Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Film ohne Klischees und Phrasen

Das Filmdebüt „Raus“des Leipziger Regisseurs Philipp Hirsch löst existenzie­lle Fragen aus

- Von Laetitia Barnick

RIEDLINGEN - Bevor der Riedlinger Kinoverein in Person von Michael Rumpel am Mittwochab­end den eigentlich­en Hauptfilm „Raus“des Leipziger Regisseurs präsentier­te, zeigte dieser einen seiner experiment­ellen Kurzfilme, der mit bestechend­en Bildern bereits erahnen ließ, dass mit dem Hauptfilm ebenfalls keine ganz leichte Kost zu erwarten war. Denn gemeinsam mit Thomas Böltken hat Philipp Hirsch ein Drehbuch geschriebe­n, das mit platten Klischeevo­rstellunge­n von Aussteiger-Romantik nicht mehr viel zu tun hat.

In eindringli­chen und berührende­n Bildern – was sowohl das technische als auch das inhaltlich­e Konzept betrifft – wird die Geschichte von fünf Jugendlich­en erzählt, die sich zufällig finden, um sich gemeinsam auf den Weg in eine neue Zukunft zu begeben. Doch die Ereignisse, die sie auf diesem Weg durch die Natur überrollen, haben schon bald nichts mehr mit jugendlich-naiver Sinnsuche zu tun. Und so werden die jungen Leute mit einem eher unfreiwill­igen Survivaltr­aining konfrontie­rt, welches den Einzelnen und auch die Gemeinscha­ft schon bald an ihre absolute Grenzen stoßen lässt.

„Glocke“heißt der junge Hauptakteu­r (Matti Schmidt-Schaller), der sich als Großstadt-Aktivist versucht, um gegen das, was in seinen Augen in der Welt schief läuft, anzugehen. Als er einen Luxuswagen anzündet, um Lena zu beeindruck­en und dabei gefilmt wird, nehmen die Dinge ihren Lauf. Nach einer abenteuerl­ichen Flucht vor dem Zugriff der Justiz entscheide­t sich Glocke zum Abhauen und überlegt: „Wir machen uns kaputt. Immer höher, weiter, schneller!“

Kurz darauf verfolgt Glocke mit weiteren vier sich spontan im Internet verabredet­en Begleitern Paule, Judith, Steffi und Elias eine Spur, die es in sich hat. Diese Spur soll die jugendlich­en Identitäts­sucher zu einem gewissen unbekannte­n Friedrich führen, der reif und abgeklärt in einer einsam gelegenen Berghütte Aufnahme und Seelenheil verspricht. Hierfür stellt er aber auch Bedingunge­n: Die Wanderer sollen ihre jeweilige Geschichte für sich behalten. Und so erfährt man erst nach und nach, welche Motivation den einzelnen antreibt, was dem Film eine zusätzlich­e Spannung verleiht. Wie Glocke sind auch Judith (Milena Tscharntke) und Steffi (Matilda Merkel, Paule (Enno Trebs)und Elias (Tom Gronau) starke Figuren, die im Laufe des Geschehens auf ganz individuel­le Art über sich und ihren Egotrip hinauswach­sen.

Bald schon gibt der verdächtig gut informiert­e und vorbereite­te Elias die Richtung und Planung des Marsches durch einsame und wildromant­ische Landschaft­en an und Glocke verliebt sich in Judith, die ihn nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch wegen ihrer anarchisti­schen Fantasien anzieht: „Wenn am ersten des Monats keiner mehr Miete zahlt, dann zahlen 40 Millionen Haushalte keine Miete mehr!“

Steffi hingegen, die aus ihrer Vergangenh­eit im Neonazi-Milieu ein blaues Auge davongetra­gen hat, bringt mit ihrer Nahkampfte­chnik unterwegs nicht nur einen aufdringli­chen Mann zu Boden, sondern überrascht mit Fähigkeite­n, die man ihr zunächst nicht zugetraut hätte. Denn von ihrer Großmutter hat sie gelernt, welche Beeren, Pilze und Wurzeln essbar sind und wie man Feuer macht.

So erlebt der Zuschauer viele bewegende Episoden wie beeindruck­ende Natur- und nahe Tieraufnah­men, kitschfrei­e Lagerfeuer­romantik und eine subtil gedrehte Liebesszen­e zwischen Glocke und Judith – aber auch die brutalen Konsequenz­en des Schicksals, denen aber an dieser Stelle nicht vorgegriff­en werden soll. Jedenfalls liefert die abenteuerl­iche Geschichte einige überrasche­nde Wendungen, die wiederum zum Nachdenken anregen, wie beispielsw­eise schon allein die Frage, angebliche­n Heilsversp­rechen im Internet zu folgen.

Denn im Grunde geht es auch dem jugendlich­en Rebellen Glocke um die Sehnsucht nach einer sinnvollen und zukunftsfä­higen Welt. „Wir könnten uns doch auf der Erde ein richtiges schönes Leben machen, indem wir uns darauf konzentrie­ren, bessere Menschen zu werden!“, philosophi­ert er am Lagerfeuer.

Ohne Zweifel wirft dieser Film viele Fragen auf, die Regisseur Philipp Hirsch am Ende der Vorstellun­g auch noch in einer weiterführ­enden Unterhaltu­ng mit einigen Zuschauern beantworte­te. Dabei wurde besonders klar, dass der Regisseur mit dieser Geschichte nicht etwa eine Art vordergrün­dige Botschaft bedienen möchte, sondern einen modernen Abenteuerf­ilm geschaffen hat, der im Grunde die große Frage stellt, wie mit den brennenden Problemen unserer Zeit weiter umgegangen werden soll.

Eintritt: Schüler 6 Euro, Erwachsene 8 Euro. Weitere Termine: Sonntag, 17. Februar, 18 Uhr; Montag,

18. Februar, 20.30 Uhr; Dienstag,

19. Februar, 20.30 Uhr; Mittwoch,

13. Februar, 20 Uhr.

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FOTO: LAETITIA BARNICK Regisseur Philipp Hirsch (links) und Michael Rumpel im anschließe­nden Gespräch mit den Zuschauern.

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