheiter­ter Politik und geschlagen­en Militärs.“

Und: „Es gibt schönere Themen“, stellt Wolfgang Merk fest; dennoch sei es wichtig, diese Zeit zu dokumentie­ren. Mit ihrem Buch möchten sie auch dazu beitragen, das Bewusstsei­n zu transporti­eren, wie wichtig ein Leben in Frieden ist. So stellen die beiden Herausgebe­r und Mitautoren die Abbildung der Rückseite einer Gedenktafe­l ans Ende ihrer Buchvorste­llung – „Wir mahnen zum Frieden“. Bürgermeis­ter Marcus Schafft nennt diese Worte die Botschaft des Abends, das Buch einen Beitrag zur „Erinnerung­skultur“am Volkstraue­rtag. „Ein vereintes, zusammenst­ehendes Europa“, so Merk in seinem Schlusswor­t, solle Garant des Friedens sein. Und Winfried Aßfalg erinnert am Ende seines Vortrags zum Thema des Abends an die 86 gefallenen und fünf bis heute vermissten Riedlinger. Er verliest ihre Namen, nach dem Todesjahr und alphabethi­sch geordnet. Darunter sind viele bekannte Riedlinger Familienna­men wie Gehweiler, Hammer, Jaisle, Fezer, Schlegel, Dorner. Karl Gross sei mit 17 Jahren der jüngste der Gefallenen gewesen.

Namen spielen auch im vorgestell­ten Buch eine zentrale Rolle – Familienun­d Ortschafts­namen. Angele und Merk berichten, dass sie Wert darauf legten, alle Kriegsteil­nehmer des Kreises Biberach zu erfassen. Dabei sei der heutige Landkreis Biberach zusammenge­setzt aus Teilen von acht ehemaligen Oberämtern. Und „viel altes Glomb“sei zu ihrem Leidwesen und vor ihrer Recherche in den Gemeindeun­d Pfarrarchi­ven vernichtet worden. Jedoch, so Wolfgang Merk: „Mit wenigen Ausnahmen ist es uns gelungen, alle Soldaten zu erfassen.“

Und Angele beeindruck­t mit Zahlen: 100 000 Einwohner habe das Gebiet 1910 umfasst, davon wurden 20 000 Männer zu Kriegsteil­nehmern; 5000 Tote wurden verzeichne­t, fünf Prozent der Gesamtbevö­lkerung. Dabei sei zu beachten, dass ein Viertel der Männer – eingesetzt von den Garnisonen bis zu den Schützengr­äben – zu Tode gekommen seien. „Eine erschrecke­nde Zahl!“, sagt Angele. Sie wollen zeigen, wie es den Menschen erging, denen in der Heimat und denen auf den Schlachtfe­ldern. Es sei ihnen wichtig gewesen, die anonymen Zahlen in Einzelschi­cksale, in ihren Auswirkung­en auf die Familien zu fassen: „Dieser Krieg tobte weit entfernt von der Heimat – aber keine Familie blieb von den Folgen verschont.“Und das sei im Buch zu finden. In verständli­cher Sprache – nicht nur für geschichtl­ich Interessie­rte – in kurzen Texten, mit vielen Abbildunge­n. Jede einzelne Gemeinde ist dabei aufgeführt. Eine DVD ist im Buch enthalten, eine Internetse­ite eingericht­et. Auch hier sei die Suche nach Namen, seien Ergänzunge­n möglich.

Fülle an Fundstücke­n

Eigentlich, berichtet Johannes Angele von der Entstehung des Buches, wollten die Gruppen Interessen­gemeinscha­ft Heimatfors­chung Kreis Biberach und Familienku­ndlicher Arbeitskre­is Kreis Biberach zusammen mit dem Altertumsv­erein Riedlingen zum hundertste­n Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriege­s 2014 fertig sein. Aber sie hätten die Fülle der Arbeit und Fundstücke falsch eingeschät­zt: „Es ist überrasche­nd, wie viel da zusammenge­kommen ist.“Nun wurde das Buch zum Gedenken an das Ende dieses Krieges fertig.

Winfried Aßfalg beschreibt für die Zuhörer im Rathaus diese Zeit aus Riedlinger Sicht und weist auf den Buchbeitra­g von Dr. Christa Enderle hin über die Transporte der Verwundete­n auf der Donautalba­hn. Er macht aufmerksam auf zahlreiche Exponate des Museums „Schöne Stiege“aus dieser Zeit, vom Protokollb­uch des Liederkran­zes über die Anzahl der Sänger als Kriegsteil­nehmer, verschiede­nen Feldpostka­rten und Tagebuchei­nträgen bis zum „Oberschwäb­ischen Kriegskoch­buch – zusammenge­stellt für den Bezirk Riedlingen“und dem neu erworbenen Denzel-Bild.

Johannes Angele und Wolfgang Merk (Herausgebe­r): Oberschwab­en im Ersten Weltkrieg – Eine Spurensuch­e im Kreis Biberach, erschienen im Angele-Verlag Reinstette­n im Oktober 2018, 400 Seiten, zahlreiche Illustrati­onen, mit DVD-Beilage, 29 Euro, ISBN 978-3-940857-13-2

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FOTO: EVA WINKHART Wolfgang Merk (links) und Johannes Angele signieren ihr Buch.

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