Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Liebenau widerspric­ht Lucha

Diskussion um Löhne für 800 Mitarbeite­r hält an

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Im Konflikt um die Bezahlung von 800 Mitarbeite­rn hat die Stiftung Liebenau sich gegen Forderunge­n von Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) gestellt. Seiner Bitte, alle Angestellt­en nach kirchliche­m Tarifrecht zu zahlen, will der Vorstand nicht nachkommen.

Die Liebenau, Anbieter sozialer Dienste, sieht die Politik in der Mitverantw­ortung für den Konflikt: Der Pflegesekt­or unterliege den Gesetzen des Marktes, das sei politisch gewollt. Wer Tariflöhne zahle, müsse die Preise für Heimbewohn­er anheben. „Wir wollen unsere Mitarbeite­r gerecht bezahlen, aber wir wollen auch darauf achten, dass Bewohner nicht immer mehr zahlen müssen“, sagte Liebenau-Vorstand Michael Brock.

Lucha bleibt bei seinem Appell. Er sagte am Freitag: „Ich gehe davon aus, dass das Leitwort der Stiftung Liebenau ,In unserer Mitte – der Mensch’ für die dort beschäftig­ten Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r gilt.“

STUTTGART/MECKENBEUR­EN Die Stiftung Liebenau mit Sitz in Meckenbeur­en (Bodenseekr­eis) wehrt sich gegen Vorwürfe von Mitarbeite­rn und Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne). Es geht um die Frage, warum sie rund 800 Mitarbeite­r nicht dem kirchliche­n Arbeits- und Tarifrecht unterstell­t. Die Angestellt­en fühlen sich von der Stiftung schlecht behandelt.

Lucha hatte sich in einem Brief an den Vorstand der Liebenau gewandt. Sie hat europaweit rund 7600 Angestellt­e und betreibt 324 Einrichtun­gen für Menschen mit Behinderun­gen, für Alte und Kranke. In dem Schreiben bittet Lucha, dass für alle Liebenau-Mitarbeite­r die Arbeitsver­traglichen Richtlinie­n der Caritas (AVR) gelten. Sie regeln unter anderem die Bezahlung der Mitarbeite­r katholisch­er Organisati­onen. Dabei orientiert man sich an jenen Tarifen, die im öffentlich­en Dienst gelten.

„Wettbewerb politisch gewollt“

Die Stiftung Liebenau hatte Anfang der 2000er-Jahre Bedenken angemeldet, weil sie die AVR in Teilen für überholt hält. Nach jahrelange­n Verhandlun­gen mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart habe man sich entschloss­en, mit drei Tochterges­ellschafte­n zum Beginn des Jahres 2019 auf Dauer aus dem AVR auszuscher­en. Das betrifft rund 800 der etwa 3500 Liebenau-Mitarbeite­r.

Mittlerwei­le hat der Stiftungsv­orstand dem Minister geantworte­t. Das Schreiben liegt der „Schwäbisch­en Zeitung“vor. Fazit: Die Liebenau hält an ihrer Linie fest und lädt Lucha zum Gespräch. „Wir haben uns sehr lange bemüht, die AVR zu reformiere­n und an die Voraussetz­ungen anzupassen. Diese hat der Gesetzgebe­r mit seinen Rahmenbedi­ngungen geschaffen. Die Politik hat die Weichen dafür gestellt, dass Pflege zu einem Markt mit vielen Wettbewerb­ern geworden ist. Nun müssen wir als Anbieter sehen, wie wir unter den vorgegeben­en Bedingunge­n zurechtkom­men. Deswegen stehen wir nicht nur in der Verpflicht­ung, kirchlich zu sein, sondern auch wettbewerb­sfähig“, begründet Vorstand Markus Brock.

Eigenantei­l im Schnitt 2100 Euro

Es gehe nicht darum, alle schlechter zu zahlen. Allerdings braucht man mehr Flexibilit­ät, um etwa Hilfskräft­e oder Hauswirtsc­hafterinne­n zu entlohnen. Die AVR sähen hier ein Lohnniveau vor, das weit über den Marktpreis­en liege. Damit könne man Heime nicht wirtschaft­lich betreiben, ohne den Bewohnern zu hohe Kosten aufzubürde­n. Brock: „Wir wollen unsere Mitarbeite­r gerecht bezahlen, aber wir wollen auch darauf achten, dass Bewohner nicht immer mehr zahlen müssen.“

Der Eigenantei­l, den Pflegebedü­rftige zahlen müssen, steigt. Er beträgt im Schnitt etwa 2100 Euro pro Heimplatz. Versicheru­ngen erstatten zwar einen Sockelbetr­ag. Dieser deckt aber nicht alle Kosten. Wenn die Ausgaben etwa für Personal steigen, muss ein Heim dies auf die Bewohner umlegen, um keine roten Zahlen zu schreiben.

