Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schweinepest
Wegen der Afrikanischen Schweinepest wird Schwarzwild intensivst bejagt – Es gibt aber Zweifel an dieser Vorgehensweise
Kritik an Ausweitung der Jagd auf Wildschweine
WANGEN - Ob Wildschweine je Freunde gehabt haben, ist ziemlich ungewiss. Vielleicht lassen sich Hinweise darauf am ehesten noch in der Welt der Comic-Hefte finden. Allerdings ist auch die Zuneigung des dicken, zaubertrankgesättigten Obelix aus der „Asterix“-Serie eine zweifelhafte, denn Obelix hat die Schwarzkittel zum Fressen gern, im wörtlichen Sinn. Auch in der wirklichen Welt sieht es schlecht aus für Wildschweine. Den Bauern ruinieren sie Maisäcker und graben ihnen die Wiesen um. Gerade in Oberschwaben und auf der Schwäbischen Alb kann man ein Lied davon singen. Schon deshalb wird den Tieren aus vielen Gehöften ein Fluch entgegengeschleudert.
Dass nun auch noch die Afrikanische Schweinepest droht, steigert das Missfallen beträchtlich. Landwirtschaftliche Funktionäre wie Deutschlands Bauernpräsident Joachim Rukwied wollen, dass „70 Prozent der Wildschweine abgeschossen werden“– vorsorglich. Noch ist die Tierkrankheit in der Bundesrepublik nicht festgestellt worden. Politiker schließen sich an. BadenWürttembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) hat die Forderung übernommen.
Der Griff zur Büchse
Selbst in der Ökoszene wird ein vermehrter Griff zur Büchse gutgeheißen. Entsprechend hat sich Brigitte Dahlbender, Vorsitzende des badenwürttembergischen BUND, kürzlich bei den Naturschutztagen in Radolfzell geäußert. Inzwischen werden sogar höhere Zahlen als die 70 Prozent in die Runde geworfen. Warum nicht 80 Prozent der Tiere erschießen? Im benachbarten Polen ist bereits von 100 Prozent die Rede.
Ob intensiver Büchseneinsatz aber wirklich gegen die Verbreitung der Afrikanischen Schweinepest hilft, ist offenbar nicht gesichert. „Die Anzahl an Wildschweinen bei uns hat praktisch keinerlei Bedeutung für die Frage, ob beziehungsweise wann es bei uns zum Ausbruch kommt“, meint Sven Herzog, Professor für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der Technischen Universität Dresden. Ein Massenabschuss sei nicht zielführend. Er könne sogar kontraproduktiv sein. Womöglich, sagt der renommierte Wissenschaftler, würden Wildschweine bei einer intensiven Bejagung ihr Streifgebiet vergrößern. Käme es dann zu einem Seuchenausbruch, sei die Eindämmung der Krankheit schwerer, als wenn man die Tiere in Ruhe ließe.
Dieser alternative Standpunkt hat die Diskussion über den Umgang mit der Afrikanischen Schweinepest erneut befeuert – zumal die Gefahr näher rückt. Sie kommt aus Osteuropa, schrittweise. Angeblich führen die Spuren nach Georgien. Längst sind aber deutsche Nachbarstaaten betroffen. Polen hat ein riesiges Problem in den östlichen Gebieten. 2017 sind Fälle im tschechischen Landstrich Mähren aufgetreten. Fast schon ein Schockereignis war schließlich im vergangenen Jahr der Fund des Virus bei Wildschweinen in den belgischen Ardennen, also westlich von Deutschland.
Daraufhin forderten Landwirtschaftsverbände fast schon hysterisch eine Beschleunigung des Schwarzwildabschusses ein. Die zuständigen Ministerien beschleunigten ihre Vorbereitungen für den Seuchenfall. Dabei springt das Virus nicht auf den Menschen über, wie Veterinäre und Humanmediziner immer wieder betonen. Den vorliegenden Studien zufolge kann man sogar gefahrlos infiziertes Fleisch essen. Anders sieht es für die Tiere aus. Einmal mit dem Virus in Berührung gekommen, sterben sie innerhalb von Tagen. Das gilt ebenso für Hausoder Zuchtschweine. Hier kommt noch hinzu, dass in befallenen Beständen alle Tiere – auch gesunde – gekeult werden müssen.
Eine reelle Impfmöglichkeit gibt es trotz energischer Forschungen noch nicht. Ein Abschirmen der Ställe wäre aber wohl vorstellbar. Schon heute muss man beim Eintritt durch richtige Sicherheitsschleusen gehen – zumindest dort, wo Schweine in großem Maßstab gehalten werden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium verweist in diesem Zusammenhang auf die Schweinehaltungshygieneverordnung. In der obersten Stufe erinnern die Vorgaben der Eintrittsprozedur an die in den Reaktormantel eines Atomkraftwerks. Die nordrhein-westfälische Landwirtschaftskammer schreibt dazu in einem Papier: „... so kann jeder seinen Betrieb effektiv schützen.“
Experten fürchten Preisverfall
Es muss also etwas anderes sein, das den Schweinezüchtern existenzielle Sorgen bereitet. Die Antwort lässt sich beispielsweise in der landwirtschaftlichen Zeitschrift „top agrar“finden. Bereits im Herbst 2017 wurde dort getitelt: „Export in Gefahr“. Experten, heißt es, rechneten mit einem Preisverfall, von dem sich der Schweinemarkt nur langsam erholen würde. Das Bundeslandwirtschaftsministerium erwarte, dass alle Drittländer den Import von deutschem Schweinefleisch sofort stoppen würden, sollte das Virus irgend- wo in Deutschland auftauchen. Laut „top agrar“geht es um immense Zahlen. Rund 20 000 Tonnen Schweinefleisch sollen es sein, die pro Woche in Staaten außerhalb der EU gebracht werden.
