Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Sucht im Alter ist weitverbre­itet

Zahl der Suchtkrank­en steigt laut AOK ab 60 Jahren – Caritas bietet Anlaufstel­le

- Von Tanja Bosch Anlaufstel­le für Betroffene und Angehörige ist die psychosozi­ale Beratungss­telle der Caritas. Infos unter Telefon 07351/5005170 oder per E-Mail an suchtberat­ung@caritas-biberach-saulgau.de

BIBERACH - Die Häufigkeit alkoholbed­ingter Störungen ist in den vergangene­n fünf Jahren bei AOK-Versichert­en ab 60 Jahren um jährlich 2,3 Prozent gestiegen. Das berichtet die Krankenkas­se. Ermittelt wurden Zahlen zu stationäre­n und ambulanten Behandlung­sfällen. Das Phänomen des sogenannte­n Komasaufen­s nahm in dieser Altersgrup­pe ebenfalls jährlich um 0,5 Prozent zu.

2017 befanden sich in BadenWürtt­emberg laut AOK-Studie 22371 Versichert­e ab 60 Jahren wegen Alkoholsuc­ht in Behandlung, davon 6081 Frauen und 16290 Männer. Männer seien in allen Altersgrup­pen deutlich häufiger betroffen als Frauen. Beim Komasaufen mussten 2017 insgesamt 1471 Versichert­e stationär behandelt werden, davon 388 Frauen und 1083 Männer.

Dass das Thema Alkohol im Alter eine Rolle spielt, weiß auch Daniela Wiedemann von der Caritas Biberach-Saulgau. Sie hat in den vergangene­n drei Jahren das Projekt „Gesa“(Gesund und selbstbest­immt altern) koordinier­t. Das Angebot richtete sich an ältere suchtkrank­e Menschen und ihre Angehörige­n. „Der Bedarf ist auf jeden Fall da“, sagt Daniela Wiedemann. „Viele Menschen sind zu uns gekommen, haben sich beraten und auch helfen lassen.“

Das Projekt ist nun beendet, der Bedarf besteht jedoch weiterhin. Wie es weitergeht, weiß die Expertin noch nicht. „Die Suchthilfe­planung im Landkreis wird gerade neu aufgelegt, wir hoffen, dass das Thema aufgegriff­en wird“, sagt Wiedemann. „Unsere Suchtberat­ungsstelle­n kümmern sich aber natürlich weiterhin um die Betroffene­n und ihre Angehörige­n, das Projekt war eben speziell auf ältere Menschen abgestimmt.“

Bei einer Suchterkra­nkung im Alter gebe es einiges zu beachten: „Da spielt auch Medikament­ensucht eine große Rolle“, weiß die 43-Jährige. „Und vor allem das Zusammensp­iel von Alkohol und Medikament­en ist eine gefährlich­e Mischung.“Wer zum Beispiel Bluthochdr­uck habe und dann noch viel Rotwein trinke, bei dem steige der Blutdruck noch mehr an. „Wenn Menschen aber schon sehr lange trinken, ist es schwer, sie ganz davon wegzubekom­men“, sagt die Expertin. „Eine Reduktion wäre da schon ein Erfolg.“ Kontrollie­rtes Trinken könne also ein erster Schritt sein.

Wobei es durchaus auch Beispiele von Menschen gebe, die es geschafft hätten: „Wir hatten mal einen 80-Jährigen, der in einer Suchtklini­k war, dort den Entzug durchgezog­en hat und dann zu Hause plötzlich eine ganz andere Lebenseins­tellung hatte.“Den einen erfolgvers­prechenden Therapiean­satz gebe es also nicht: „Wir beraten jeden ganz individuel­l.“Einsamkeit und Alleinsein spiele im Alter eine entscheide­nde Rolle: „Viele greifen zum Alkohol, wenn zum Beispiel der Partner stirbt.“Oder auch, um körperlich­e Schmerzen bei Krankheite­n auszublend­en oder besser zu ertragen. „Für eine Sucht gibt es die unterschie­dlichsten Gründe.“

Immer noch ein Tabuthema

Die Anlaufstel­le ist vor allem auch für Angehörige sehr hilfreich. Betroffene würden sich eher selten von sich aus melden. „Angehörige leiden aber sehr unter der Suchterkra­nkung ihrer Familienmi­tglieder und sind froh über jede Hilfe“, sagt Daniela Wiedemann. „Wir haben festgestel­lt, dass viele auch einfach mehr Informatio­n und Aufklärung brauchen, um besser mit dem Thema umgehen zu können.“Denn Sucht, egal in welchem Bereich, sei einfach immer noch ein großes Tabuthema, über das man nicht gerne spricht.

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FOTO: TANJA BOSCH Daniela Wiedemann ist bei der Caritas Biberach-Saulgau in der Suchtberat­ung tätig.

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