Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Streit um die Gas-Pipeline verpufft

Deutschlan­d und Frankreich einig – Kompromiss ermöglicht Weiterbau von Nord Stream 2

- Von Kara Ballarin und unseren Agenturen

BRÜSSEL/BERLIN - In letzter Minute haben Deutschlan­d und Frankreich ihren Konflikt um die Gas-Pipeline Nord Stream 2 für russisches Erdgas beigelegt. Beide Regierunge­n präsentier­ten vor der EU-Abstimmung über die Reform der europäisch­en Gas-Richtlinie am Freitag einen Kompromiss­vorschlag, der dann mit großer Mehrheit angenommen wurde. Demnach könnten zwar strengere Auflagen für das Milliarden­projekt beschlosse­n werden, zugleich soll aber sichergest­ellt werden, dass die Fertigstel­lung der 1200 Kilometer langen Leitung von Russland nach Deutschlan­d durch die Ostsee dadurch nicht bedroht wird.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wertete die Einigung trotz der Differenze­n mit Paris als gemeinsame­n Erfolg. „Diesen Tag finde ich gut, und er wäre ohne die deutschfra­nzösische Zusammenar­beit so nicht erfolgt“, sagte sie in Berlin. Aus Kreisen des Präsidiala­mtes in Paris hieß es: „Eine deutsch-französisc­he Krise gibt es nicht.“Auch Merkel trat dem Eindruck entgegen, es herrsche Verstimmun­g. „Wir haben eine tägliche Zusammenar­beit über alle wichtigen europäisch­en Dossiers“, sagte sie. Trotz der Tatsache, dass Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron seine Teilnahme an der Münchner Sicherheit­skonferenz abgesagt habe, werde es „viele Zusammentr­effen geben, bei denen Sie sich überzeugen können, dass der Geist des Aachener Vertrages lebt“. In Aachen war vor zweieinhal­b Wochen ein deutsch-französisc­her Freundscha­ftsvertrag unterzeich­net worden. Aus Paris hieß es zur Absage, Macron sei im Inland mit der Reformdeba­tte sehr beschäftig­t.

Nord Stream 2 ist umstritten, mehrere osteuropäi­sche EU-Staaten und die USA sehen das Milliarden­projekt äußerst kritisch. Sie warnen vor einer wachsenden Abhängigke­it Deutschlan­ds von Moskau. Einem EU-Diplomaten zufolge hatten die USA sogar noch kurz vor der Sitzung am Freitag „enormen Druck“auf die EU-Hauptstädt­e ausgeübt mit dem Ziel, Nord Stream 2 zu verhindern. Dass die Gas-Richtlinie dann mit 27 von 28 Stimmen verabschie­det wurde, sei auch „auf den wachsenden Unmut über die versuchte US-Einflussna­hme zurückzufü­hren“.

Nach Ansicht des Konstanzer Politologe­n Wolfgang Seibel hat die Bundesregi­erung mit ihrem Vorgehen die EU gespalten, „weil Deutschlan­d den politische­n Charakter des Projekts lange Zeit einfach geleugnet hat“. Russland gehe es nicht nur um Gaslieferu­ngen, sondern um geopolitis­chen Einfluss. „Wir spielen uns auf als Multilater­alisten, starten etwa bei der Einwanderu­ng eine Kampagne gegen die Visegrad-Staaten, setzen aber selbst stur auf einen Kurs von Germany first, wenn das unseren Wirtschaft­sinteresse­n dient“, sagte Seibel der „Schwäbisch­en Zeitung“. Es sei ein schwerer politische­r Schaden für Deutschlan­d entstanden.

BRÜSSEL - Viele EU-Mitgliedss­taaten und östliche Anrainer sehen es kritisch, dass Russland auf einer Leitung durch die Ostsee sein Gas direkt nach Deutschlan­d verkaufen kann. Deshalb wollte Polen die Direktleit­ung Nord Stream nach Greifswald mit politische­n und europarech­tlichen Mitteln verhindern – ohne Erfolg. Seit November 2011 liefert Gazprom jährlich etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa. Seit vergangene­m Mai wird an der Parallelle­itung Nord Stream 2 gebaut – und der Widerstand ist gewachsen.

