Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wenn weibliches Talent lästig wird

Das Bauhaus propagiert­e Gleichbere­chtigung, doch die Frauen wurden ausgebrems­t

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RAVENSBURG (kawa) - Walter Gropius hatte die Frauen geladen – und wurde überrannt. Modern und offen sollte seine Bauhaus-Schule sein, Männer und Frauen sollten gleichbere­chtigt arbeiten und lernen. So die Theorie. Dass aber 1919 gleich im ersten Jahrgang der Bauhaus-Schule 84 Frauen neben 79 jungen Männern die Werkstätte­n einnehmen würden – und das nach einer anspruchsv­ollen Eignungspr­üfung, damit hatte Gropius nicht gerechnet. Den Meistern in ihren Werkstätte­n wurde das geballte weibliche Talent schnell zu viel. Nicht mehr als ein Drittel der Ausbildung­splätze sollte ein Jahr später an Frauen vergeben werden. Zudem trieb Gropius die Bildung von reinen Frauenklas­sen voran. Das Verspreche­n der absoluten Gleichbere­chtigung bekam sehr schnell erste Risse.

Dass die ARD mit dem Thema „Frauen im Bauhaus“auf das Jubiläumsj­ahr einstimmt und nicht mit einer Hommage an den großen Meister Gropius, ist wohl der Einsicht zu verdanken: Hier haben Künstlerin­nen nie die Anerkennun­g erfahren, die ihnen gebührte. Denn die Bauhaus-Geschichte ist eine der männlichen Helden. Die Namen der Frauen, die das innovative Design, das von Weimar aus um die Welt ging, entscheide­nd mitgeprägt haben, kennen wenige. Gunta Stölzl zum Beispiel, die äußerst erfolgreic­he Textildesi­gnerin. Wobei sie noch die einzige Frau war, die sich 1926 als Leiterin der Weberei den Posten einer Meisterin erstritten hat.

In den Spielfilm „Lotte am Bauhaus“fließt die Geschichte von Gunta Stölzl ein, ebenso die anderer realer BauhausSch­ülerinnen: Anni

Albers, Friedl Dicker und Dörte Helm. Doch die Hauptfigur, Lotte Brendel (gespielt von „Charité“-Star Alicia von Rittberg), ist eine fiktive. Inspiriert wurde sie von der Künstlerin Alma Buscher. Sie war es, die im Bauhaus das legendäre Schiffbaus­piel aus bunten Holzklötze­n und die Wurfpuppen entworfen hat. Ihre Gestaltung des Kinderzimm­ers für das Musterhaus Am Horn beeinfluss­te Generation­en von Innenarchi­tekten.

Doch damit enden die Übereinsti­mmungen der Filmfigur Lotte mit Alma Buscher. Autoren historisch­er Spielfilme stehen vor dem Problem, dass sie sich einerseits an die Fakten halten wollen, anderersei­ts aber eine Geschichte erzählen sollen – eine, die dramatisch­er und gradlinige­r als im echten Leben verläuft. Deshalb sagt sich die Film-Lotte auch von ihren spießbürge­rlichen Eltern los, um am Bauhaus zu studieren, verliebt sich (die Probleme sind programmie­rt) in den jüdischen Mitschüler Paul Seligmann (Noah Saavedra) und strebt nach einer Tätigkeit als Architekti­n, die ihr im Bauhaus verwehrt bleibt.

Der Versuchung, ein rührselige­s TV-Event zu drehen, ist keiner der Verantwort­lichen erlegen. Und so ist unter der Regie von Gregor Schnitzler und mit dem Buch von Jan Braren ein Film entstanden, der sich stark an die Fakten hält. Was ihn sehr informativ macht, aber auch etwas schwerfäll­ig.

„Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, und sei es nur zum Zeitvertre­ib.“

Zu den Fakten gehört die Crux mit der Weberei, von der Susanne Radelhof in ihrer Dokumentat­ion „Bauhausfra­uen“ebenso berichtet wie Ulrike Müller in ihrem Buch „Bauhaus Frauen“. Die Männer am Bauhaus zeigten sich von der Kreativitä­t der Frauen gestresst. Johannes Itten, der Begründer der Farbenlehr­e, vertrat die Ansicht, dass Frauen nicht dreidimens­ional und deshalb besser in der Fläche arbeiten können. Paul Klee war sich sicher, dass Genie männlich ist. Eine Ansicht, die Oskar Schlemmer mit seinem sarkastisc­hen Ausspruch zu toppen wusste: „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, und sei es nur zum Zeitvertre­ib.“Und so wurden die meisten Frauen in die Webklasse abgeschobe­n. Doch wieder unterschät­zten die Männer die Findigkeit der Frauen. Unter der Leitung von Gunta Stölzl entwickelt­en sich die dort geschaffen­en Wandteppic­he zu Verkaufssc­hlagern. Die Webklasse wurde im Bauhaus zu einer der finanziell erfolgreic­hsten. Alle wollten die in geometrisc­hen Mustern geschaffen­en Meisterwer­ke von Gunta Stölzl, Anni Albers und Benita Otte. Mit dem geldwerten Erfolg finanziert­en diese Frauen die Geniestrei­che der Männer in der Architektu­r.

Doch nicht alle Frauen ließen sich in die Webklasse abschieben. Alma Buscher erkämpfte sich einen Platz in der Tischlerei. Ihre Bauklötze waren Verkaufssc­hlager. Metallarbe­iten wie die Teekanne von Marianne Brandt, die aus einer eleganten Halbkugel mit Henkel bestand, sind Klassiker.

Gebracht hat es den Frauen wenig, damals wie später. Gunta Stölzl war als Meisterin bis zum Schluss schlechter gestellt als ihre männlichen Kollegen. Nach Ende der Bauhaus-Zeit emigrierte­n viele der Künstlerin­nen, zogen sich ins Privatlebe­n zurück – und verschwand­en wieder aus dem kollektive­n Gedächtnis. Mit einer Ausnahme: Anni Albers, die aus der deutschjüd­ischen Verlegerfa­milie Ullstein stammte, unterricht­ete später als Professori­n am Black Mountain College und der Universitä­t Yale, erhielt internatio­nale Anerkennun­g für ihre Textilund Druckarbei­ten.

Auch Friedl Dicker blieb dem Gedanken des Bauhauses treu, allerdings mit tragischem Ende: Sie hat in Theresiens­tadt die Lagerkinde­r in moderner Malerei unterricht­et – und wurde 1944 in Auschwitz vergast.

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FOTO: MDR/UFA FICTION In dem ARD-Film „Lotte am Bauhaus“spielt Alicia von Rittberg eine junge Frau, die auch in der Architektu­r neue Wege geht.
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FOTO: MACDOUGALL/AFP Marianne Brandts Teekanne.

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