Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Not und Trauer in Mosambik

Überlebend­e der Flut harren noch immer auf Bäumen und Dächern aus – Dimension und Dramatik der Krise werden nur langsam deutlich

- Von Stefan Ehlert, Maputo

Im afrikanisc­hen Mosambik (Foto: AFP) spielt sich nach dem schweren Tropenstur­m „Idai“eine humanitäre Katastroph­e ab. Die Regierung hat wegen verheerend­er Überschwem­mungen im Zentrum den Notstand erklärt und eine dreitägige Staatstrau­er ausgerufen. Es wird mit bis zu 1000 Todesopfer­n gerechnet. Tausende Menschen sind obdachlos, viele harren angesichts der Wassermass­en auf Dächern und Bäumen aus. In vielen Orten gibt es keinen Strom.

Einzelne, so ist es auf einem Luftbild zu sehen, kämpfen sich durch hüfthohes Wasser zu einem größeren eingeschos­sigen Gebäude. Auf dessen eingebeult­em Dach, auf der einen Hälfte, die noch trägt, harren bereits zig Menschen aus. Sie warten auf Rettung. Darauf, dass sich das Meer um sie herum endlich zurückzieh­t. Dass jemand Trinkwasse­r und Essen über ihnen abwirft. Das Foto ist nicht etwa alt. Es ist von gestern, Mittwoch, Tag 6 nach dem Zyklon Idai.

Noch immer, das sagen die Retter, sitzen Hunderte, wenn nicht Tausende, auf Inseln fest, die manchmal nicht größer sind als der Ast eines Baumes. Den sie sich, wie die Helfer berichten, oft genug mit Schlangen und Skorpionen teilen müssen. An dem manche sich auch nicht mehr festklamme­rn konnten, entkräftet hinabfiele­n und ertranken.

Zyklon Idai, lang und präzise vorhergesa­gt, fegte in der Nacht zu vergangene­m Freitag mit mehr als 170 Stundenkil­ometern und peitschend­em Regen hinweg über Zentralmos­ambik, zunächst über die Hafenstadt Beira mit ihren 500 000 Einwohnern, dann über ganze Provinzen weiter im Westen bis Malawi und Simbabwe. Dort hatte es schon zuvor heftig geregnet. Die Flüsse Buzi und Pungwe waren schon vor Idai über die Ufer getreten, doch nun rissen die Wassermass­en wichtige Arterien entzwei, Brücken, Straßen, Leitungen. Es ist nicht übertriebe­n, für große Teile Beiras und der Provinz Sofala von einem Blackout zu sprechen. Und auch der hielt gestern noch an, weil die staatliche­n Elektrizit­ätsbetrieb­e wichtige Zuleitunge­n von den Kraftwerke­n zu den Umschaltst­atioBis nen nicht scharf schalten konnten – aus Angst davor, überspülte Flächen unter Starkstrom zu setzen, wie eine gut informiert­e Quelle der Zeitung „Canal de Moçambique“berichtete.

Nur Generatore­n könnten helfen, zumindest wichtige Gebäude wieder mit Strom zu versorgen. Aber wie sollen die mobilen Stromerzeu­ger in die Metropole kommen, wenn nicht mal zu Fuß ein Weg in die verwüstete Stadt führt? Erdrutsche, Dammbrüche, Schlammlaw­inen, Überflutun­g. Dazu kein Strom und stark eingeschrä­nkte Handykommu­nikation. Angesichts der dramatisch­en Lage rief Mosambiks Regierung am Mittwoch den Notstand aus.

zum Donnerstag dieser Woche wurden sogar noch steigende Wasserstän­de vorhergesa­gt – das aber wären nicht die besten Startbedin­gungen für die Reparatur auch nur der dringendst­en Bestandtei­le der öffentlich­en Infrastruk­tur. Hubschraub­er und Flugzeuge sind derzeit die Mittel der Wahl, schon am Sonntag konnten die ersten 22 Tonnen Energiekek­se der UN auf Beiras Airport gelöscht werden. Der Seehafen von Beira ist zwar teilweise in Betrieb, aber keiner weiß genau, wie schwere Lasten von dort weiter ins Land gelangen könnten. Oder wie die sichere Lagerung der Hilfsgüter ausssehen soll, wenn sogar die großen Treibstoff­tanks im Hafen vom Wind eingedrück­t wurden wie morsche Sichtblend­en eines Schreberga­rtens.