Ökonomisch bedroht wären vor allem die Massentierhalter in Niedersachsen, der Hochburg der Sauenhaltung. Für Landkreise wie Cloppenburg ist die Schweinezucht ökonomisch so bedeutsam wie VW für die Stadt Wolfsburg. Bauernpräsident Rukwied sieht bereits Milliardenverluste auf die Bauern zukommen. Nach seiner Logik verringert sich das Risiko, je weniger Wildschweine es in Deutschland gibt. Mit anderen Worten: Feuer frei.
Dies scheint bundesrepublikanischer Meinungsmainstream zu sein. Er macht vor den Waidmännern, die sich sonst gerne als Anwalt des Wildes sehen, nicht halt. „Je geringer die Schwarzwilddichte ist, desto geringer ist die Gefahr der Ansteckung und der Weiterverbreitung“, sagt
Erhard Jauch, Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbandes Baden-Württemberg. Die Jäger betrieben „bisher mit der verstärkten Schwarzwildbejagung Prävention für den Fall, dass die Seuche bei uns ausbricht“.
Demzufolge haben sich die Abschusszahlen in Baden-Württemberg deutlich erhöht. Im Jagdjahr 2017/ 2018 wurden im Vergleich zum Vorjahr 70 Prozent mehr Wildsauen zur Strecke gebracht. In absoluten Zahlen waren es mehr als 78 000 Tiere. Deutschlandweit wurden mehr als 820 000 Exemplare Schwarzwild geschossen. Manche Bundesländer setzen inzwischen sogar Prämien aus. In Bayern gibt es 20 Euro für jede erlegte Bache und jeden erlegten Frischling. Die gleiche Summe zahlt der Freistaat, wenn Jäger eine verendete Sau zur Untersuchung bringen.
In Baden-Württemberg setzt die Landesregierung auf einen ZwölfPunkte-Plan. Es geht unter anderem um das Fördern von Drückjagden. Des Weiteren dürfen bislang verbotene technische Hilfsmittel ins Spiel gebracht werden – etwa der Einsatz künstlicher Lichtquellen bei der nächtlichen Schweinejagd. Noch heftiger umstritten war in der Vergangenheit die Zulassung von Nachtzielgeräten. Im Waffenrecht ist eine solche Technik für Zivilisten strikt verboten. Das Bundeskriminalamt will an dem Verbot eigentlich auch festhalten, denn es befürchtet, dass Schießwütige angelockt werden. Nun aber hat das Land die Möglichkeit geschaffen, Jägern im Einzelfall und im Rahmen behördlicher Beauftragungen den Einsatz von Nachtzieltechnik zu ermöglichen.
Dänemark schottet sich ab
Den Vogel abgeschossen haben dürfte bei der Seuchenvorsorge jedoch Dänemark. Entlang der Grenze zu Deutschland lassen die Dänen einen 70 Kilometer langen Zaun ziehen. Fremde Wildschweine sollen vom kleinen Königreich ferngehalten werden. Experten halten dies für ziemlichen Unsinn. Immer wieder verlautbart das Friedrich-LoefflerInstitut, die zentrale Bundeseinrichtung für Tiergesundheit: Die größte Übertragungsgefahr gehe von „kontaminiertem Material“aus, das in bisher seuchenfreie Gebiete transportiert werde. Als klassisches Beispiel gilt ein osteuropäischer Fernfahrer, der sein mit infizierter Schweinewurst belegtes Vesper auf einem Rastplatz ins Gebüsch wirft. Woraufhin es sich eine heimische Wildsau schmecken lässt.
Zäune helfen in einem solchen Fall tatsächlich nicht. Auch nach Dänemark rollen Kolonnen von Lastwagen. Immerhin setzen die Regierungen aber gleichzeitig auf mehr Aufklärung in der Fernfahrerszene. So findet man beispielsweise in Baden-Württemberg zunehmend Warnschilder an Lkw-Raststätten. Mehrsprachig wird gebeten, Schweineprodukte doch bitte ausschließlich in Abfallkübeln zu entsorgen. Ob’s hilft? Grundsätzlich sieht das Friedrich-Loeffler-Institut schwarz: Es sei nur eine Frage der Zeit, wann das Virus in Deutschland auftauche.
„Die Anzahl an Wildschweinen hat praktisch keinerlei Bedeutung für die Frage, ob es zum Ausbruch kommt.“ Sven Herzog, Professor für Wildökologie und Jagdwirtschaft