Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Gaspipeline nach Russland entzweit sogar Berlin und Paris
Die französische Regierung ist für eine Richtlinie, die die Nord Stream 2 erschweren würde – Deutschland ist bei dem Projekt isoliert
PARIS/BERLIN (dpa) - Angesichts erstarkter Populisten und Nationalisten in Europa zeigen sich die EUSchwergewichte Deutschland und Frankreich gerne Hand in Hand. Erst vor gut zwei Wochen erneuerten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Staatschef Emmanuel Macron in Aachen feierlich den 56 Jahre alten Élysée-Freundschaftsvertrag. Doch hinter den Kulissen brodelt es, wie das Gerangel um Änderungen an der Brüsseler Gas-Richtlinie zeigt. Das EU-Gesetz hat große Bedeutung für die von Russland nach Europa führende Gasleitung Nord Stream 2, die von Berlin mit harten Bandagen verteidigt wird.
Dazu kommt erschwerend noch eine Absage: Der einstige Senkrechtstarter Macron, der in seiner Heimat schwer unter Druck geraten ist, verzichtet auf seinen Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz in der kommenden Woche. In Paris versuchen Diplomaten zu beruhigen: Die Absage habe nichts zu tun mit dem Streit über die Gas-Richtlinie, deren Änderung von Frankreich befürwortet wird und die zusätzliche, unbequeme Auflagen für das umstrittene Pipeline-Vorhaben bringen könnte. „Beide Staaten vertiefen ihre Zusammenarbeit in der Europapolitik“– so steht es wörtlich im am 22. Januar unterzeichneten Aachener Vertrag von Deutschland und Frankreich. Warum es nun bei der GasRichtlinie hakt, wurde zunächst nicht richtig klar. Als eine mögliche Erklärung für die neue französische Positionierung wurde der Druck Washingtons mit möglichen neuen Russland-Sanktionen genannt. Diese könnten auch den in Russland sehr aktiven französischen Ölkonzern Total treffen. Eine Vermutung lautet, dass die USA Frankreich mit solchen Gedankenspielen zumindest indirekt erpresst haben könnten.
Auch in Deutschland umstritten
Im Ausland wird indes darauf hingewiesen, dass Nord Stream 2 auch in Deutschland umstritten ist. Selbst in der Unionsfraktion im Bundestag hat die Pipeline ihre Anhänger und ihre Gegner. CDU-Wirtschaftspolitiker Joachim Pfeiffer etwa weist Kritik an dem Riesenprojekt zurück. Die Pipeline stärke Europa und schwäche es nicht. „Es erhöht die Versorgungssicherheit und macht uns politisch unabhängiger, auch von Ramboattacken aus den USA“, lautet sein Credo. Widerspruch kommt hingegen vom Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen. „Die Politik der Bundesregierung in Sachen Nord Stream 2 ist seit Jahren einseitig“, sagte der CDU-Politiker dem „Tagesspiegel“. Es werde etwa keine Rücksicht auf Sicherheitsbedenken der osteuropäischen Nachbarn genommen. Deutschland habe sich in dieser Frage isoliert.
Deutschland ist in den kommenden Jahren auf mehr Gas auch aus Russland angewiesen. Denn bis 2022 will Deutschland aus der Kernenergie aussteigen, bis 2038 nun außerdem schrittweise aus dem Kohlestrom. Frankreich hält hingegen am Atomstrom fest – und sieht sich damit auch als ein internationaler Vorreiter beim Klimaschutz.