Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schauspiel als Hörspiel
Das Theater Ulm testet Audiobeschreibungen für Menschen mit Sehbehinderung
ULM - Barrierefreiheit ist auch im Kulturleben ein immer wichtigeres Thema. Nun bietet das Theater Ulm sehbehinderten Zuschauern bei zunächst zwei Vorstellungen einen neuen Service: eine begleitende Audiodeskription. Der erste Vorstellungstermin mit dieser Ergänzung ist Sarah Kohrs’ Inszenierung des Schauspiels „Terror“am Dienstag, 5. März. Auch bei Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“am Donnerstag, 27. Juni, können die Zuschauer das neue Angebot nutzen. Intendant Kay Metzger: „Theater soll niederschwellig sein und auch die erreichen, die es visuell nicht so gut verfolgen können.“
Die blinden oder sehbehinderten Zuschauer erhalten vor der Vorstellung gegen Deponierung eines Pfandes – zum Beispiel ihres Personalausweises – ein spezielles Gerät bei der Leiterin des Besucherservices am Stand des Programmverkaufs. Während der Aufführung wird den Besuchern über dieses dann eine genaue Beschreibung des sonst nur optisch wahrnehmbaren Geschehens übertragen. Jeweils 15 Minuten vor der Vorstellung gibt es zudem eine Audio-Beschreibung des Bühnenbildes sowie der Figuren durch den Produktionsdramaturgen.
Möglich wurde der neue Service laut Theater durch ein Sponsoring von rund 6000 Euro durch die OttoKässbohrer-Stiftung und die Stiftung Berufsbildungswerk P. J. Wieland. Unterstützt wird das Projekt durch den Inklusionsbeauftragten der Stadt Ulm sowie den Regionalgruppenleiter und Mitglieder der Selbsthilfevereinigung „Pro Retina Deutschland“. Betreut wird die akustische Bildbeschreibung durch die Firma Hörfilm München. Das Theater verfügt über 30 der dafür nötigen Geräte, die aus einem Empfänger und einem halb offenen Bügelkopfhörer bestehen. Bei mehr Anmeldungen – um eine Reservierung eine Woche vorab wird gebeten – kann aber zusätzliche Ausrüstung ausgeliehen werden.
Bei der Audiodeskription, die bei Filmen auf DVD oder Blu-Ray mittlerweile oft mitgeliefert wird, geht es laut Marion Hollerung von Hörfilm München darum, für sehbehinderte Besucher das nicht hörbare Bühnengeschehen in den Sprechpausen der Akteure so durch Kommentare zu ergänzen, dass sich der Sinnzusammenhang erschließt.
Dazu gehört eine möglichst neutrale Beschreibung der Szenerie und der Figuren, aber auch die Erklärung von nicht eindeutig erkennbaren Geräuschen. Wenn es also knarzt, lautet der Kommentar beispielsweise: „Eine Tür öffnet sich.“
Nach Hollerungs Erfahrung eignet sich eigentlich jedes Stück für eine Audiodeskription. Bei Live-Vorstellungen bereitet sich das HörfilmTeam mit einem Video der Produktion auf den Einsatz vor.
Ideen für Gehörlose
Ulm ist nicht das erste Theater, das diesen Service anbietet. Beim Theater Bielefeld und dem Wiener Burgtheater gibt es laut Ari Mog von Hörfilm München sogar bei jeder Produktion im Großen Haus mindestens eine Vorstellung mit Audiodeskription. Insgesamt sei die Versorgung – trotz der EU-Richtlinie zur Inklusion – aber eher „rudimentär“, so Mog. Mit der Folge, dass viele Betroffene nichts von den Angeboten mitbekämen. Auch das Theater Ulm hat in der Vergangenheit schon Audiodeskription genutzt, unter anderem für „Wie im Himmel“2016. Die beiden nun angesetzten Vorstellungen sind laut Intendant Metzger ein Testlauf. Das Ziel sei aber, diesen Service regelmäßig anzubieten. „Das hängt auch von der Nachfrage ab“, so Metzger.
Um Barrierefreiheit bemüht sich das Theater Ulm schon länger. Seit Jahren stehen im Großen Haus sogenannte Induktionsschleifen für die Benutzer von Hörgeräten bereiten – diese bekommen so den Ton quasi direkt ins Ohr gespielt. Es gibt im Leitungsteam auch erste Ideen, den Einsatz von Gebärdendolmetschern für Gehörlose zu testen. Metzger: „Ich bin für so etwas immer offen.“
Bei „Terror“am 5. März gibt es für Besucher mit Sehbehinderung eine weitere Besonderheit. In Ferdinand von Schirachs Justiz-Stück fällt das Publikum ein „Urteil“in einem Prozess gegen einen Bundeswehrpiloten, der ein von Terroristen gekapertes Flugzeug entgegen dem Befehl seines Vorgesetzten abschoss, um ein Fußballstadion zu retten. Dafür gehen die Zuschauer nach der Pause durch entsprechend markierte Durchgänge zurück auf ihre Plätze. Blinde oder sehbehinderte Personen können dem zählenden Einlasspersonal ihre Entscheidung auch mündlich mitteilen.
Vorverkauf: Karten sind an der Theaterkasse, Telefon 0731/1614444, theaterkasse@ulm.de, erhältlich. Dort können sich Besucher auch für die Audiodeskription anmelden.