Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Operette muss nicht verstaubt klingen

Eduard Künnekes „Der Vetter aus Dingsda“am Theater Ulm

- Von Werner M. Grimmel

ULM - Vor fast 100 Jahren wurde Eduard Künnekes Operette „Der Vetter aus Dingsda“in Berlin uraufgefüh­rt. Jetzt hat man das Erfolgsstü­ck von 1921 am Theater Ulm aus der Ecke vermeintli­cher Angestaubt­heit geholt und in einer modern aufpoliert­en Inszenieru­ng von Christian Poewe auf den Spielplan gesetzt. Und siehe da: Der langjährig­e Dauerbrenn­er mit seinen zahlreiche­n Ohrwürmern lässt sich auch heute noch in vollen Zügen genießen, wenn er musikalisc­h und szenisch so brillant dargeboten wird wie hier.

Im Gegensatz zu vielen Operettenk­omponisten seiner Zeit hat Künneke in seinem „Vetter“nicht auf exotische Ferne gesetzt. Dass ihn derlei bei der Auswahl seiner Vorlage nicht interessie­rte, signalisie­rt schon das geografisc­h beliebige „Dingsda“des Titels. Im Libretto von Hermann Haller und Fritz Oliven steht es letztlich für unterdrück­te Sehnsüchte des provinziel­len Personals. Für Künneke mussten die Figuren einer Operette samt ihren banalen Träumen aus dem täglichen Leben kommen.

Das Spiel mit dem Genre

Die Handlung des Dreiakters spielt auf einem holländisc­hen Landgut. Dem Onkel und Vormund der jungen Julia geht es um deren reiches Erbe. Er möchte seinen Neffen August als Julias Bräutigam ins Spiel bringen, um das Geld in der Familie zu halten. Julia träumt indessen von Roderich, der ihr in Kindheitst­agen versprach, sie zu heiraten. Vor sieben Jahren ist der Hallodri jedoch nach „Dingsda“verschwund­en und lässt seither auf sich warten. Es dauert, bis Julia nach dem Auftauchen dubioser Fremder erkennt, dass August eine viel bessere Partie für sie ist.

All die Verwicklun­gen, die sich aus diesem Plot ergeben, sind nach Meinung des Operettenk­enners Volker Klotz durchaus folgericht­ig – wenn man sie „unter dem Vorzeichen heiterer Unwahrsche­inlichkeit“betrachtet. Künneke hat als vormals ambitionie­rter Opernkompo­nist in seinem „Vetter“souverän mit unterschie­dlichen Genremodel­len des Musiktheat­ers gespielt. Hintersinn­ig werden hier alle Register zwischen Singspiel, komischer Oper und Operette gezogen und auch der tragische Tonfall der großen Oper köstlich parodiert.

Die Partitur ist zudem mit Modetänzen der 20er-Jahre angereiche­rt. Ihre mondäne Sphäre kollidiert freilich mit der biederen Welt der Protagonis­ten. Passend zu solcher Verfremdun­g deutet Olga von Wahls Bühne die Räumlichke­iten des Landschlös­schens nur an. Alles spielt sich in einer grellfarbi­g beleuchtet­en Fassade ab, die reliefarti­g verschiede­ne Öffnungen ohne rechte Winkel aufweist. Schiefe Wände und Ebenen machen es den schräg und knallbunt gekleidete­n Darsteller­n nicht gerade leicht (Kostüme: Carl-Christian Andresen).

Frischen Wind in die etwas abgestande­ne Geschichte bringen in Ulm Geräusche aus dem Off (Tierlaute, Windesraus­chen, quietschen­de Türen) und einige hinzuerfun­dene „running gags“. Ständig wird Wein, Sekt oder Kaffee gesüffelt. Gefährlich­es Knurren tönt immer wieder aus einer Hundehütte. Ein zitronenge­lber Postbote bringt dauernd Pakete. Der mit Roderich und August um Julias Hand konkurrier­ende Egon mutiert zu einem englischen Muttersöhn­chen namens Egbert, die Diener Karl und Hans sind hier ein schwules Paar.

Großartig singen und spielen Therese Vincent (Julia), Markus Francke (August), Martin Gäbler (Onkel), Elke Kottmair (Tante), Luke Sinclair (Egbert), Joska Lehtinn (Roderich), J. Emanuel Pichler und Girard Rhoden (Diener) und nicht zuletzt Maria Rosendorfs­ky als hinreißend freche Göre Hannchen. Nur die Textverstä­ndlichkeit bleibt manchmal auf der Strecke. Das von Levente Török umsichtig dirigierte Ulmer Orchester trifft den sentimenta­len Ton des Genres kongenial.

Weitere Vorstellun­gen: 12., 16., 22. und 27. Februar, 1., 3., 8., 24. und 31. März. Karten: www.theater-ulm.de, Tel.: 0731 161 4444.

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FOTO: THEATER ULM Julia (Therese Vincent) und ihr August (Markus Francke).

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