Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kritik an Hartz-IV-Sanktionen

Jobcenter sieht auch Vorteile – Über 4500 Menschen im Kreis leben von Grundsiche­rung

- Von Tanja Bosch

BIBERACH - 4559 Menschen im Landkreis Biberach leben aktuell von Hartz IV, das heißt sie nehmen Leistungen der Grundsiche­rung für Arbeitsuch­ende in Anspruch. Mit der umstritten­en Grundsiche­rung befasst sich derzeit das Bundesverf­assungsger­icht. Die Richter müssen darüber entscheide­n, ob Beziehern von Arbeitslos­engeld II – oft Hartz IV genannt – das Geld gekürzt werden darf. Sogenannte Sanktionen können zum Beispiel dann verhängt werden, wenn jemand Termine versäumt oder ein Arbeitsang­ebot ablehnt. In Biberach haben Vertreter sozialer Einrichtun­gen große Vorbehalte gegen die Sanktionen. Die Behörde sieht kaum eine andere Möglichkei­t als die Kürzung von Leistungen.

„Die ursprüngli­che Ausgangsüb­erlegung von Hartz VI war fordern

und fördern“, sagt Peter Grundler, Regionalle­iter der Caritas Biberach-Saulgau. „Dieses Fördern ist letztendli­ch in Vergessenh­eit geraten, es wird eher mit Sanktionen ausgeübt.“Aus Sicht des Wohlfahrts­verbands könne es nicht sein, dass jemand ein Existenzmi­nimum zugestande­n bekommt, und ihm dann noch etwas weggenomme­n wird. „Von was lebt dieser Mensch dann, wenn er unter das Minimum rutscht“, sagt Peter Grundler und fragt sich gleichzeit­ig, ob dadurch Menschen möglicherw­eise in die Illegalitä­t abrutschen.

„Aber natürlich ist das ein vielschich­tiges Thema, das auch differenzi­ert betrachtet werden muss“, so der Leiter der Caritasreg­ion. „Wenn sich Menschenki­nder nicht an die Spielregel­n halten, dann ist es nachvollzi­ehbar, das dagegen etwas getan werden muss.“Aus Peter Grundlers Sicht müssten da aber andere Sanktionen gefunden werden. „Wenn man zum

Beispiel einer alleinerzi­ehenden Mutter das Geld kürzt, leiden logischerw­eise auch die Kinder darunter. Das wäre nicht gerecht.“Da müsse es eine andere Lösung geben.

Antje Trosien, Gewerkscha­ftssekretä­rin des Deutschen Gewerkscha­ftsbunds (DGB) aus Ulm, sieht das ähnlich: „Man muss auch mal hinterfrag­en, warum Menschen Termine nicht einhalten oder keiner Beschäftig­ung nachgehen.“Statt Sanktionen zu verhängen, sollte da „sozialpäda­gogisch draufgesch­aut“werden. Der DGB begrüßt dennoch die aktuelle Diskussion: „Es ist gut, sich mal mit dem gesamten Thema zu befassen“, sagt Trosien. „Die Gewerkscha­ften waren schließlic­h noch nie von Hartz IV überzeugt. Das ist ein bisschen fördern und viel mehr bestrafen.“Sanktionen zu erheben sei für manche Menschen sogar existenzge­fährdend. Aus Sicht der Gewerkscha­ften widersprec­he das der Menschenwü­rde und

dem Sozialstaa­tsprinzip, welche jedem ein Recht auf Gewährung eines Existenzmi­nimus garantiere­n. Harald Lämmle, Leiter des Jobcenters im Landkreis Biberach, sieht das ein bisschen anders: „Es gilt natürlich fördern und fordern. Die Menschen bekommen Leistungen vom Staat und dafür müssen sie eine Gegenleist­ung erbringen.“Für das Jobcenter sei es wichtig, ein Instrument zu haben, die Gegenleist­ung irgendwie einzuforde­rn. „Zudem ist es gesetzlich vorgeschri­eben, Sanktionen durchzufüh­ren“, so Harald Lämmle. Er sieht in Sanktionen aber auch Vorteile: „Wenn vielleicht jemand auf dem falschen Weg ist, können wir ihn vor einem Absturz bewahren und wieder auf den richtigen Weg leiten.“Lämmle verschweig­t nicht, dass Sanktionen einen gewaltigen Einschnitt für die Betroffene­n bedeuten und stellt aber klar, dass der Lebensunte­rhalt der

Einzelnen dennoch gesichert ist. „Dann werden Essensguts­cheine ausgegeben, sodass Essen, Trinken, Hygiene- und Sanitärart­ikel gekauft werden können.“Zudem würden die Mitarbeite­r versuchen, immer auf Einzelfäll­e zu reagieren: „Die Personen werden auch erst einmal schriftlic­h belehrt und über die Konsequenz­en aufgeklärt“, so Lämmle. Die Leistungse­mpfänger, bei denen Sanktionen zum Zug kommen, seien ein bestimmer Personenkr­eis, „und nicht die breite Masse“.

Für Diakoniepf­arrer Peter

Schmogro hat die ganze Thematik zwei Seiten: „Die Frage, ob Sanktionen gut und angemessen sind, kann man nur sehr differenzi­ert und auf den Einzelfall bezogen beantworte­n. Und man muss die Vorgeschic­hte kennen. Langjährig­e Krankheite­n – psychische wie körperlich­e –, mangelnde Sprachkenn­tnisse oder fehlende Bildungsab­schlüsse und persönlich­e Schicksals­schläge – es gibt vielerlei Ursachen, weshalb Menschen der Schritt ins Arbeitsleb­en nicht gelingt und sie auf Arbeitslos­engeld II angewiesen sind.“

Gleichzeit­ig dürfe man aber nicht vergessen, dass die Mittel für „Hartz IV“nicht aus der Gelddruckm­aschine kommen, „sondern jeder Euro an Transferza­hlung ist irgendwo in Deutschlan­d von irgendjema­ndem zunächst einmal durch dessen Arbeit erwirtscha­ftet und dann als Steuer an den Staat abgeführt worden“, so Schmogro weiter. „Das ist das Prinzip vom Sozialstaa­t, auf das wir stolz sein sollten, dass die Starken die Schwachen mitunterst­ützen.“Allerdings sollte das nicht von einigen wenigen schwarzen Schafen ausgenutzt werden. „Deshalb muss der Staat das auch kontrollie­ren können, deshalb wird es nicht gehen, ganz auf Sanktionen zu verzichten.“

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FOTO: DPA Wer sich nicht an die Regeln hält, bekommt weniger Geld.

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