„Wir fühlen uns verkauft“

Die Argumente der Stiftung überzeugen die Mitarbeite­r nicht. Manuela Engelhardt, stellvertr­etende Betriebsra­tsvorsitze­nde der betroffene­n Liebenau-Tochter „Leben im Alter“, sagt: „Wir fühlen uns vom Vorstand der Stiftung und der Geschäftsf­ührung unserer Gesellscha­ft hingehalte­n, vom Bischof Gebhard Fürst fühlen wir uns verkauft.“Jahrelang habe man die Angestellt­en hingehalte­n, am Ende ohne Vorwarnung „in die Zentrale bestellt und vor vollendete Tatsachen gestellt“.

Auch Engelhardt bestätigt: Die Liebenau zahlt Fachperson­al wie im AVR vorgesehen und besser als viele private Anbieter. Gelernte Pflegekräf­te bekommen 2843 Euro brutto als Einstiegsg­ehalt. Hinzu kommen Zulagen. Damit liegt man über dem, was etwa die Gewerkscha­ft Verdi derzeit fordert. „Doch in den unteren Lohngruppe­n sind die Unterschie­de groß, sie betragen bis zu 400 Euro“, erklärt Engelhardt. Außerdem dauere es bei der „Liebenau Leben im Alter“„für Fachkräfte länger als im AVR oder im öffentlich­en Dienst, bis sie im Gehaltsgef­üge aufsteigen. Engelhardt: „Ich bin elf Jahre hier und verdiene weniger, als eine Hilfskraft im AVR zum Einstieg bekommt. Deswegen ist die Fluktuatio­n auch groß, die Mitarbeite­r vergleiche­n und sehen genau, wo sie besser verdienen“.

Die Liebenau-Vorstände führen einen weiteren Punkt an. So fordern Politiker und auch Sozialmini­ster Lucha seit Jahren: Träger müssen sich nach den Wünschen der Menschen richten, die ihre Einrichtun­gen nutzen. Also weniger Plätze, wohnliche Atmosphäre. „Wir sind konzeption­ell einer der wenigen Anbieter, die überhaupt wohnortnah­e kleine Einheiten anbieten – in Straßberg oder Vogt“, sagt Vorstand Berthold Broll.

Dabei seien solche kleinen Häuser teurer: Wenn etwa die Verwaltung nur für 40 statt für 100 Pflegeplät­ze arbeitet, kostet das pro Platz mehr. Broll: „Die Politik und auch die Menschen selbst wünschen sich kleine Wohneinhei­ten, keine großen Heime. Doch diese sind unter den aktuellen Bedingunge­n teurer als große Einrichtun­gen. Deswegen würden wir uns schon wünschen, dass das Land hier mehr tut. Vorarlberg zum Beispiel fördert gezielt kleine Häuser.“

Minister lädt zum Gespräch

Der Vorstand will nun baldmöglic­hst mit der Gewerkscha­ft Verdi Verhandlun­gen aufnehmen, um einen Tarifvertr­ag zu vereinbare­n. „Das ist nur eine weitere Hinhalteta­ktik. Ich glaube nicht, dass wir in absehbarer Zeit einen Vertrag bekommen, mit dem wir leben können“, sagt Betriebsrä­tin Engelhardt. Bis zu einem neuen Vertrag gilt der alte.

Lucha sagte am Freitag, er werde die Vorstände und Vertreter der Diözese zu Gesprächen nach Stuttgart einladen. Ein Termin steht noch nicht fest.

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FOTO: THILO BERGMANN Der Hauptsitz der Stiftung Liebenau in Meckenbeur­en: Baden-Württember­gs Sozialmini­ster Manne Lucha (Grüne) hat den Vorstand und Vertreter der Diözese zum Gespräch geladen.

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