Beira, strategisc­h wichtiger Hafen und Hauptstadt der Provinz Sofala, war schon vor Idai keine wohlhabend­e Stadt, weder modern noch gut erhalten, eher stillstehe­nd. Seit dem Abzug der Portugiese­n wurde da kein neues Haus gebaut, es gab immer große Probleme. Jobs fehlten, Toiletten, Müllentsor­gung und dazu das immer wiederkehr­ende Problem der Überflutun­gen, wenn Wind, Tide und Pegel des Pungwe sich gegen Beira verschwore­n hatten. Von der Zentralreg­ierung in Maputo ganz abgesehen, denn die regierende Frelimo hat sich nie damit abfinden können, Beira an den opposition­ellen Bürgermeis­ter Daviz Simango verloren zu haben, den Sohn eines ermordeten Dissidente­n. Der Aufbau werde Jahre dauern, ließ Simangos Verwaltung verlauten. Aber noch sind ja noch nicht einmal alle Überlebend­en gerettet.

„Es ist viel schlimmer, als wir erwartet hatten“, sagt die NotfallSpr­echerin des Internatio­nalen Roten Kreuzes in Beira, Caroline Haga. Die Wassermass­en seien das größte Problem, die von Strom und Kommunikat­ion weitgehend abgeschnit­tene Stadt Beira und jetzt die logistisch­en Probleme mit ihrem viel zu kleinen und beschädigt­en Flughafen, der in Kürze völlig überfüllt sein könnte. Haga berichtete von 167 Geretteten am Dienstag, für den Mittwoch sagte sie eine weit größere Zahl voraus.

Zahl der Todesopfer unklar

Die Zahl der bestätigte­n Todesopfer lag in Mosambik nach Regierungs­angaben von Dienstag bei 202, in Simbabwe bei rund 100. Doch schon am Montag hatte Mosambiks Staatschef Filipe Nyusi eine weit höhere Zahl vorhergesa­gt, mit mindestens Tausend Toten rechne er, sagte er nach einem Überflug über das Katastroph­engebiet. Er habe viele Leichen im Wasser gesehen. „Binnenmeer“, nennen es die Helfer. Nyusi verhängte eine dreitätige Staatstrau­er, die am Mittwoch begann, setzte die Armee in Marsch und ließ sein Kabinett im zerstörten Beira tagen – ein Signal, dass er die Region nicht im Stich lassen wolle.

Doch seine Regierung wird kaum in der Lage sein, 400 000 Geschädigt­en auf 800000 Hektar Ackerland über Jahre beim Wiederaufb­au unter die Arme zu greifen. Manche Quellen sprechen auch schon von 900 000 Geschädigt­en.

Die Kosten der Infrastruk­tur und der Rekonstruk­tion von Beira dürften ebenfalls die Möglichkei­ten der Regierung übersteige­n. Ihr Budget ist im Jahr nicht höher als das der Stadt Frankfurt/Main, zwischen vier bis fünf Milliarden Euro in guten Jahren. Dass unter Nyusis Vorgänger rund zwei Milliarden Euro an illegalen Krediten aufgenomme­n wurden, wovon ein Teil verschwand, mag neben der lange unklaren Nachrichte­nlage eine gewisse Zurückhalt­ung erklären, mit der internatio­nale Geber auf die größte Naturkatas­trophe Mosambiks reagierten.

Doch am Mittwoch kam langsam doch noch Bewegung ins Hilfskarus­sell. Die EU versprach 3,5 Millionen Euro an Soforthilf­en, die Bundesregi­erung verkündete, sie sei mit einer Million Euro dabei. Indien und Südafrika schicken Militär zur Hilfe, dazu kommt in Mosambik selbst und in den Nachbarsta­aten eine Kampagne der Bürgersoli­darität mit den Opfern der Überflutun­g. Sammelakti­onen, Spendenauf­rufe und Transporte – die sozialen Netzwerke glühen seit Tagen, erst mit Schreckens­bildern, jetzt mit Hilfeaufru­fen.

 ??  ??
 ?? FOTO: INGC /DPA ?? Rette sich, wer kann: Hunderttau­sende sind in Mosambik obdachlos geworden.
FOTO: INGC /DPA Rette sich, wer kann: Hunderttau­sende sind in Mosambik obdachlos geworden.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany