Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wo Kunst mit Füßen getreten wird

Der Frankfurte­r Künstler Philipp Alexander Schäfer macht Gullydecke­l zu Street-Art

- Von Katharina Kleine-Wächter

FRANKFURT (epd) - Unter dem Vordach der Städtische­n Bühnen in Frankfurt am Main liegt eine Roulettesc­heibe, mitten auf dem Boden. Aufgemalt auf einen runden Kanaldecke­l. Viele gehen vorbei, ohne es zu bemerken. Touristen machen Selfies vor den Wolkenkrat­zern, ein Teenager tritt beinahe drauf. Philipp Alexander Schäfer, Konzeptkün­stler und Schöpfer der Roulettesc­heibe, hat es genauso geplant.

Seit mehr als zwei Jahren macht der 38-Jährige im Rahmen seines Projekts „Kanalarbei­ten“aus und auf Gully- und Kanaldecke­ln Kunst. Mal bemalt er einen Deckel, so dass er aussieht wie eine Waschmasch­ine, die ein Gehirn im Schleuderg­ang wäscht. Mal beklebt Schäfer einen Deckel mit futuristis­chen Rohren. Oder er steckt Brotscheib­en in die Schlitze und macht aus einem Gully einen Toaster.

Die Werke müssen immer zu dem Ort passen, an dem sie stehen. „Für mich ist gute Kunst im Raum die, die auch auf den Raum Bezug nimmt“, erklärt Schäfer. „Also Kunst, die nur an diesem Ort funktionie­rt, und an einem anderen Ort, auf einem ähnlichen Gullydecke­l, eben nicht.“

Die Roulettesc­heibe liegt nicht zufällig in der Nähe der großen Frankfurte­r Euroskulpt­ur, mit Blick auf die Wolkenkrat­zer der Banken. „Stichwort Casinokapi­talismus“sagt Schäfer dazu. Finanzunte­rnehmen spielten mit Geld und wetteten auf steigende und fallende Aktienkurs­e. „Das hat gar keine Darstellun­g im richtigen Leben mehr. Das sind einfach nur noch Zahlen, die irgendwo hin und her geschoben werden“, sagt Schäfer.

Nicht immer steckt eine solche Symbolik dahinter: Manche seiner Gullydecke­l sollen die Betrachter aber auch einfach nur zum Lachen bringen.

Oft ist es schwierig, Schäfers Kunst im Original zu sehen: Die Roulettesc­heibe am Willy-Brandt-Platz gibt es schon seit September. Andere Werke, wie der Gully-Toaster, halten dagegen nicht mehr als ein paar Stunden. Man kann sie nur noch auf Fotos auf Schäfers Webseite und Instagram-Kanal sehen. Die Vergänglic­hkeit gehört für den Künstler dazu. Wenn die Passanten über eines seiner Werke gehen, führten sie seine Arbeit fort. So wird seine Kunst lebendig und zu einem Teil der Stadt, wie er sagt.

Im Gully sieht Schäfer auch das Tor zur Unterwelt. „Der Gullydecke­l verschließ­t die Unterwelt vor der Oberwelt. Er steht für unser Unbewusste­s. Für alles, worauf wir nicht so gerne einen Blick werfen, wo wir lieber einen Deckel drauf machen. Das, was im Verborgene­n liegt, in individuel­ler Hinsicht und in gesellscha­ftlicher.“

Studiert hat Schäfer Politikwis­senschafte­n, unter anderem unterricht­et er als Lehrbeauft­ragter für Methoden der empirische­n Sozialfors­chung an der Frankfurt University of Applied Sciences. Aber hauptberuf­lich ist er Künstler, einige seiner Werke sind in Galerien ausgestell­t. Wie ein exzentrisc­her Künstlerty­p wirkt er aber nicht, in seiner blauen Jacke mit weißen Farbflecke­n am Ärmel und Jeans sieht er eher aus wie ein Handwerker.

Angefangen als Graffitikü­nstler

Mit der Kunst angefangen hat Schäfer als Graffitikü­nstler. Bekanntgew­orden sind zum Beispiel seine City Ghosts, kleine Gespenster, die nicht nur an Frankfurte­r Hauswänden auftauchen, sondern heute auch in New York, Paris und Bangkok zu sehen sind. Beim Graffitisp­rühen seien ihm dann die Gullydecke­l aufgefalle­n, sagt Schäfer: „Wie eine Leinwand, die auf dem Boden liegt, und keiner malt sie an.“Inzwischen hat er eine Datenbank mit Fotos von Gullydecke­ln, die sich für seine Werke eignen – aber keine Genehmigun­g für seine Kunst.

„Es dauert total lange, bis man vom Amt eine Antwort erhält“, sagt Schäfer. „In der Zeit habe ich das Kunstwerk schon zehnmal gemalt. Es ist ja auch nichts, was bleibt.“Probleme bekomme er wegen der fehlenden Genehmigun­g nicht.

Die meisten Passanten fänden seine Kunst gut, vor allem Kinder, sagt er. „Einmal ist zufällig eine Kindergart­engruppe vorbeigeko­mmen. Dann standen plötzlich 15 Kinder um mich herum und haben zugesehen, wie ich gemalt habe.“

In Zukunft will er mehr mit den Gullydecke­ln arbeiten, die mit ihren Längsstreb­en aussehen wie Käfige. Dabei wird es wieder humoristis­che, aber auch nachdenkli­che Werke geben: In einem „Deckelkäfi­g“soll ein knallbunte­r Papagei sitzen. In einem anderen ein politische­r Häftling aus der Türkei. Wo seine neuen Werke zu sehen sein werden, will Schäfer nicht verraten. Interessie­rte müssen also die Augen offen halten. Und immer auf ihre Füße schauen.

Mehr über den Künstler und seine Gullydecke­l-Kunstwerke gibt es im Internet unter der Adresse www.philippale­xanderscha­efer.de

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FOTO: EPD Philipp Alexander Schäfer hat den Gullydecke­l als Roulette-Teller gestaltet.

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