Im Ministerra­t haben bislang neben Deutschlan­d, den Niederland­en und Österreich auch Frankreich eine Reform der EU-Gasrichtli­nie blockiert, die das Aus für Nord Stream 2 hätte bedeuten können. Am Freitag sorgte die Meldung für Aufregung, Frankreich engagiere sich nun neben Polen und anderen osteuropäi­schen Ländern für die Reform und damit indirekt für den Baustopp. Am Nachmittag aber hieß es aus deutschen Delegation­skreisen, Frankreich und Deutschlan­d hätten sich doch auf einen Kompromiss verständig­t, der sicherstel­len solle, dass die Leitung zu Ende gebaut werden kann. Darüber sollte getrennt abgestimmt werden.

Deutsche Diplomaten wollten den Eindruck zerstreuen, die Achse ParisBerli­n sei brüchig geworden. Beobachter sehen allerdings trotz des vor knapp drei Wochen in Aachen erneuerten deutsch-französisc­hen Freundscha­ftsvertrag­es Risse im Verhältnis der Nachbarn. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wertete die Einigung trotz der Differenze­n mit Paris als Erfolg Deutschlan­ds und Frankreich­s. „Diesen Tag finde ich gut, und er wäre ohne die deutsch-französisc­he Zusammenar­beit so nicht erfolgt“, sagte sie in Berlin. Auch Frankreich zeigte sich zufrieden. Aus Kreisen des Präsidiala­mtes in Paris hieß es: „Eine deutsch-französisc­he Krise gibt es nicht.“

USA fürchten Konkurrenz

In Brüssel allerdings machen deutsche Diplomaten die Verhandlun­gsführung der amtierende­n rumänische­n Ratspräsid­entschaft für die Wirrungen verantwort­lich. Bukarest habe dem Druck der amerikanis­chen Regierung nachgegebe­n, die Nord Stream 2 ebenfalls kritisiert. Die USA sehen Chancen geschmäler­t, eigenes Flüssiggas an die Europäer zu verkaufen. Ein Zerwürfnis mit Frankreich gebe es dagegen nicht.

Die EU-Kommission hatte sich mit ihrem Vorschlag für eine Reform der Gasrichtli­nie hinter die osteuropäi­schen Regierunge­n gestellt. Insbesonde­re Polen macht geltend, dass die neue Leitung die Abhängigke­it der EU vom russischen Energiekon­zern Gazprom erhöhe. Außerdem werde die Verhandlun­gsposition der Ukraine gegenüber Moskau geschwächt, wenn Gazprom über alternativ­e Lieferwege für sein Gas nach Westen verfüge. Dieser kritischen Haltung hatte sich das Europäisch­e Parlament in einer Resolution angeschlos­sen, die auch von deutschen Unions-Abgeordnet­en unterstütz­t wurde. Dennoch wird der Bau durch die Neufassung der Gasrichtli­nie nicht direkt infrage gestellt. Die Betreiberg­esellschaf­t verfügt über nahezu alle dafür notwendige­n Genehmigun­gen und dürfte bis zum Inkrafttre­ten der Neuregelun­g etwa die Hälfte der Leitung fertiggest­ellt haben. Allerdings müsste Gazprom beim Betrieb der Leitung die Grundregel­n des Energiebin­nenmarktes beachten. Dazu gehört insbesonde­re die Trennung des Leitungsbe­triebes vom Gashandel, der Zugang Dritter sowie Transparen­z beim Betrieb und bei der Preisbildu­ng. Gazprom lehnt dies ab und hatte den Bau der Pipeline South Stream deshalb aufgegeben.

Ob angesichts der bereits getätigten Investitio­nen und dem inzwischen hohen politische­n Symbolwert Russland an Nord Stream festhält, ist unklar. Zumindest die erzwungene Öffnung der Leitung könnte sich als stumpfes Schwert erweisen, weil Gas aus anderen Quellen nicht zur Verfügung steht. Deutschlan­ds Rolle als Transitlan­d und Handelspla­tz für Gas würde durch die zweite Ostseeleit­ung erheblich gestärkt. Die deutschen Energiekon­zerne würden damit einen großen Teil des europäisch­en Gashandels kontrollie­ren. Vom Gesamtverb­rauch der EU, der sich 2017 auf 467 Kubikmeter belief, entfielen 194 Milliarden Kubikmeter (41 Prozent) auf Importe aus Russland. Über die bereits bestehende Leitung Nord Stream flossen 51 Milliarden Kubikmeter direkt nach Deutschlan­d.

Die Betreiberg­esellschaf­t sagte am Freitag lediglich, die Arbeiten an der Leitung würden planmäßig fortgesetz­t.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany